Kommentar zum Rundfunkbeitrag

Gebühren-Erhöhung fällt aus: Sachsen-Anhalt stellt sich quer - und das ist gut so

Redakteur Matthias Hochstätter

Mittwoch, 09.12.2020, 13:07

Mehr Geld wird es für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorerst nicht geben. Sachsen-Anhalt zieht sich aus dem von den Ländern ausgehandelten Staatsvertrag zurück. dpa/Soeren Stache/dpa bild

Wie die Staatskanzlei Sachsen-Anhalts mitteilte, will das Bundesland die Erhöhung des Rundfunkbeitrags blockieren. Höhere Gehälter als die Kanzlerin, 74 Radio- und 21 TV-Sender, vergreisende Rentnercops und eine App für den Teletext - in aller Freundschaft, aber das geht zu weit. Warum das öffentlich-rechtliche Rundfunk­system heute nicht mehr zeitgemäß ist.

Der Staatsvertrag der Länder für ARD, ZDF und Deutschlandradio hat eine Beitragserhöhung von 4,9 Prozent vorgesehen. Für die Rundfunkanstalten hätte dies jährliche Mehreinnahmen in Höhe von etwa 380 Millionen Euro bedeutet bei einem Gesamt-Etat von rund neun Milliarden Euro. Mittlerweile werden damit sage und schreibe 74 Radio- und 21 TV-Sender finanziert. Sachsen-Anhalt hat dem geplanten Gebühren-Irrsinn nun ein Ende bereitet. Und das ist gut so, denn das organische Wachstum der Öffentlich-Rechtlichen hat in den letzten Jahrzehnten teilweise absurde Blüten hervorgebracht.

Stichwort Gehälter: Auf der Gehaltsliste von ARD und ZDF steht WDR-Intendant Tom Buhrow mit 395.000 Euro als Spitzenverdiener in der ARD ganz oben. Um es zu refinanzieren, benötigt der Sender 1881 Gebührenzahler. Danach folgt BR-Intendant Ulrich Wilhelm, dessen Bezüge von 367.000 Euro im Jahr 2016 auf 388.000 Euro stiegen, ein Plus von 5,7 Prozent. Das Gehalt des ehemaligen Regierungssprechers wird von 1848 Zahlern gestemmt und übersteigt nunmehr das Salär seiner ehemaligen Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was diese immensen Gehälter bei Regionalsendern rechtfertigt, weiß niemand.

Rentnercops sollen Quote bringen

Stichwort Qualität: Während privatwirtschaftlich finanzierte Zeitungen, Online-Magazine oder TV-Sender täglich um ihre Einkünfte aus Werbung oder Verkauf kämpfen müssen, können sich die Öffentlich-Rechtlichen bequem auf ihren Gebühren-Einnahmen ausruhen. Dabei leidet die Qualität: Journalismus findet bei ARD und ZDF in der Prime-Time zwischen 20 und 23 Uhr immer seltener statt. Politik-Magazine wie Report oder Monitor wurden im Ersten schon längst von 45 auf 30 Minuten gekürzt. Journalistische Information, Dokumentationen und Reportagen parkte man über die Jahre immer weiter hinten in diversen Spartensendern wie ZDF Info oder ARD Alpha. Den lautstarken Quassel-Talk-Shows (Illner, Lanz, Maischberger, Plasberg, Will...) wurde dagegen im gleichen Maße mehr Platz im Ersten und im Zweiten eingeräumt.

