Eine Analyse von Julia Wäschenbach, Kopenhagen
12. Juni 2021, 11:28 Uhr
Ein Flüchtling kommt an der dänischen Grenze an. Hinter sich eine gefährliche Reise über das Mittelmeer, vor sich das Land, von dem Bekannte erzählt haben, hier habe man es gut, und die Menschen seien freundlich. Doch nach den Vorstellungen der dänischen Regierung sitzt der Flüchtling kurz darauf schon im nächsten Flugzeug Richtung Süden. Zielort: ein Lager in einem afrikanischen Land, Ruanda vielleicht. Dort will Dänemark künftig nicht nur Asylanträge bearbeiten, sondern Schutzbedürftigen auch Asyl gewähren.
Hinter den Plänen steht eine Strategie, mit der Dänemark versucht, die Zahl der Flüchtenden im Land dauerhaft so niedrig wie möglich zu halten: Abschreckung. "Wir sind sicher, dass niemand den Wunsch hat, wieder aus Europa rausgeschickt zu werden, wenn er es einmal erreicht hat", sagt Rasmus Stoklund, integrationspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten.
Die Idee ist nicht neu. Schon in der Flüchtlingskrise 2015 warnte die damalige liberale Regierung in Zeitungsanzeigen im Libanon vor den schlechten Bedingungen für Flüchtende in Dänemark. Eine Verschärfung des Asylrechts folgte auf die nächste, mehr als 100 waren es am Ende. Finanzielle Hilfen wurden gestrichen, die Familienzusammenführung erschwert.
Etwa um diese Zeit seien auch die Sozialdemokraten auf die "nationalistische Welle aufgesprungen und Hardliner in der Flüchtlingspolitik geworden", sagt der Kopenhagener Migrationsforscher Martin Lemberg-Pedersen. Bei der Wahl 2015, aus der die bürgerlichen Parteien als Sieger hervorgingen, hatten die Sozialdemokraten viele Wählerinnen und Wähler an die Rechtspopulisten verloren. Danach verwendeten sie viel Zeit darauf, herauszufinden, was die Wähler bei ihnen vermissen. Inzwischen haben sie die Dansk Folkeparti rechts überholt.
Vor dem Gesetz zu Asyl-Lagern in Drittländern, von einer breiten Mehrheit im Parlament verabschiedet, warnen sowohl die EU-Kommission als auch das UN-Flüchtlingshilfswerk. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen lässt die Kritik kalt. Null Flüchtende sind das Ziel ihrer Regierung, und die Mehrheit der Däninnen und Dänen hat sie hinter sich.
Wer Dänemark vor allem aus den Westküstenurlauben seiner Kindheit kennt, fragt sich, wie das zusammenpasst: auf der einen Seite die entspannten, gastfreundlichen Skandinavier, und auf der anderen Seite eine Gesellschaft, die Flüchtende derart ablehnt, obwohl sie kaum welche aufnimmt. 1.547 Flüchtende kamen 2020 nach Dänemark, so wenige wie noch nie.
Eher schleichend hat sich die ablehnende Haltung gegenüber Flüchtenden in der Bevölkerung breitgemacht, seit die Rechtspopulisten um die Jahrtausendwende stubenrein wurden und von da an die Ausländerpolitik maßgeblich prägten. "Sprache und Worte können über eine lange Zeit wie kleine Dosen Gift wirken", sagt Migrationsforscher Lemberg-Pedersen. "Der Effekt zeigt sich erst sehr spät. Wenn man sich an einen gewissen Sprachgebrauch gewöhnt hat, ist er nicht mehr besonders umstritten."
Der Ton in Dänemark ist schon immer etwas rauer als woanders, es gibt weniger Tabus. Die sozialen Medien haben das verstärkt. Doch auch auf der Straße sind extreme Ansichten salonfähig geworden. Eine ältere Dame in Perlenkette und feiner Bluse, in der Kopenhagener Innenstadt auf die Flüchtenden angesprochen, nennt sie "Kriminelle, die unseren Wohlfahrtsstaat ausnutzen".
Das Dänemark, das viele Flüchtende in ihrem Alltag erleben, ist ein anderes. "Ich bin sehr glücklich hier", sagt Rasha Kairout. Die 38-jährige Syrerin ist mit ihren zwei Kindern vor dem Assad-Regime geflohen. Sie erzählt von warmherzigen Menschen, denen sie viel zu verdanken hat. "Wenn ich um Hilfe bitte, helfen die Dänen mir." Doch wie viele andere Syrer aus Damaskus soll sie ausgewiesen werden, weil die Behörden ihre Heimat als sicher eingestuft haben.
