Freitag, 29.12.2023, 12:00
Von isabel.pogner@vnp.de (Isabel Pogner)
Gegen Mittag ist eine 54 Jahre alte Frau am Donnerstag mit ihrem 13 Jahre alten Sohn von München nach Nürnberg gefahren. Mit ihnen im Abteil des ICE saß eine 31-Jährige. Die öffnete ihre Hose und fing an, "sich selbst mit ihren Fingern zu befriedigen", berichtet die Bundespolizei. Ein Zugbelgeiter, der mit im Abteil saß und das Ganze beobachtete, verständigte die Einsatzkräfte.
Als die Bundespolizei das Abteil am Hauptbahnhof Nürnberg betrat, befriedigte sich die Frau noch immer. Die Polizisten verboten ihr, weiterzufahren und nahmen sie mit zur Dienststelle. Aber warum eigentlich?
In der Online-Ausgabe des "MSC Manual", eines Handbuchs für Medizin, erklären die Autoren: "Unter Exhibitionismus versteht man das Entblößen der Genitalien, um sexuell erregt zu werden, oder das starke Verlangen, von anderen Leuten während der sexuellen Aktivität beobachtet zu werden." Die meisten Exhibitionisten seien Männer - und hätten keine exhibitionistische Störung. So viel zur Theorie aus dem Bereich Medizin.
Das Gesetz definiert Exhibitionismus als "eine sexuelle Präferenz, bei der eine Person es als besonders lustvoll empfindet, sich vor anderen nackt beziehungsweise bei sexuellen Aktivitäten zu präsentieren. Zumeist handelt es sich bei den anderen Personen um fremde und unfreiwillige Zuschauer." Laut anwalt.org, einem Angebot des Verlag fu?r Rechtsjournalismus, ist der Tatbestand "Exhibitionistische Handlungen" unter § 183 im Strafgesetzbuch verankert.
Kurioserweise können sich laut Strafgesetzbuch aber nur Männer wegen Exhibitionismus strafbar machen. In § 183, Absatz 1, steht explizit: "Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft."
Laut "anwalt.org" ist Exhibitionismus das einzige Delikt, bei dem das Geschlecht des Täters eine Rolle spielt. Völlig ungestraft kommen Exhibitionistinnen aber nicht davon - sie können wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" angezeigt werden. So auch im Fall am Nürnberger Hauptbahnhof: Die Beamten leiteten ein Ermittlungsverfahren wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses gegen die 31-Jährige ein, heißt es in der Mitteilung.
Über die kuriose Regelung hat das Bundesverfassungsgericht schon zweimal entschieden, berichtet Rechtsanwalt Alexander Stevens im "Stern". Er beschreibt: "Der Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht sind trotz Gleichberechtigung nach wie vor der festen Überzeugung, dass die Präsentation des unbekleideten weiblichen Körpers nicht strafbar sein soll." Für Stevens ist das nicht nur ungerecht, sondern auch sexistisch, denn, so das Argument des Gerichts: "Vom Mann geht angeblich eine deutlich aggressivere Sexualität aus", oder mit anderen Worten: Frauen würden in ihrer Sexualität weniger ernst genommen.