Stichwort Unterhaltung: Seit dem Start des Privatfernsehens in Deutschland in den 1980ern versuchen ARD und ZDF, die quotenträchtigen Programm-Inhalte der Privaten immer mehr zu kopieren. Doch innovative Formate sucht man zwischen der Flut an aufgewärmten Krimis und Heimatserien vergeblich. "Rentnercops" und Tatorte aus immer kleineren Provinzstädten müssen das Abend-Programm "in aller Freundschaft" befüllen. Nach außen predigt man Sparsamkeit und schwärmt von gelungenen "Rationalisierungs- und Einsparmaßnahmen", für die Senderechte an den Fußball-Weltmeisterschaften zahlt man hingegen gerne mal 200 Millionen Euro und mehr, obwohl die privaten Sender Ägypten gegen Ecuador oder unsere Nationalelf genauso gut übertragen können. Hohe Einschaltquoten beim Fußball sind anscheinend die Existenzberechtigung für ARD und ZDF.

Vergreisung bei den Öffentlich-Rechtlichen

Stichwort Verfassungsauftrag: Der einst verfassungsrechtlich geforderte Dreiklang aus Information, Unterhaltung und Bildung hört sich bei den Öffentlich-Rechtlichen wegen des Überangebots an Unterhaltung immer eintöniger an. Nur wegen der mehrstündigen Morgen- und Mittagsmagazine sieht die bloße Statistik in Sachen Information noch recht gut für ARD und ZDF aus, listet das ARD-eigene Fachmagazin Media-Perspektiven auf. Die Folgen des öden Programms sind gravierend: Das Durchschnittsalter der ARD- und ZDF-Zuschauer liegt bis 20 Uhr mittlerweile bei 65 Jahren. Während die Öffentlich-Rechtlichen vergreisen, zieht es die Jüngeren zu RTL, SAT1 und Pro7, die ganz Jungen sind sowieso schon längst bei YouTube oder Netflix.

Stichwort Wahnwitz: Wie angestaubt das Denken in der ARD-Behörde ist, macht das Beispiel Teletext deutlich. Die lahme Info-Funktion der ARD, auf der man per Fernbedienung langwierig "Seiten" und "Tafeln" auf dem TV-Bildschirm umblättern kann, wird heute noch von einer Redaktion beim RBB gepflegt. Doch damit nicht genug: Die ARD hat dafür sogar eigens eine Teletext-App entwickelt. Nun kann man auch im Internet Seiten und Tafeln blättern, als wäre man noch im Zeitalter der Wählscheiben-Telefone. Was der digitale Retro-Scherz soll? Möglicherweise ist einem Teil der ARD-Intendanten Tagesschau.de zu schnell.

Rundfunkbeitrag? Warum ARD und ZDF nicht privatisieren?

Stichwort Staatsferne: Eine Reform der öffentlich-rechtlichen Tanker tut dringend Not. Die Zeiten haben sich geändert. Die Organisation von ARD und ZDF ist ein Nachkriegsrelikt. Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus wollten die West-Alliierten und die junge Bundesrepublik nach dem Krieg ein deutsches Staatsfernsehen vermeiden. Die Gefahr des propagandistischen Missbrauchs wäre zu groß gewesen. Man orientierte sich daher an der britischen BBC und wählte eine öffentlich-rechtliche Organisationsstruktur für das deutsche Fernsehen.

Doch das Argument der Staatsferne wollte seit Gründung von ARD (1950) und ZDF (1961) nie recht einleuchten: Jeder private Sender und jede private Zeitung ist staatsferner als die öffentlich-rechtlichen Konstrukte, deren Rundfunkräte sich aus Politikern und den Mitgliedern politiknaher Lobby-Verbände zusammensetzen. Und genau darin liegt die Krux: Solange Politiker Einfluss auf ein Gremium haben, werden sie es nicht abschaffen. Der Rundfunkbeitrag belastet zudem nicht die Staatsfinanzen, sondern ja nur die privaten Haushalte und Unternehmen. Sehr praktisch, aber auch sehr kostspielig für das Land. Die Politik sollte sich aus der Lobby des Rundfunks langsam verabschieden.

Sachsen-Anhalt hat nun das Tor für eine grundlegende Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufgestoßen. Danke, Magdeburg!


Quelle: focus vom 09.12.2020