Redakteur Matthias Hochstätter
Mittwoch, 09.12.2020, 13:07
Wie die Staatskanzlei Sachsen-Anhalts mitteilte, will das Bundesland die Erhöhung des Rundfunkbeitrags blockieren. Höhere Gehälter als die Kanzlerin, 74 Radio- und 21 TV-Sender, vergreisende Rentnercops und eine App für den Teletext - in aller Freundschaft, aber das geht zu weit. Warum das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem heute nicht mehr zeitgemäß ist.
Der Staatsvertrag der Länder für ARD, ZDF und Deutschlandradio hat eine Beitragserhöhung von 4,9 Prozent vorgesehen. Für die Rundfunkanstalten hätte dies
Stichwort Gehälter: Auf der Gehaltsliste von ARD und ZDF steht WDR-Intendant
Stichwort Qualität: Während privatwirtschaftlich finanzierte Zeitungen, Online-Magazine oder TV-Sender täglich um ihre Einkünfte aus Werbung oder Verkauf kämpfen müssen, können sich die Öffentlich-Rechtlichen bequem auf ihren Gebühren-Einnahmen ausruhen. Dabei leidet die Qualität: Journalismus findet bei ARD und ZDF in der Prime-Time zwischen 20 und 23 Uhr immer seltener statt. Politik-Magazine wie Report oder Monitor wurden im Ersten schon längst von 45 auf 30 Minuten gekürzt. Journalistische Information, Dokumentationen und Reportagen parkte man über die Jahre immer weiter hinten in diversen Spartensendern wie ZDF Info oder ARD Alpha. Den lautstarken Quassel-Talk-Shows (Illner, Lanz, Maischberger, Plasberg, Will...) wurde dagegen im gleichen Maße mehr Platz im Ersten und im Zweiten eingeräumt.
Stichwort Unterhaltung: Seit dem Start des Privatfernsehens in Deutschland in den 1980ern versuchen ARD und ZDF, die quotenträchtigen Programm-Inhalte der Privaten immer mehr zu kopieren. Doch innovative Formate sucht man zwischen der Flut an aufgewärmten Krimis und Heimatserien vergeblich. "Rentnercops" und Tatorte aus immer kleineren Provinzstädten müssen das Abend-Programm "in aller Freundschaft" befüllen. Nach außen predigt man Sparsamkeit und schwärmt von gelungenen "Rationalisierungs- und Einsparmaßnahmen", für die
Stichwort Verfassungsauftrag: Der einst verfassungsrechtlich geforderte Dreiklang aus Information, Unterhaltung und Bildung hört sich bei den Öffentlich-Rechtlichen wegen des Überangebots an Unterhaltung immer eintöniger an. Nur wegen der mehrstündigen Morgen- und Mittagsmagazine sieht die bloße Statistik in Sachen Information noch recht gut für ARD und ZDF aus, listet das ARD-eigene Fachmagazin Media-Perspektiven auf. Die Folgen des öden Programms sind gravierend: Das
Stichwort Wahnwitz: Wie angestaubt das Denken in der ARD-Behörde ist, macht das Beispiel Teletext deutlich. Die lahme Info-Funktion der ARD, auf der man per Fernbedienung langwierig "Seiten" und "Tafeln" auf dem TV-Bildschirm umblättern kann, wird heute noch von einer Redaktion beim RBB gepflegt. Doch damit nicht genug: Die ARD hat dafür sogar eigens eine Teletext-App entwickelt. Nun kann man auch im Internet Seiten und Tafeln blättern, als wäre man noch im Zeitalter der Wählscheiben-Telefone. Was der digitale Retro-Scherz soll? Möglicherweise ist einem Teil der ARD-Intendanten Tagesschau.de zu schnell.
Stichwort Staatsferne: Eine Reform der öffentlich-rechtlichen Tanker tut dringend Not. Die Zeiten haben sich geändert. Die Organisation von ARD und ZDF ist ein Nachkriegsrelikt. Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus wollten die West-Alliierten und die junge Bundesrepublik nach dem Krieg ein deutsches Staatsfernsehen vermeiden. Die Gefahr des propagandistischen Missbrauchs wäre zu groß gewesen. Man orientierte sich daher an der britischen BBC und wählte eine öffentlich-rechtliche Organisationsstruktur für das deutsche Fernsehen.
Doch das Argument der Staatsferne wollte seit Gründung von ARD (1950) und ZDF (1961) nie recht einleuchten: Jeder private Sender und jede private Zeitung ist staatsferner als die öffentlich-rechtlichen Konstrukte, deren Rundfunkräte sich aus Politikern und den Mitgliedern politiknaher Lobby-Verbände zusammensetzen. Und genau darin liegt die Krux: Solange Politiker Einfluss auf ein Gremium haben, werden sie es nicht abschaffen. Der Rundfunkbeitrag belastet zudem nicht die Staatsfinanzen, sondern ja nur die privaten Haushalte und Unternehmen. Sehr praktisch, aber auch sehr kostspielig für das Land. Die Politik sollte sich aus der Lobby des Rundfunks langsam verabschieden.
Sachsen-Anhalt hat nun das Tor für eine grundlegende Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufgestoßen.
Quelle: focus vom 09.12.2020