14. Juli 2024 Rüdiger Suchsland
Bild: penofoto /shutterstock
"Ich muss ihnen gleich zu Beginn eine Frage stellen", beginnt Markus Lanz seine nach ihm benannte Polittalkshow am 27. Juni: "Wie sieht das aus, wenn sie mit ihrem Mann, mit Oskar Lafontaine, im Saarland Fußball gucken? Fiebern sie dann so richtig mit? Flippen sie dann so richtig aus?"
Und obwohl sein Gast Sahra Wagenknecht sofort unmissverständlich klarmacht, dass sie sich nicht besonders für Fußball interessiert, sich erst recht nicht für kompetent hält und versucht, über den Schlenker zu Nationalspieler Joshua Kimmich auf die Kritik an Corona-Maßnahmen einzubiegen, geht es in dieser Tonlage weiter: "Die Euphorie, die das auslöst, Frau Wagenknecht: Wie finden sie das?", insistiert Lanz.
Das Ziel ist klar: Sahra Wagenknecht soll als eine Art vaterlandslose Gesellin hingestellt werden, die zu "unserer Mannschaft" nur ein lauwarmes Verhältnis hat. Auch Fußball ist politisch.
Die Fußballfrage ist der Auftakt zu einem beispiellosen Verhör, dem auch das nicht gerade radikal-kritische Redaktionsnetzwerk: Deutschland (RND) einen "tribunalartigen" Charakter attestierte, das die Politikerin mehrfach offen bewusst missverstand und Züge von Häme und Verächtlichmachung trug.
Etwa als es um die Mitgliederzahlen des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ging: "Stimmt es, dass Sie an die 600 Mitglieder haben? ... Wie in so einem Edelclub an der Hamburger Außenalster?" In dem dürfte eher Markus Lanz Mitglied sein, als Wagenknecht.
Vor allem aber versuchte Wagenknecht nur zu erklären, dass die Partei trotz einer Vielzahl an Mitgliedsanträgen langsam wächst, weil sie die Mitgliedsanträge sorgfältig prüft, um die Kontrolle über politischen Kurs und Organisation zu behalten und etwa "feindliche Übernahmen" auszuschließen.
Wagenknecht: "Eine Partei muss ja für ein bestimmtes Profil stehen. Eigentlich geht es um die Ehrlichkeit gegenüber den Wählerinnen und Wählern."
Wagenknecht erklärte, inhaltlich sollten die Mitglieder für das stehen, "wofür ich auch stehe, weil das wählen ja die Menschen ... wenn man nur 700 Mitglieder ist und wahrscheinlich in zwei Jahren 5.000 Mitglieder hat, muss man schon gucken, dass die, die jetzt dazukommen ... "
Hier unterbrach Lanz die Politikerin: "Dass keine andere Meinung kommt, oder?"
Noch unfairer und an der Grenze zur strafrechtlich bewährten Beleidigung bewegte sich Lanz, als er Wagenknechts Begründung ihrer Entscheidung, der Selenskyj Rede im Bundestag fernzubleiben ("Das war eine Jubelveranstaltung"), mit einem Befund abkanzelte: "Das ist irre."
Der Moderator pathologisiert damit eine bestimmte politische Haltung, erklärt sie zur Krankheit eines geistig beeinträchtigten Menschen. Diese Kommentierung erinnert den Autor inhaltlich an Grundmuster des Stalinismus, in der abweichende politische Ansichten zum Fall für die Psychiatrie erklärt wurden. In der Konsequenz sperrte man politisch missliebige Personen in sogenannten Anstalten weg.
Ein besonderer Trigger für alle Vertreter der Medien ist es derzeit, wenn die Mainstream-Position zur Ukraine, die von Grünen bis CSU geteilt und von den ihnen nahestehenden Medien unkritisch kommentiert wird, einmal ernsthaft infrage gestellt wird. So von der Vorsitzenden des BSW:
Dadurch, dass wir kein Gas mehr importieren, beenden wir keinen Krieg. ... Die These, wir ruinieren Russland, die ist ja wohl gescheitert! ... Wollen wir unsere Wirtschaft zerstören? Ich finde, wir müssen diesen schrecklichen Krieg beenden, dadurch beenden, dass wir Länder wie China oder auch Brasilien unterstützen, die sagen, wir sollten jetzt versuchen, einen Waffenstillstand an der bestehenden Frontlinie zu erreichen und dann Friedensgespräche zu beginnen.
