FOCUS-Online-Redakteur Christian Döbber
Freitag, 30.04.2021, 16:49
FOCUS Online: Herr Traub, auch in Corona-Zeiten protestieren viele Ihrer ehemaligen Freunde und Weggefährten von Fridays for Future für den Klimaschutz. Bereuen Sie, dass Sie nicht mehr dabei sind?
Clemens Traub: Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Wenn ich Bilder von den Demos sehe, fühle ich mich in meiner Entscheidung bestätigt, die Bewegung zu verlassen. Es stört mich, wie die Demonstranten auftreten: überheblich, mit erhobenem Zeigefinger, so als ob sie die einzige Wahrheit für sich gepachtet hätten.
Fridays for Future hat überhaupt kein Gespür dafür, dass es durch Corona sehr viele Menschen gibt, die die Klimaapokalypse in diesen Tagen gar nicht mehr als das wichtigste Problem begreifen können. Viele Leute bangen um ihre Jobs oder haben sie schon verloren und wissen nicht, wie sie ihre Miete noch bezahlen sollen. Für diese Leute geht gerade ihre eigene Welt unter. Und ich nehme es ihnen nicht übel, dass ihnen die Waldbrände in Kalifornien gerade ziemlich egal sind.
Fridays for Future ist da weniger kompromissbereit. Für die Bewegung ist das Gros der Menschen inzwischen zum Feind geworden - weil es nicht genauso denkt wie sie selbst. Das ist ziemlich gefährlich - für die Klimadebatte und für unsere Gesellschaft.
Wovor warnen Sie?
Traub: Das Denken von Fridays for Future konzentriert sich zunehmend auf ein Schwarz gegen Weiß, ein Gut gegen Böse. Das nimmt inzwischen so besorgniserregende Züge an, dass völlig absurde Täter-Opfer-Bilder entstehen: Die Reinigungskraft, die ihre drei Kinder ernähren muss, aber aus Geldmangel im Discounter einkauft, wird zur Klimasünderin. Der Angestellte vom Land, der seinen Diesel braucht, um zur Arbeit zu kommen, ist schuld an der globalen Erwärmung. Und der Einser-Stipendiat aus Hamburg Blankenese wird zum Klimahelden hochstilisiert, weil er das 20-Euro-Ökosteak kauft.
Der Klimaprotest wird so zu einem totalen, autoritären Kampf gegen den Rest der Menschheit - und das gerade in einer Zeit, in der es in unserer Gesellschaft ohnehin Verdruss über die Eliten gibt und sich zwei große Gruppen gegenüberstehen: Jene, die von der Zukunft profitieren und sie als Chance sehen; und jene, die aus oft berechtigten Gründen Angst vor Veränderung haben.
In Ihrem Buch schreiben Sie, die soziale Herkunft der Demonstranten sei der eigentliche Geburtsfehler von Fridays for Future. Ärztetöchter und Juristensöhne würden anderen die Welt erklären. Sie selbst kommen aus einer Akademikerfamilie - und wissen, dass viele große gesellschaftliche Bewegungen ihren Anfang im bürgerlichen Milieu genommen haben.
Traub: Mir geht es nicht darum, Akademiker-Bashing zu betreiben. Es ist aber ein Fakt, dass 90 Prozent der Aktivisten ein Abitur haben oder es anstreben. Bei den Demos laufen Gymnasiasten mit, aber keine Hauptschüler, es sind Hochschulprofessoren dabei, aber keine Kfz-Mechaniker. Das ist ziemlich einseitig für eine Bewegung, die für sich in Anspruch nimmt, den Querschnitt der Gesellschaft abzubilden.
Mich verwundert die Zusammensetzung der Aktivisten aber nicht: Nur wem es materiell halbwegs gut geht, hat auch die Zeit und die Muße, sich intensiv für den Klimaschutz einzusetzen - wie es die meisten Fridays for Future Aktivisten tun. Die Bewegung war von Beginn an viel zu homogen, viel zu elitär und entsprechend viel zu abgehoben, als dass sie dies selbst überhaupt auch nur bemerkt hätte. Und das ist ihr großes Problem.
