Gastbeitrag von Gabor Steingart BASF hat keine Lust mehr auf Deutschland - die Gründe sind beschämend

Gastautor Gabor Steingart (Berlin)

Mittwoch, 22.05.2024, 09:45

Europas größter Chemiekonzern BASF kehrt Deutschland still und leise den Rücken. Die Schließung von Produktionsstandorten und die Verlagerung von Investitionen nach China sind ein klares Signal an die Politik: Profitorientierte Unternehmen sind nicht bereit, den Preis für politischen Aktionismus zu zahlen. Rhein-Neckar Fernsehen GmbH
BASF hat keine Lust mehr auf Deutschland - die Gründe sind beschämend

Marktwirtschaft ist wie Demokratie, nur krasser. Die Demokraten maximieren Stimmen und Macht, so wie die Unternehmen die Umsätze und Gewinne.

Nur: Die Abstimmung findet für die Firmen nicht innerhalb eines kleinen Territoriums statt, sondern global.

Der Wettbewerber ist kein altehrwürdiger Politiker wie Joe Biden, sondern ein junger Wilder wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg.

Konzern wie BASF kann einfach weggehen

Die wichtigsten Treiber für unternehmerischen Erfolg sind nicht Slogans und Versprechungen, sondern Innovationen, die den Kunden erst überraschen und dann beglücken müssen.

Der eigene Staat ist für die politischen Parteien das Maß aller Dinge, für die Wirtschaftsunternehmen nur eine Möglichkeit unter vielen.

Das eben ist der große Unterschied: SPD und CDU haben nur Deutschland. Ein Konzern wie BASF kann einfach weggehen.

Genau das passiert in diesen Tagen. Wir sind Zeitzeuge eines lautlosen Abschieds. Europas größter Chemiekonzern investiert zehn Milliarden Euro in eine neue chinesische Großanlage und schließt Teile der Produktion in Ludwigshafen. Man heuert in China neues Personal und verabschiedet sich von Teilen der deutschen Stammbelegschaft.

Uwe Anspach/dpa BASF

Der Grund dafür müsste die Politiker aller Parteien beschämen: Trotz fähiger Manager, hoch qualifizierter Mitarbeiter und einer langen industriellen Tradition ist es nicht mehr möglich, in Deutschland Gewinn zu erwirtschaften.

Das industrielle Stammland wirkt abgebrannt. Der BASF-Finanzchef musste dem Vorstand für 2023 mitteilen: Außer Spesen ist im Inland nichts gewesen.

Die BASF in Deutschland trägt zum Konzerngewinn 0,00 Cent bei und es gibt nach Ansicht von Aufsichtsrat und Vorstand auf absehbare Zeit auch keine Chance, diesen Trend mit betriebswirtschaftlichen Mitteln umzudrehen.

Hier sind die fünf Gründe für den Abstieg eines industriellen Superstars:

#1 Die Energiepreis-Falle

Die Basis der Industrieproduktion ist verlässliche und bezahlbare Energie. Beides ist für einen Chemiekonzern wie BASF, der 2023 einen Gesamtenergieverbrauch von 50,1 Millionen Megawattstunden aufwies, nicht mehr gegeben.

Fakten: Der EU-Rechnungshof hat die Kommission erst kürzlich gewarnt, es mit ihren Klimazielen nicht auf die Spitze zu treiben. Europa dürfe bei seinem Ehrgeiz in Sachen Klimaschutz nicht die industrielle Souveränität aufs Spiel setzen. Genau das passiert jetzt.

Martin Brudermüller sagt, dass nicht die absoluten Energiepreise das Problem seien, sondern der Vergleich mit anderen Standorten wie den USA oder dem Mittleren Osten. Deutschland fällt zurück. Wir erleben den relativen Abstieg der Wirtschaftsmacht Bundesrepublik.

#2 Regulierung erstickt Innovation

Mit der Chemie-Richtlinie hat die EU-Kommission einen weiteren Standard für Industriefeindlichkeit gesetzt. Die Klage des langjährigen BASF-Chefs Brudermüller, dass die EU die Herstellung von Chemikalien verbietet, die für die Energiewende unverzichtbar seien, verhallte ungehört.

