Frankreich Macron deckelt den hohen Strompreis - auf Kosten der deutschen Verbraucher

Stand: 17.08.2022 | Lesedauer: 5 Minuten

Von Martina Meister
Frankreich-Korrespondentin

Fast die Hälfte der französischen AKWs sind abgeschaltet, das Land importiert Strom aus Deutschland. Im Winter droht ein Engpass, schon jetzt steigen die Preise. Macron sorgt dafür, dass die französischen Verbraucher davon nichts mitbekommen. Das verstärkt die Preisexplosion für Deutschland. Quelle: picture alliance/abaca/Eliot Blondet;
Montage: Infografik WELT

Seit Anfang August sind die Strompreise an der europäischen Terminbörse für den kommenden Winter explodiert. Aber mehr als die deutschen schossen die französischen in die Höhe. Obwohl Frankreich kaum von russischem Gas abhängt, wird Strom am Terminmarkt für den kommenden Winter fast doppelt so hoch gehandelt wie in Deutschland: Eine Megawattstunde für das vierte Quartal kostete in Deutschland vor wenigen Tagen 600 Euro, in Frankreich lag der Preis für November bei 1055 Euro.

Innerhalb weniger Wochen haben sich die langfristigen Strompreise in Frankreich fast verdoppelt, wie die Energieaufsichtsbehörde CRE konstatiert. Auffallend ist vor allem die Preisschere.

Quelle: Infografik WELT

Die Experten der CRE sprechen von einem "historischen Preisunterschied" zwischen den beiden Nachbarländern, den sie sich nicht recht erklären können. Sicher ist nur eins: Die erwartete Preisexplosion in Frankreich dürfte die Strompreise in ganz Europa nach oben treiben, auch in Deutschland.

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Hintergrund ist ein Versorgungsengpass, denn Frankreichs Atomkraftwerke laufen seit vergangenem Winter auf Sparflamme. Nur 29 der 56 Meiler sind derzeit am Netz, 27 sind abgeschaltet, bestätigt eine Sprecherin des französischen Energieriesen EDF.

Bei fast allen ist die Produktion gedrosselt. Am Dienstag lieferten nur die beiden Meiler des AKW von Nogent an der Marne nahezu ihre Normalleistung. EDF sagt voraus, in diesem Jahr ein Viertel weniger Strom als üblich zu produzieren - so wenig wie zuletzt vor 30 Jahren.

Die Krise kommt für Paris zur Unzeit

In einem Land, das 67 Prozent seines Strombedarfs aus Atomkraftwerken deckt, können die Auswirkungen auf die Preise kaum verwundern. Die Krise kommt allerdings nicht nur wegen der energiepolitischen Auswirkungen des Angriffskriegs auf die Ukraine zur Unzeit, sondern auch, weil Brüssel auf Betreiben von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron der Atomkraft gerade erst das Ökosiegel verliehen hat. Es drängt sich die Frage auf, wie krisensicher Atomkraft eigentlich ist.

Tatsächlich hat sich Frankreich in wenigen Monaten vom europäischen Strom-Nettoexporteur in einen Importeur verwandelt, wie eine gerade veröffentlichte Studie des Energieanalysten EnAppsys belegt. Experten bezeichnen Frankreich inzwischen als das "Problemkind Europas".

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Auf den Energiecharts des Freiburger Fraunhofer-Instituts kann man die Entwicklung nachvollziehen. Sie weisen Frankreich seit April als Nettoimporteur aus und widerlegen damit den Glauben, dass Deutschland ohne den Atomstrom des französischen Nachbarn nicht zurechtkäme.

Deutschland hat seit Jahresbeginn 12,7 Terawattstunden (TWh) nach Frankreich exportiert, Frankreich umgekehrt nur drei TWh nach Deutschland. Ohne teure Stromimporte aus Nachbarländern würde es in Frankreich längst Versorgungsengpässe geben, mit denen im Winter endgültig gerechnet wird. Regierungschefin Elisabeth Borne hat ihre Landsleute deshalb zum "Energieverzicht" aufgerufen.