Trotzdem übt die Bewegung auf viele junge Menschen nach wie vor eine große Anziehungskraft aus. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Demo?
Traub: Das war Anfang 2019, als Fridays for Future auf ihrem absoluten Höhepunkt waren. Ich habe die Bewegung als bunt, unerschrocken und mit unfassbarem Kampfgeist wahrgenommen. Sie zieht auch deshalb so viele junge Menschen in ihren Bann, weil dahinter keine politische Partei, keine Organisation, keine Lobby steht. Es ist ein ziemlich großartiges Gefühl, mit Tausenden Gleichgesinnten auf die Straße zu gehen im vermeintlichen Wissen, dass man auf der richtigen Seite steht. Und zugegeben: Es fühlt sich gut an, wenn man plötzlich jede Menge Feindbilder hat: Dieselfahrer, Kreuzfahrttouristen, Plastiktüten-Träger. Der Hass auf sie schweißt zusammen.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Traub: Ich habe gemerkt, dass ich irgendwann keine Lust mehr auf Kompromisse hatte. Am sichtbarsten wurde das, als ich in meiner Heimat, einem kleinen Weindorf in der Pfalz, auf Besuch war.
In Mainz, wo ich studiere, waren die Proteste ein omnipräsentes Thema. In meiner Heimat dagegen sprach niemand darüber. Wenn ich an den Wochenenden nach Hause gekommen bin, haben die Leute nur den Kopf geschüttelt. Für viele war ich nur der Spinner aus der Großstadt. Zwei vollkommen verschiedene Welten sind hier aufeinandergeprallt.
Anfangs habe ich die Leute als uninformiert abgetan. Das ist übrigens ein ganz typischer Ausgrenzungsmechanismus von Fridays for Future: Wer sie kritisiert oder nicht alles für den Klimaschutz unternimmt, ist entweder dumm oder interessiert sich nicht für die Welt. Inzwischen schäme ich mich dafür und weiß, dass viele meiner Freunde auf dem Land eigentlich recht hatten.
Was war für Sie der Auslöser, der Bewegung den Rücken zu kehren?
Traub: Das war ein Vorfall in der Mensa meiner Uni. Meine Kommilitonen, von denen viele große "FfF"-Anhänger sind, hatten durchgesetzt, dass es dort kein Plastik-Geschirr mehr gibt. Was ein nettes Zeichen für den Umweltschutz sein sollte, führte schnell in ein kleines Chaos: ein Stück Himbeertorte nur auf der bloßen Hand ohne Telleruntersatz zu balancieren, ist schwieriger, als es sich anhören mag. Als das erste Stück herunterfiel, brach in der Mensa schnell eine Diskussion los.
Die Kassiererinnen konnten über das in ihren Augen idiotische Plastikverbot nur lachen. Als meine Kommilitonen von dieser in ihren Augen fehlenden Einsicht erfuhren, schlug die Stimmung jedoch um. Anstatt mit humorvollem Smalltalk zu reagieren, beschimpften sie die Kassiererinnen herablassend und auf übelste Weise. Ich werde nie vergessen, wie an diesem Tag im vermeintlichen Kampf für den Klimaschutz jeder Anstand und die Mitmenschlichkeit verloren gingen. An diesem Punkt war für mich klar: So bin ich nicht, so will ich nicht sein.
Das Klima wollen Sie aber noch immer retten, oder?
Traub: Absolut. Mir geht es nicht darum, jetzt alle gegen Greta Thunberg aufzuhetzen. Ich habe nur gesehen, dass Fridays for Future mit seiner abgehobenen und lebensfremden Art viele Menschen vergrault. Die brauchen wir aber, um im Kampf gegen den Klimawandel auch Erfolg zu haben. Ich plädiere für eine inklusivere Klimabewegung, die näher an den Menschen ist - eine, die es schafft, nicht nur Hochschulprofessoren, sondern auch Elektriker, Lkw-Fahrer und Kfz-Mechaniker hinter sich zu versammeln.