Wer zu Hause unter Druck gerät oder gar missachtet wird, der schaut sich um in der Welt. China gerät so ins Visier, auch der BASF. Das Reich der Mitte, so Brudermüller, biete den größten Chemiemarkt der Welt, der heute bereits 50 Prozent des gesamten Chemiemarktes weltweit ausmacht. China werde im Segment der Chemikalienprodukte weiter wachsen, sagt er - "und zwar deutlich stärker als alle anderen Regionen".

#3 Die große Gewinnschrumpfung

Die operative Rendite der BASF hat sich im Vergleich zu 2017, dem Jahr vor Antritt des eben verabschiedeten CEO, auf 5,5 Prozent mehr als halbiert. Gleiches gilt für die Rendite auf das eingesetzte Kapital.

Am Standort Deutschland sind es eben nicht nur die Energiekosten, sondern auch der ständig steigende Bürokratieaufwand, die steigenden Sozialabgaben, die reduzierte Arbeitszeit bei steigendem Lohn und zu guter Letzt noch der Fachkräftemangel, der wiederum neue Lohnsteigerungen auslöst. In der Summe wirkt diese Mischung für ein Unternehmen, das profitabel arbeiten will und muss, toxisch.

Brudermüller sagt:

"Wir machen überall in der Welt Gewinne, außer in Deutschland. Der Standort Ludwigshafen macht 1,6 Milliarden Verlust."

#4 Rote Zahlen am Heimatstandort Ludwigshafen

Der größte Verbundkomplex des Unternehmens ist seit Jahren in den roten Zahlen - alle anderen Regionen der Welt sind profitabel. Der Konzern erreichte mit einem Nettogewinn von 225 Millionen Euro in 2023 nur rund drei Prozent des Nettogewinns von 2019 (8,4 Milliarden Euro).

Das heißt, die Gewinne und damit auch alle Dividendenzahlungen werden derzeit von fleißigen BASF-Arbeitern im Ausland erwirtschaftet. Das Inland frisst Gewinn und leistet zur Dividendenausschüttung keinen Beitrag mehr.

Der Vorstand kann Zahlen wie diese nicht dauerhaft ignorieren und hat deswegen den Rotstift angesetzt. Elf Produktionsanlagen in Deutschland, darunter auch relativ neue, werden jetzt dicht gemacht, meldete gestern die Tagesschau.

Das im Herbst 2022 angekündigte Sparpaket wird bis Ende 2026 insgesamt 1,1 Milliarden Euro an Einsparungen bringen. Bis Ende 2023 hat BASF davon rund 600 Millionen Euro realisiert. Da die ökonomische Situation weiterhin fragil bleibt, wird kurzerhand das Volumen des Sparprogramms um eine Milliarde Euro erhöht. Weiterer Stellenabbau und Produktionsschließungen sind die Folge.

#5 Politik und Wirtschaft: die Scheidung

Konzernchefs und Politiker haben sich nicht mehr viel zu sagen. Martin Brudermüller war einst mächtig stolz, dass er im Wirtschaftsbeirat der Grünen saß. Er glaubte, ihm gehöre das Ohr des neuen Wirtschaftsministers, nur weil Robert Habeck ihm gönnerhaft seine Handynummer überreichte. Zu Beginn der Ampelkoalition im November 2021 sagte Brudermüller voller Optimismus:

"Bemerkenswert sind Geschwindigkeit und Geschlossenheit, mit der die drei Parteien eine Vereinbarung erzielt haben. Das ist ein ermutigendes Zeichen."

Daraus wurde nichts: Habeck zieht seine Klimaagenda durch, inklusive Stilllegung der stabilen Stromlieferungen aus der Atomindustrie. Auch bei Chemie-Richtlinien, Lieferkettengesetz und Unternehmenssteuer wird kein Pardon gegeben. Der stille Abschied der BASF wird billigend in Kauf genommen.
Inzwischen klingt Brudermüller anders :

"Die Wirtschaft dringt mit ihren Sorgen und Rufen in der Bundesregierung nicht mehr durch."

Fazit: Wenn man Enttäuschung in Gold verwandeln könnte, wäre das Verwaltungsgebäude der BASF eine Kathedrale. So aber ist sie das Denkmal einer untergehenden Zeit. Die Politik wird diese vorsätzliche Ignoranz gegenüber den ökonomischen Interessen ihrer Firmen und Bürger eines Tages teuer bezahlen - womöglich mit der Demokratie selbst.


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