Gastautor Gabor Steingart (Berlin)
Montag, 17.06.2024, 18:18
Selbst Hollywood-Ikone Jodie Foster ("Taxi Driver", "Schweigen der Lämmer") äußerte sich in einem Interview mit dem Guardian kritisch über den Nachwuchs, der zu spät am Drehort erscheine und im Büro schlampige E-Mails verfasse: "Es ist wirklich nervig, mit dieser Generation zu arbeiten."
Doch diese Diskussion, die dem bekannten Motto "Früher war alles besser" folgt, lenkt von einer wichtigen Tatsache ab: Die vorherige Generation von Unternehmenslenkern war zwar fleißig und hätte am liebsten im Büro übernachtet, litt aber an mangelnder Visionskraft. Das Bestehende - also die Dieselautos bei VW, das lineare Fernsehen bei RTL und die Nahtlosrohre von Mannesmann - wurde zeitlebens optimiert.
Da, wo sich die Chance bot, mit Visionären wie Jeff Bezos, Elon Musk und Mark Zuckerberg zu den Sternen zu fliegen, hat man sich versagt. Disruption - nein danke. So hat die Generation A - A wie Angsthase - vielerorts die Zukunft verpasst und auf Milliardenwerte verzichtet.
Der ehemalige Daimler-Chef Dieter Zetsche hätte ein Elektro-Pionier sein können. Doch er unterlag einem doppelten Jahrhundertirrtum, weil er die Autos mit dem Stern für technologisch uneinholbar und sich selbst für die Krone der Schöpfung hielt.
Was war geschehen? Elon Musk befand sich 2009 auf der Suche nach frischem Geld und kam auf der Chefetage des Stuttgarter Autokonzerns vorbei. Mit 50 Millionen Dollar erwarb Zetsche schließlich rund 9,1 Prozent an Tesla. 40 Prozent der Anteile gab Daimler bereits wenige Monate nach dem Einstieg an den Staatsfonds von Abu Dhabi weiter.
Fünf Jahre später glaubte Dieter Zetsche, dass der erste reinrassige E-Autohersteller Tesla seinen Zenit bereits überschritten habe. Also verkaufte er die verbleibenden Tesla-Aktien - vier Prozent des Unternehmens - für 780 Millionen Dollar.
Was für eine Fehleinschätzung: Tesla startete erst danach richtig durch. Allein der 9,1 Prozent-Anteil an Tesla könnte bei einem aktuellen Börsenwert der US-Firma von insgesamt rund 567,7 Milliarden US-Dollar den Jahresgewinn der Mercedes-Benz Group 2023 mehr als verdreifacht haben. Zetsche hat zu früh verkauft und ließ in seiner Amtszeit kein einziges Elektroauto vom Band rollen.
Immerhin: Zur Strafe verweigerten ihm die Aktionäre den Einzug in den Aufsichtsrat.
Auch der uneheliche Sohn aus der Liaison des Verlegers Georg von Holtzbrinck mit seiner Sekretärin Addy blickt auf einen strategischen Kardinalfehler zurück. Der Milliardärserbe hatte sich - kaum übernahm er in der Konzernzentrale die Führung - als Internet-Versteher inszeniert.
Er glaubte, mit dem studentischen Online-Netzwerk StudiVZ eine Goldmine zu besitzen und wollte einen Global Player gegen Facebook aufbauen. StudiVZ hatte in Deutschland laut dem Marktforscher Nielsen Online im ersten Quartal 2008 sechs Millionen Besucher. Facebook kam nur auf ein Fünftel, also 1,2 Millionen.
Facebook wollte damals StudiVZ am liebsten übernehmen. Mark Zuckerberg bot ein Vielfaches der 85 Millionen Euro, die Stefan von Holtzbrinck für StudiVZ einst bezahlt hatte. Das Angebot, das damals auf dem Tisch lag: fünf Prozent an Facebook gegen die Mehrheit an StudiVZ.
Von Holtzbrinck lehnte ab. Er glaubte, er sei der deutsche Zuckerberg. Doch bald schon wurde er eines Besseren belehrt. Facebook drückte mit seiner aggressiven globalen Strategie StudiVZ an die Wand.
Schließlich verkaufte Holtzbrinck StudiVZ im Jahr 2012 an die Investmentfirma Vert Capital. Die FAZ schrieb herzlos: "Ende einer Fehlinvestition".
Beim Medienkonzern in Gütersloh das gleiche Trauerspiel. Ein gewisser Jeff Bezos kommt im Jahr 2003 eigens aus den Flitterwochen mit seiner damaligen Frau MacKenzie Scott in Gütersloh vorbei, in Bermuda Shorts, Poloshirt und mit Baseballkappe. Thomas Middelhoff hatte ihn mit dem Bertelsmann-Firmenjet in Istanbul abgeholt.
Doch schon das Outfit fand man in Gütersloh verstörend. Einen "Paradiesvogel" nannten ihn die Sekretärinnen, wie sich Middelhoff erinnert. Als der Gründer von Amazon, damals spezialisiert auf den Versand von Büchern, die Gütersloher über seine globalen Expansionspläne in Kenntnis setzte, waren diese entsetzt.
Der junge Mann aus den USA will sein Geschäftsmodell auf alle weiteren Produktgruppen - von Reizwäsche bis Webergrill - ausweiten. Amazon soll das größte digitale Versandkaufhaus der Welt werden.
Das erscheint der Eigentümerfamilie Mohn nicht nur größenwahnsinnig, sondern mit Blick auf das eigene Mediengeschäft defokussiert. Also winkt man ab.
Middelhoff hatte einen Vertrag mit Amazon-Gründer Jeff Bezos bereits vorverhandelt: Demnach sollten beide Unternehmen jeweils 50 Prozent an einem Joint Venture erhalten. Bertelsmann wäre operativ für das Europageschäft verantwortlich gewesen.
Das Pech war mit den Ängstlichen: Heute setzt Amazon Europa circa 53,3 Milliarden Euro um - mehr als das Doppelte des Bertelsmann-Konzerns mit seinen 20,2 Milliarden Euro. Die Börsenkapitalisierung von Amazon beträgt umgerechnet 1,8 Billionen Euro. Der gesamte Bertelsmann-Konzern passt da - selbst mit einem großzügigen Multiple von sechs auf den Umsatz gerechnet - fast 15-mal hinein.
Diese drei Fälle sind nicht die Ausnahmen, sondern sie folgen einer unheimlichen Regel.
Michael Otto vom Otto-Versand hat ebenfalls den Einstieg bei Amazon ausgeschlagen,
SAP-Eigentümer Hasso Plattner hat durch sein Festhalten am Traditionsgeschäft den Einstieg in die Cloud um Jahre verzögert.
Die Hälfte der DAX-30-Unternehmen des Jahres 1980 - von der Hoechst AG über Karstadt bis zur Metallgesellschaft - ist mittlerweile verschwunden.
Fazit: Die Generation der Selbstgefälligen und Risikoscheuen kommt Deutschland teuer zu stehen. Sie schuftet viel, aber kann sich die Zukunft nur als Verlängerung des Gegenwärtigen vorstellen. Albert Einstein hat geahnt, dass die knappsten Ressourcen nicht Zeit und Geld, sondern Mut und Visionen sind: