Von Sebastian Beug
Redakteur Nachrichten & Gesellschaft
Veröffentlicht am 06.10.2024 Lesedauer: 5 Minuten
Quelle: AFP/RALF HIRSCHBERGER
Es ist eine ungewöhnliche Gruppe, die sich auf der Friedensdemonstration in Berlin zusammengefunden hat: Zwei Männer und eine Frau, die weder eine Partei noch eine Herkunft verbindet. Nur der Glaube, dass Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik völlig irrlichtert.
Zum einen Ralf Stegner, SPD-Bundestagsabgeordneter und bekennender linker Sozialdemokrat aus Schleswig-Holstein. Zum anderen Peter Gauweiler von der CSU, früher "Euro-Rebell" in der Union und inzwischen wieder Anwalt in München. Und Sahra Wagenknecht, ostdeutsche Ex-Kommunistin, Parteigründerin des BSW und Führungsfigur einer neuen Friedensbewegung. (Wagenknecht wird am 9. Oktober um 18 Uhr im WELT-TV-Duell auf AfD-Chefin Alice Weidel treffen)
Stegner, Gauweiler und Wagenknecht sprachen am Donnerstag nacheinander als Hauptredner auf der Abschlusskundgebung. Die Initiative "Nie wieder Krieg" hatte zuvor einen Marsch zum Großen Stern im Tiergarten angemeldet. Dahinter stehen langjährige Friedensaktivisten und Pazifisten, doch es war vor allem Wagenknecht, die zu der Kundgebung mobilisierte.
Die Veranstalter sprachen von "weit über 40.000 Teilnehmern", die Polizei geht eher von einer unteren fünfstelligen Anzahl aus. Neben Friedensinitiativen riefen auch BSW, Linkspartei, Kommunisten, Marxisten und propalästinensische Gruppen zur Demonstration auf. Eine Gruppe Sozialdemokraten um Stegner veröffentlichte einen eigenen Aufruf, in dem sie ausdrücklich die Unterstützung der Ukraine zur Selbstverteidigung billigten.
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Stegner sprach auf der Kundgebung nach Beiträgen der Veranstalter und der Linken-Politikerin Gesine Lötzsch. Als Vertreter der regierenden SPD hatte er einen schweren Stand. Der Sozialdemokrat betonte, dass auch militärische Hilfe für die Ukraine richtig sei. "Was den Teil angeht, dass Luftabwehr geschickt wird", sagte Stegner, "das rettet jeden Tag Leben, weil Schulen, Kindergärten, Wohngebiete und die Energieversorgung geschützt wird gegen Drohnen und Raketen."
Die Menge buhte, einige riefen "Kriegstreiber". Stegner schlug eine derartige Missbilligung entgegen, dass eine Vertreterin der Gruppe "Nie wieder Krieg" an das Mikro trat: "Man muss nicht mit allen einer Meinung sein, aber ich bitte darum, dass wir uns gegenseitig zuhören und nicht ausbuhen."
Stegner sprach sich für eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg aus und erinnerte daran, dass der Nato-Doppelbeschluss, den er in den 70er-Jahren abgelehnt habe, ein Gesprächsangebot an Russland enthalten habe. Mit Blick auf Willy Brandt sagte der 65-Jährige: "Die SPD war und ist Teil der Friedensbewegung." Wieder Buhrufe - auch, als Stegner erklärte, Antisemitismus werde nicht geduldet.
Später erklärt Stegner auf X, die Buhrufe und Pfiffe zeigten erst recht, dass man die Friedensbewegung nicht Populisten überlassen dürfe. "SPD gehört da hin!", schrieb er. "Politik ist keine Schönwettersache!" Bereits im Vorfeld war Stegner stark für seinen Auftritt kritisiert worden.
Einfacher hatte es Gauweiler. "Ich habe noch nie in meinem Leben auf einer Kundgebung der Friedensbewegung gesprochen", stellte er fest. Der 75-Jährige begründete seinen Pazifismus mit dem Wirken des damaligen Verteidigungsministers Franz-Josef Strauß (CSU). "Wir sind dabei, das zentrale Gründungsversprechen der Bundeswehr zu brechen", sagte Gauweiler. "Das lautete: Streitkräfte nur zur Landesverteidigung aufzustellen."