Was würden Sie anders machen?
Traub: Ich würde dafür sorgen, dass die Bewegung aus ihrer Wohlfühlzone herauskommt. Bislang sind sie nur dort vertreten, wo ihnen der Applaus garantiert ist: in Städten und an Unis zum Beispiel. Stellen Sie sich mal vor, Fridays for Future würde auf das Land, in Dörfer, in Ausbildungsbetriebe gehen, um für ihr Anliegen zu werben. Da würden ihnen sicherlich viele Menschen widersprechen. Aber gleichzeitig könnten durch genau solche Begegnungen gegenseitig Klischees abgebaut werden.
Außerdem glaube ich, dass Klimaschutz nicht am Reisbrett gemacht werden kann: Wir müssen berücksichtigen, welche Konsequenzen entsprechende Maßnahmen für die Menschen mit sich bringen. Eine vernünftige Klimapolitik braucht den Kompromiss und keine Verbotskultur.
Was heißt das ganz konkret? Muss ich mich in Ihren Augen dafür schämen, wenn ich einen Diesel fahre, ab und an im Supermarkt zur Plastiktüte greife oder gerne mal eine Kreuzfahrt machen würde?
Traub: Nein, für solche Dinge muss man sich nicht schämen. Natürlich wäre es besser, wenn Sie auf Plastik verzichten und Ihren Urlaub statt auf einem Kreuzfahrtschiff in einer Öko-Lodge verbringen würden. Doch wenn Sie es nicht tun, sind Sie trotzdem nicht schuld am Weltuntergang
Anstatt über moralische Schuldfragen einzelner Konsumenten zu diskutieren, sollten wir uns überlegen, was die Politik, die Gesellschaft als Ganzes im Kampf gegen den Klimawandel unternehmen kann.
Viele Menschen ermüdet die andauernde Klima-Debatte - und das obwohl das Thema so wichtig ist. Wie können wir das verändern?
Traub: Ich verstehe jeden, der sich dem Thema verschließt. Es sind die von Fridays for Future permanent propagierten apokalyptischen Bilder, die die Menschen langweilen und den innovativen Diskurs lähmen. Ich finde, wir sollten den Spieß umdrehen und die Debatte so führen, dass Klimaschutz mit Chancen und Hoffnung assoziiert wird. Denn wenn man ihn wirtschaftspolitisch gut umsetzt, können vielleicht in Zukunft sogar Hunderttausende neue Arbeitsplätze entstehen.
Die University of Michigan zum Beispiel forscht gerade daran, wie Solarzellen in Fenster integriert werden können. Vertical Farming, also Gemüseanbau an Hochhauswänden, könnte dafür sorgen, dass wir unser Obst nicht mehr aus Südamerika importieren müssen. Das sind konkrete, pragmatische Ideen, die wir auf der Agenda haben sollten. Wenn wir es schaffen, Lösungen statt finstere Abgründe in den Vordergrund der Debatte zu bringen, dann könnte Klimaschutz zu einem echten Gewinnerthema in Deutschland werden.
Haben Sie eigentlich Rückmeldungen von Ihren ehemaligen Freunden und Mitaktivisten bekommen? Wie denken die über Sie heute?
Traub: Viele betrachten mein Buch und meine Aussagen als absoluten Verrat. Sie wünschen mir nichts Gutes. Aber das stört mich nicht. Denn ich bekomme auch gigantische Zustimmung von Leuten, die mir sagen, dass ich ihnen aus der Seele spreche.
Gibt es eine Chance, dass Sie irgendwann wieder mit Fridays for Future demonstrieren?
Traub: Natürlich. Aber nur, wenn die Bewegung aufhört, mit ihrer Art des Protests andere vor den Kopf zu stoßen. Wenn sie sich so verändert hat, dass sie alle abholt - den Hochschulprofessor und den Lkw-Fahrer.
Quelle: focus vom 30.04.2021