21. Juli 2019, 21:19 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, dpa,
Rund 2.000 Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie aus den Ländern Berlin und Brandenburg fordern am 28. November 1990 vor dem Gebäude der Treuhandanstalt in Berlin die Sanierung der Betriebe in der ehemaligen DDR und damit die Erhaltung von Arbeitsplätzen.
© Klaus Franke/dpa
Birgit Breuel, frühere Chefin der Treuhandanstalt, hat Fehler bei der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft eingestanden. "Natürlich haben wir Fehler gemacht. Das war sehr bitter", sagte die 81-Jährige der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die frühere CDU-Politikerin stand von 1991 bis 1995 als Nachfolgerin des ermordeten Detlev Karsten Rohwedder an der Spitze der Treuhandanstalt, die für die Privatisierung, Sanierung und Stilllegung der DDR-Betriebe zuständig war.
Dennoch denke sie bis heute, dass der Weg, für den sich ganz Deutschland damals entschieden habe, grundsätzlich richtig gewesen sei, sagte Breuel weiter. Nur über die Privatisierung seien Innovationen und Kapital in die Betriebe gekommen. Im Osten seien wirtschaftlich sehr erfolgreiche Regionen entstanden. "Ich würde behaupten, unsere Politik von damals hat an den Erfolgen durchaus einen Anteil."
Die Linke und die AfD im Bundestag fordern, dass ein Untersuchungsausschuss zur Treuhand eingesetzt wird. Aus ihrer Sicht hat die Behörde nicht den gesetzlichen Auftrag erfüllt, sondern Schaden angerichtet.
Birgit Breuel, die ehemalige Präsidentin der Treuhandanstalt © Axel Heimken/dpa
Die Linke in Brandenburg will zusätzlich einen Treuhand-Untersuchungsausschuss im Landtag. Für viele Brandenburger habe die Treuhand nicht nur den Verlust ihres Arbeitsplatzes bedeutet, "sondern es war auch die Abwicklung und gnadenlose Entwertung ihres bisherigen Lebens", sagte Brandenburgs Linken-Vorsitzende Anja Mayer.
Ein Untersuchungsausschuss im Landtag stehe im Wahlprogramm. "Es wäre auch eine Forderung von uns für Koalitionsverhandlungen", sagte Mayer mit Blick auf die Landtagswahl am 1. September.
Breuel ist dagegen der Überzeugung, dass man den gesamten Transformationsprozess aufarbeiten sollte, nicht nur die Geschichte der Treuhand. Zudem äußerte sie Respekt vor den Menschen im Osten: "In Westdeutschland wäre es nicht möglich gewesen, den Leuten eine Veränderung dieses Ausmaßes zuzumuten. Sie hätten das nicht durchgehalten."
"Wir mussten den Menschen wirklich sehr viel zumuten und haben das auch getan, ohne Zweifel", sagte sie im Interview mit der FAS. "Wir hatten nicht die Zeit, uns mit ihren Biografien ausreichend zu beschäftigen. Das war teilweise sehr hart. Sie haben sicherlich enorm gelitten und uns auch gehasst." Das gelte vor allem für sie persönlich: "Ich war die Hassfigur im ganzen Land."
Quellen: zeit.de / Welt.de / MDR
Von Horand Knaup und Andreas Wassermann
Waltraud Grubitzsch / DPA
Protestierende Ostbelegschaft in Leipzig 1993
Dienstag, 28.11.2017 09:39 Uhr
Iris Gleicke versah ihr Amt meist in aller Stille. Jeweils im Herbst stellte die Ostbeauftragte der Bundesregierung ihren Bericht zum Stand der Deutschen Einheit vor. Dann war wieder Ruhe.
Bis Gleicke (SPD) ein Thema ansprach, das längst vergessen schien: die Privatisierung der DDR-Staatswirtschaft, angeführt von den Chefs der Treuhandanstalt nach der Wende. Die Treuhand sei "das Symbol eines brutalen, ungezügelten Kapitalismus", sagte Gleicke 2015, die "vielen, wenn nicht den meisten Ostdeutschen traumatische Erlebnisse beschert" habe.
Brutaler Kapitalismus? Minister der Union zweifelten am Verstand der Ostbeauftragten, SPD-Parteifreunde aus dem Westen rieten ihr zur Mäßigung. Gleicke wollte aber nicht klein beigeben: Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum sollten in ihrem Auftrag klären, ob die Treuhandanstalt Segen oder Fluch für die Ostdeutschen war.