Sahra Wagenknecht
Wagenknecht hakte nach und konterte den Moralismus von Lanz - "So wie, Sie es sagen, bedeutet das für mich: Die Ukraine wird untergehen" - mit der Gegenfrage: "Was ist Ihre Lösung? Wie soll der Krieg beendet werden?"
Zur Lanz flankierenden Journalistin Kristina Dunz, die ausrief "Herr Putin muss da raus! Der muss sich zurückziehen!", antwortete Wagenknecht kühl: "Da spricht doch überhaupt nichts dafür, dass das realistisch ist!"
Ähnlich, nur im Stil konzilianter, lief es auch in der Talkshow "Maybrit Illner" vom vergangenen Donnerstag. Umringt von drei politischen Gegnern, der in der DDR geborenen Atlantikerin und Ukraine-Unterstützerin Claudia Major von der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik, dem Grünen-Vorsitzenden und Atlantik-Brücke-Vorstand Omid Nouripour und dem ehemaligen USA-Korrespondenten und Atlantiker Claus Kleber.
Das bedeutete in der Sendung einen dreifachen Redeanteil für die "atlantische" NATO-Position.
Wagenknecht sprach dagegen von "der unglaublichen Anmaßung" einer Weltmacht im Niedergang, als die sie die USA charakterisierte: "Sie kämpft mit aller Macht dagegen, dass ihre Hegemonie zerfällt."
Europa müsse seine eigenen Interessen sehen. Wagenknecht verwies darauf, dass der deutsche Rüstungshaushalt und die Ausgaben für Rüstung nach Nato-Kriterien schon vor dem Ukrainekrieg deutlich angestiegen sind. Das Gegenargument der Atlantiker: Ein "kreativer Umgang mit Fakten."
Ist dies alles nun guter kritischer Journalismus oder etwas anderes?
Unter "Mobbing" versteht man unter anderem die öffentliche Verächtlichmachung eines Menschen oder einer Organisation. Es findet statt durch das bewusste Missverstehen; durch die immer neue Wiederholung, der immer gleichen - oft inhaltlich längst widerlegten - Vorwürfe; dadurch dass jemand aus Debatten herausgehalten oder gar ausgeschlossen oder allgemein zum Paria gemacht wird.
Dadurch dass jemand mit Etiketten belegt wird - "Putinist", "Putinversteher", "kein Teamplayer", "Querulant" - dass jemand in "verdächtige" Zusammenhänge und Beziehungen gerückt wird: Finanzierung "aus Moskau".
Seit ihrem Sieg bei den Europawahlen - über sechs Prozent der Wählerstimmen aus dem Stand, ohne Parteiapparat und Wahlkampfkostengelder sind ein Sieg - ist diese Form des Mobbings gegen die Person Sahra Wagenknecht und ihre Partei noch einmal eklatant gesteigert und für jeden ersichtlich geworden.
Gemobbt werden damit auch indirekt die Wähler von BSW. Es beginnt damit, dass diese Partei auf die Parteivorsitzende reduziert wird - woran sie ohne Frage einen erheblichen Anteil hat. Denn wo gäbe es das schon, außer in Bananenrepubliken, dass Parteien oder politische Bewegungen nach der jeweiligen Vorsitzenden benannt werden. Aber dennoch.
Lange Zeit war Wagenknecht ein Liebling der Medien. Sie war immer gut für kontroverse Ansichten, sie war immer gut, um in den eingefahrenen Bahnen des bundesrepublikanischen Talkshow-Betriebs das disruptive Element zu geben.
Bereits 2014 schrieb der Spiegel über "Die Legende von Markus und Sahra"
Wagenknecht ist, Lanz hin oder her, ein Liebling des Fernsehens. Kein Politiker war in den vergangenen zwei Jahren öfter Gast in den großen Talkshows von ARD und ZDF. Neunmal trat die Linken-Vizechefin 2013 dort auf. ... Die Talkmaster haben sie gern dabei, weil sie klare, kontroverse Positionen vertritt und scharf argumentiert. Die eher lahmen Runden profitieren davon.
Spiegel
Quelle: Telepolis