Auch an Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) erinnerte er. Bis zum Schluss habe sich Kohl geweigert, die Bundeswehr nach Jugoslawien zu schicken. "Er hat das abgelehnt aus guten Gründen, weil sonst die Vorschrift im Grundgesetz gebrochen worden wäre." Er halte es für "Wahnsinn", der Ukraine den Einsatz deutscher Raketen auf Ziele in Russland zu erlauben. "Dass das allein als Option bezeichnet wird, ist ein weiterer Bruch des Gründungsversprechens der Bundeswehr", sagte Gauweiler.
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Wagenknecht lobte zunächst ihre Vorredner. "Ich finde es sehr gut, dass wir heute diese Breite und politische Vielfalt bei den Rednern haben." Sie bedaure, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) nicht Teil der Friedensbewegung seien. "Aber ich bin froh über jede Stimme in der SPD, die sich für einen anderen Weg ausspricht."
Dann aber holte die BSW-Gründerin zum Rundumschlag aus: Wagenknecht warf der Bundesregierung vor, blind dem zu folgen, was irgendwer in Washington sage. "Wir stehen wieder davor, dass US-Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden sollen. Mein Gott, das ist doch ein Wahnsinn", sagte sie. "Wir dürfen nicht weiter in diese Richtung gehen. Das ist verdammt gefährlich, was da passiert."
Sie dankte zum Tag der Deutschen Einheit Michail Gorbatschow, dem damaligen Präsidenten der Sowjetunion. Und warnte die Teilnehmer, die im einsetzenden Nieselregen ausharrten, dass aus dem Krieg in der Ukraine ein "großer europäischer Krieg" werden könne.
"Ich finde es entsetzlich, wie in unserem Land inzwischen diskutiert wird", sagte Wagenknecht weiter. "Wie Leute niedergemacht werden, wenn sie für Verhandlungen werben und für Diplomatie. Wie sie hingestellt werden als Stimme des Kremls, als Putins Pressesprecher. Was für eine Schande, für die, die so diskutieren."
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Wagenknecht bezeichnete Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) als "Sicherheitsrisiko". Mit Anton Hofreiter (Grüne), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Roderich Kiesewetter (CDU) würde sie ein "Bataillon der Maulhelden der Kriegstüchtigkeit" aufstellen - das dürfe gerne einmal eingesetzt werden, schob sie unter dem Jubel der Demonstranten nach.
Den russischen Präsidenten Wladimir Putin bezeichnete sie als einen Verbrecher, geißelte in den folgenden Sätzen aber auch die Kriege der USA - ein Muster, das Wagenknecht auch im Nahost-Konflikt anwendet: das Allgemeinverbindliche sagen, um sogleich deutliche Kritik zu äußern und Doppelmoral zu beklagen.
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Die Massaker der Hamas seien "abscheulich", Jubel über Irans Raketenbeschuss "menschenverachtend", sagte Wagenknecht. "Trotzdem möchte ich auch sagen: Wer zu den furchtbaren Kriegsverbrechen im Gazastreifen schweigt, der soll mir nicht damit kommen, dass er moralisch ist." Zu den propalästinensischen Demonstranten, die mit "Yallah Intifada"-Rufen eine Auftaktkundgebung der Friedensdemonstration gekapert hatten, sagte Wagenknecht indes nichts.
Zuletzt sprach sie noch einmal die mögliche Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland an. "Wir müssen diese verdammten Raketen verhindern, die unser Land in die Ziellinie russischer Atomraketen bringen", sagte Wagenknecht. "Nein zu den US-Raketenplänen, nein zu Kriegen und für Verhandlungen." Das Publikum jubelte.
Viele Teilnehmer verließen die Kundgebung nach der Wagenknecht-Rede, obwohl das Programm auf der Bühne weiterging. Auch die 55-Jährige schien wenig Interesse am weiteren Verlauf ihrer nunmehr dritten Friedensdemonstration zu haben. Nach einem Bild mit Gauweiler, ihrem Mann Oskar Lafontaine und der BSW-Politikerin Sevim Dagdelen gab Wagenknecht noch ein kurzes Fernsehinterview. Dann verschwand sie in einer Limousine.