Inzwischen liegt die Studie vor, in den nächsten Tagen soll sie veröffentlicht werden. Nach der Wende sei es versäumt worden, "mit der Treuhand für eine gerechte Aufteilung des Volksvermögens zu sorgen", kritisiert Gleicke, die aus Thüringen stammt und einst beim VEB Stadtbau Suhl gearbeitet hat. "Gegen Verschwörungstheorien aller Art helfen nur Transparenz, Aufrichtigkeit und das Eingeständnis von Fehlern."
Der mehr als 130 Seiten starke Abschlussbericht ("Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt") hilft, den Erfolg der AfD in Ostdeutschland zu erklären. Und er macht deutlich, warum viele ehemalige DDR-Bürger 27 Jahre nach der Wiedervereinigung dem Establishment der Berliner Republik misstrauen, ja mitunter offen feindselig begegnen. Bis heute ist die Treuhand für sie offenkundig ein Feindbild.
Sie sei eine "erinnerungskulturelle Bad Bank", schreiben die Autoren der Studie, die Bochumer Zeithistoriker Constantin Goschler und Marcus Böick. Alle schlechten Erfahrungen der Transformationsjahre würden bei ihr abgelegt. Für viele Menschen in Ostdeutschland sei die Treuhand ein "negativer Gründungsmythos der Berliner Republik". In deren Wahrnehmung erscheine sie als "das zentrale (Negativ-)Symbol einer umfassenden, regelrecht schockartigen Überwältigung des Ostens durch den Westen".
Gegründet wurde die Treuhand noch in den letzten Tagen der DDR. Nach der Wende führten zuerst Detlev Karsten Rohwedder und dann Birgit Breuel die dem Bundesfinanzministerium unterstellte Anstalt. Ihr Auftrag war es, Volkseigene Betriebe und Kombinate zu verkaufen, zu sanieren oder zu schließen.
Insgesamt war die Treuhand für mehr als 23.000 Unternehmen verantwortlich, sie funktionierte wie eine Superholding, deren Zweck im Prinzip die eigene Zerschlagung war. Millionen Jobs gingen dabei verloren. Zahllose Ostdeutsche im arbeitsfähigen Alter waren in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre vom Treuhand-Regime direkt oder mittelbar betroffen.
Und diese Erfahrungen wirken fort, selbst noch ein Vierteljahrhundert danach. Die Bochumer Historiker interviewten nicht nur Akteure von damals, ehemalige Treuhand-Manager, Politiker, Berater, Gewerkschafter und Betriebsräte, sondern in einer Feldstudie rund 500 Personen im thüringischen Eisenach und im sächsischen Leipzig. Sie bildeten Gruppen nach Geschlecht und Herkunft und unterschieden zwischen Zeitzeugen, also Menschen, die vor 1978 geboren waren, und Jüngeren, die kaum über eigene Erinnerungen an die Zeit kurz nach der Einheit verfügen.
Auffallend ist, dass vor allem die Erinnerung der ostdeutschen Zeitzeugen an die Treuhand negativ ist. Am häufigsten fiel allen Befragten der Begriff "Abwicklung" ein, auf Platz drei rangiert "Ausverkauf", auf Platz sechs "Betrug". Nicht ganz so oft nannten die Befragten Attribute wie "Ungerechtigkeit", "Ausplünderung", "Plattmache".
Als "dominantes Erzählszenario" identifizierten die Bochumer Wissenschaftler "die Vorstellung einer radikalen und unkontrollierten Abwicklung beziehungsweise Entwertung der DDR, ihrer zuvor volkseigenen Betriebe sowie im weiteren Sinne auch ihrer Gesellschaft, Kultur und Identität".
Ob diese Wahrnehmung der Wirklichkeit entspricht, konnten und wollten die Wissenschaftler nicht überprüfen. Sie empfehlen jedoch in ihrer Studie den Politikern dringend, die Geschichte der Treuhandanstalt und der Transformationsphase in Ostdeutschland umfassend und schleunigst aufzuarbeiten. "Ansonsten wird sich die Mythenbildung vor allem im Osten verfestigen, und die Traumata aus der Nachwendezeit werden unbewältigt bleiben", sagt Historiker Böick.
Doch bis vor Kurzem verspürten vor allem Union und FDP, die Koalitionäre aus der Vereinigungszeit, wenig Interesse, die Treuhandzeit systematisch durchleuchten zu lassen. Zu groß ist offenbar immer noch die Angst, die Erzählung über die Anpassung Ostdeutschlands an Markt und Kapitalismus korrigieren zu müssen.