Weil das Land nicht mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad zusammenarbeitet, kann Kairout aktuell nicht abgeschoben werden. Sie und ihre Kinder könnten aber in einem der dänischen Ausreisezentren landen. Dort dürfen Flüchtende weder arbeiten noch zur Schule gehen. "Die Verhältnisse in diesen Zentren sind furchtbar. Sie sind darauf ausgelegt, dass man keine Lust hat, dort zu wohnen", sagt Lemberg-Pedersen.
Ob Asyl-Lager in Afrika oder die Ausweisung aus Syrien Geflüchteter - jedes Mal, wenn in Dänemark ein noch härteres Ausländerrecht beschlossen wird, macht das alle Flüchtenden im Land nervös. Sogar die, die gar keinen Grund dazu haben, weil sie ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht haben, sagt Mette Blauenfeldt von der dänischen Flüchtlingshilfe, wo sich 7.000 Freiwillige für Zuwanderer engagieren. "Man stresst eine große Gruppe Menschen völlig ohne Grund."
Viele Syrerinnen und Syrer aus Damaskus und Umgebung - auch viele derjenigen, die vor Kurzem einen Ausweisungsbescheid erhalten haben - dürfen im Endeffekt bleiben. Doch weil sie seit einer Gesetzesänderung 2019 immer nur zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnisse bekommen, haben sie größere Probleme, eine Lehrstelle oder einen Job zu finden.
Dabei wollen gerade viele ländliche Kommunen, die Einwohner an die großen Städte verlieren, gern Flüchtende aufnehmen. "Es gibt eine große Diskrepanz zwischen den Ausländergesetzen und dem, was sich in den Gemeinden abspielt", sagt Blauenfeldt. Schon jetzt hätten etliche Gemeinden Interesse bekundet, 200 kongolesische Quotenflüchtende aufzunehmen, die im Herbst nach Dänemark kämen. 2020 haben insgesamt rund 600 Flüchtende eine Aufenthaltserlaubnis bekommen - das entspricht im Durchschnitt etwa sechs Einwanderern, die jede Kommune aufnehmen müsste.
Lokalpolitikern und dem ständigen Wahlkampfmodus der Parteiführung. Trotzdem begründet Sozialdemokrat Stoklund die harte Ausländerpolitik der Regierung mit den "unglaublichen Summen", die die Flüchtenden den Staat kosten würden. Parteimitglieder in der Fläche, die die Ausländerpolitik der Regierung in Kopenhagen infrage stellen, werden laut Lemberg-Pedersen als naiv abgetan. Es gebe eine Kluft zwischen lösungsorientierten
Die Rhetorik der Regierung habe dazu beitragen, dass sich viele Däninnen und Dänen durch die Einwanderung bedroht fühlen, meint der Migrationsexperte. Mehr noch als die Sorge um ihren Wohlfahrtsstaat spiele die Angst um ihre Kultur eine Rolle. Kritiker dieser ausländerfeindlichen Linie, es gibt sie, aber sie sind erstaunlich leise. Mitte Mai waren sie einmal laut, als Tausende Menschen in 25 Städten auf die Straße gingen, um für die syrischen Geflüchteten zu demonstrieren. Doch im Parlament können die Parteien, die für eine andere Ausländerpolitik werben, wenig ausrichten.
Wohin bewegt sich Dänemark? Eine Frage, die Lemberg-Pedersen Angst macht: "Natürlich kann sich immer etwas ändern. Aber wenn man sich die Art und Weise anschaut, wie sich diese Form von Rhetorik und Politik und Gesetzgebung in den vergangenen Jahren beschleunigt hat, ungeachtet der internationalen Kritik, dann weiß ich gerade nicht, was sie bremsen soll."
Zumindest im Fall der Asyl-Lager bleibt es vorerst bei Symbolpolitik. Denn noch ist kein Abkommen mit einem afrikanischen Land getroffen, noch ist nicht klar, wie die Pläne der Dänen mit internationalem Recht vereinbar sein sollen. Frühestens in einem Jahr könne er mehr dazu sagen, sagte Integrationsminister Mattias Tesfaye im Parlament. Doch die Richtung ist klar.
Quelle: zeit.de vom 12.06.2021