Von
Norbert Hahn,
Studioleiter und Korrespondent, WDR
ARD-Studio Nairobi
Stand: 16.01.2022 14:03 Uhr
Es war der 24. November des vergangenen Jahres, als die dänische Fregatte "Esbern Snare" über Piratentätigkeit vor der Küste Nigerias informiert wurde. Um gegen Piraten vorzugehen, war die Fregatte schließlich in dieser Seeregion stationiert, dem Golf von Guinea. Der Bordhelikopter stieg auf und machte in der Gegend nicht nur mehrere Handelsschiffe (darunter ein dänisches), sondern auch mutmaßliche Kriminelle aus, so die Darstellung der dänischen Marine.
Als die Piraten nicht stoppten, zerstörten die Soldaten vom Hubschrauber aus durch gezielte Schüsse die Außenbordmotoren des schnellen Bootes. Es kam zu einem Feuergefecht zwischen den Piraten und zwei nun eingetroffenen, schwer bewaffneten dänischen Marinebooten. Von den acht Piraten an Bord waren am Ende vier tot, vier weitere überlebten, einer mit einer Unterschenkelverletzung.
Nun wurde es unübersichtlich. Während die dänische Regierung nach einem Aufnahmeland für die drei unverletzten Piraten suchte, wurde der Verletzte schließlich nach Ghana in ein Krankenhaus gebracht. Am 6. Januar handelte die Regierung in Kopenhagen: Weil sich für die Unverletzten in der gesamten Region (vor allem in der mutmaßlichen Heimat Nigeria) niemand zuständig fühlte, ließ Dänemark die Drei von der "Esbern Snare" in ein kleines Dingi setzen, mit ausreichend Treibstoff und Lebensmitteln, um das heimische Ufer erreichen zu können.
In Ghana musste inzwischen dem verletzten Piraten ein Bein amputiert werden, behalten möchte ihn das Land nicht. Er wird am gleichen Tag nach Kopenhagen geflogen, wo ihm als einzigem der Prozess gemacht werden soll. In "Danmarks Radio" (DR) ist bald die Rede von einer "dänischen Katastrophe", und Verteidigungsminister Nick Haekkerup räumt ein: "Es gab in der Situation keine wirklich guten Lösungen."
Die Verteidigerin des Angeklagten, Birgitte Skjodt, sieht nun die Gefahr, dass "das dänische Verständnis von Gerechtigkeit zerstört wird, wenn wir Menschen so unterschiedlich behandeln". Tatsächlich könnte das Gerechtigkeitsgefühl noch viel globaler zerstört werden, wenn nämlich der Schutz von Handelsschiffen und die Verfolgung von schweren Straftätern unter bestimmten Bedingungen fast unmöglich ist.
Dabei ist die Ausgangslage eigentlich nicht schlecht, so der Direktor des Instituts für Seevölkerrecht in Bremerhaven: "Jeder Staat kann auf Hoher See oder an jedem anderen Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, ein in der Gewalt von Piraten stehendes Schiff aufbringen", sagt Professor Andree Kirchner.
Staaten seien völkerrechtlich aber nicht verpflichtet, Akte von Piraterie zu verfolgen. Und: "Grundsätzlich ist es nach dem UN-Seerechtsübereinkommen nicht verboten, Menschen auf Hoher See auszusetzen, soweit sie damit nicht in Lebensgefahr gebracht werden."
Alles ist möglich - aber auch sinnlos, wenn die nachfolgende Strafverfolgung nicht funktioniert. Auslieferungsabkommen zwischen zum Beispiel, Nigeria und Dänemark gibt es nicht, aber auch nicht mit Frankreich, Portugal oder Italien.
Italienische Kriegsschiffe etwa geben praktisch nur noch Warnschüsse ab, um Piraten zu vertreiben. Zu groß ist die Gefahr, sie in Italien vor Gericht stellen zu müssen. Am Ende würden sie nach Verbüßung ihrer Strafe im Land bleiben, weil sie keiner zurücknimmt.
Klar ist aber auch, dass die Piraterie nur eingedämmt werden kann, wenn die Herkunftsstaaten der Kriminellen mitspielen. In Nigeria etwa sollen fünf kriminelle Netzwerke das Geschäft mit den Angriffen auf See betreiben. Geschäftsleute, ranghohe Politiker und andere Einflussreiche stünden hinter Überfällen, Erpressungen und Diebstahl, heißt es in Sicherheitskreisen. Sie wüssten, wann man zuschlagen muss, kauften Informationen über Schiffsrouten und wüssten, welche Schiffe bewaffnet begleitet würden.
Aber selbst, wenn der Staat einschreiten will, wird es schwierig: Viele der mehr als 30 Attacken (2021) in der Seeregion gingen vom Niger-Delta aus, ein unübersichtliches Gebiet, deren Bewohner der Zentralmacht nicht gut gesonnen sind. Weltweit wurden auf hoher See im vergangenen Jahr 53 Seeleute gekidnapped - alle im Golf von Guinea, so das IMB.
Sind die Anti-Piraten-Einsätze der europäischen Marine-Schiffe damit gescheitert? "Der Schutz der Schiffe ist aus wirtschaftlichen Gründen weiterhin relevant", sagt Professorin Nele Matz-Lück von der Universität Kiel. "Wenn sich die Staaten des globalen Nordens komplett zurückziehen, werden diese Handelswege zu unsicher, weil die Anrainerstaaten entweder nicht in der Lage oder nicht willens sind, die Piraterie effektiv zu bekämpfen."
Wenn die "Esbern Snare" in ein paar Wochen wieder nach Dänemark zurückfährt, wird sie von ihrem Schwesterschiff, der "Absalon" abgelöst. Jetzt erst recht, so scheint es.
Den dänischen Reedern, deren Geschäft der internationale Schiffsverkehr ist, wird es recht sein: Es steht viel Geld auf dem Spiel. Die Unterbrechung von Schifffahrtsrouten kostet die globale Wirtschaft jährlich Milliarden Euro.
Quelle: Tagesschau