Kaum eine Politikerin ist näher dran an der Stimmung vieler AfD-Sympathisanten in Ostdeutschland als die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping. Im Herbst 2016 hat die Sozialdemokratin in Leipzig eine vielbeachtete Rede zur Befindlichkeit der Ostdeutschen gehalten. Zu den Wendeerfahrungen und zu dem weit verbreiteten Gefühl von Kränkung, Demütigung und Zorn. "Niemand hat konkrete Probleme wirklich ernst genommen", sagte sie damals. "Niemand hat die Lebensgeschichten gewürdigt. Niemand hat zugehört." Sie fordert inzwischen die "vorzeitige Freigabe aller Akten". Nur so sei eine "ehrliche Aufarbeitung der Nachwendezeit" möglich.
Die Treuhandakten haben bei ihrem letzten Transport 500 Lkw-Ladungen gefüllt; derzeit lagern sie in einem privaten Logistikdepot in Großbeeren südlich von Berlin. Die meisten sollen noch bis 2020 unter Verschluss bleiben - das Bundesfinanzministerium ist an einer früheren Öffnung nicht interessiert und verweist auf die Rechtslage. Das Bundesarchivgesetz ermöglicht die Öffnung der Akten frühestens nach 30 Jahren.
Bisherige Versuche, die vollständige Geschichte der Treuhandanstalt zu erzählen, waren deshalb von wenig Erfolg gekrönt. Am Ende waren sie mehr von Gefühlen als von Fakten bestimmt.
Bereits 1993 hatte der Bundestag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der Fälle von Betrug und Untreue bei der Privatisierung von DDR-Betrieben durch die Treuhand aufklären sollte. Die Erkenntnisse waren bescheiden, die Schlussfolgerungen je nach Standpunkt widersprüchlich.
Union und FDP bescheinigten der Treuhand, im Großen und Ganzen sauber gearbeitet und ihre Aufgaben "den Umständen entsprechend erfüllt" zu haben. Die SPD sprach hingegen von einer eklatanten "Verletzung der Aufsichtspflichten" und warf der seinerzeitigen Regierungskoalition vor, "die Arbeit der Treuhandanstalt bis an die Grenze der Peinlichkeit schönzureden".
Ähnlich erkenntnisarm endete auch 1998 die Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit". Das schwarz-gelbe Lager machte den Einfluss der "alten Ost-Seilschaften" für das "generelle Misstrauen gegenüber der Treuhandanstalt" verantwortlich. SPD-Abgeordnete dagegen bezeichneten die Treuhand als "reine Verkaufsagentur", deren Tätigkeit dazu führte, "dass sich die industrielle Basis der DDR überwiegend in den Konkurs auflöste".
Politische Akteure und Manager priesen die Treuhand dennoch als Erfolgsgeschichte. Es sei gelungen, "die vorgefundene Wirtschaftsstruktur systemgerecht für die Wettbewerbswirtschaft herzurichten", hieß es in einem Rückblick der Treuhand-Nachfolgeorganisation BvS aus dem Jahr 2003.
Die Autoren von Gleickes Treuhand-Studie stellen nun fest, dass alle Beteiligten in "kommunikativen Echokammern" ihre "eigenen Wahrheiten" pflegten und verteidigten. Aufarbeiten ließe sich die Transformationszeit der Neunzigerjahre auf diese Weise nicht. Dies könne aber eine "ergebnisoffene" Forschung leisten. Voraussetzung wäre jedoch der ungehinderte Zugang zu den Treuhandarchiven.
Immerhin hat Anfang dieses Jahres das Bundesarchiv schon einmal mit der Sichtung der ersten Kilometer Treuhand-Akten begonnen, es handelt sich um einen Bruchteil des Gesamtbestands. Die Arbeiten sollen einem Forschungsprojekt des Münchner Instituts für Zeitgeschichte dienen. Finanziell unterstützt wird das Vorhaben vom für die Treuhand-Hinterlassenschaften zuständigen Bundesfinanzministerium.
Ein Sprecher betont aber, dass damit kein exklusiver Zugang des Instituts zu den Akten verbunden ist. Der Bochumer Zeithistoriker Goschler hat daran Zweifel. "Vieles spricht zunächst dafür", schreibt er, dass das Ministerium, "den sich wieder intensivierenden Deutungskampf um die Treuhand und ihr Vermächtnis beeinflussen möchte".