Bislang bekommen die französischen Verbraucher die Explosion nicht zu spüren. Aus Angst vor einer zweiten Gelbwesten-Krise deckelt die Regierung in Paris bereits seit Ende vergangenen Jahres die Strompreise bei einer Erhöhung von nur vier Prozent. In dem kurz vor der Sommerpause verabschiedeten Kaufkraftgesetz wurde diese Maßnahme bis Ende dieses Jahres verlängert.

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Schuld am Einbruch der Stromproduktion sind nicht nur die durch die Corona-Pandemie verzögerte Wartungsarbeiten an den Reaktoren, sondern vor allem schwerwiegende Korrosionsschäden im Sicherheitskreislauf, die im Dezember in der jüngeren Generation von Reaktoren entdeckt wurden.

Zwölf der jüngsten und damit leistungsstärksten Reaktoren sind nicht am Netz. Wegen der Rostschäden hat sich auch die Dauer der Zehnjahresinspektion, die normalerweise fünf Monate in Anspruch nimmt, verdoppelt. Angesichts der Strompreise an der Terminbörse wird offensichtlich davon ausgegangen, dass diese Probleme im Winter noch nicht gelöst sind.

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Hinzu kommt die seit vielen Wochen anhaltenden Dürre und die damit einhergehende Trockenheit. Selbst große Ströme wie die Loire, die Garonne und die Rhône führen dieses Jahr zu wenig und teilweise auf über 28 Grad erwärmtes Wasser. Inzwischen gelten jedoch strenge Umweltregeln für das Kühlwasser, das bestimmte Typen von Atomkraftwerken leicht erwärmt wieder in die Flüsse zurückleiten.

Wenn die Flüsse nicht ausreichend Wasser führen oder die Wassertemperatur durch Hitzewellen erhöht ist, muss die Produktion gedrosselt oder der Reaktor schlimmstenfalls vom Netz genommen werden, um Fauna und Flora nicht zu gefährden. Das war zuletzt 2019 bei einem AKW der Fall. In diesem Jahr musste das Kernkraftwerk Blayais wegen außergewöhnlich früher Hitze seine Produktion bereits im Mai drosseln. Im Juni folgte Saint-Alban an der Rhône.

Anfang August hat Paris Ausnahmeregelungen für insgesamt fünf AKWs erteilt, die nicht vom Netz gehen müssen, aber aufgefordert werden, ihre Produktion auf ein "Minimum" zurückzufahren, wie es in einem Erlass der Regierung heißt. Begründet wird das mit Energieengpässen, die die "öffentliche Sicherheit" gefährden könnten. Die Ausnahmeregelung gilt zum Beispiel für das AKW in Golfech im Südwesten Frankreichs und Tricastin an der Rhône.

Insgesamt gingen rund 470 Gigawattstunden auf Kosten der Dürre in Frankreich, rechnet Callendar Climate Intelligence vor, ein Start-up, das sich auf Einschätzung von Klimarisiken spezialisiert hat. Eine Zahl, die aufgrund angekündigter Hitzewellen noch steigen wird.

Angesichts der klimatischen Herausforderungen und der nötigen Reparaturen einer ganzen Generation von Reaktoren sind die Aktien des hoch verschuldeten Unternehmens EDF weiter gefallen. Allein die ungeplanten Stromeinkäufe werden den Konzern voraussichtlich 24 Milliarden Euro kosten.

Da EDF die Preise nicht auf die Verbraucher abwälzen kann, verlangt der Konzern jetzt mehr als acht Milliarden Euro von seinem Hauptaktionär, dem Staat. Für das wirtschaftliche Desaster hat Macron eine schnelle Lösung gefunden: Der Energieriese, zu fast 84 Prozent Staatseigentum, soll nun komplett verstaatlicht werden. Außerdem hat der Präsident angekündigt, er wolle sechs neue AKWs bauen lassen. Mit dem Ökosiegel der EU wird sich das finanzieren lassen. Die Rettung von EDF aber wird der französische Steuerzahler bezahlen.


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