Analyse von Ulrich Reitz Fass ohne Boden? Mit dem EU-Deal holen wir uns ins Haus, was wir nie wollten

Ulrich Reitz

Freitag, 19.12.2025, 20:06

Eurobonds statt Russenmilliarden. Von der Leyen statt Friedrich Merz. Und Macron will wieder mit Putin reden. Über Sieger und Verlierer einer denkwürdigen Woche.

Die Ukraine bekommt 90 Milliarden Euro "geschenkt", um in den nächsten beiden Jahren gegen Russland weiterkämpfen zu können. "Geschenkt" haben wir in An- und Abführung gesetzt.

Denn: Es ist zwar finanziell ein Geschenk, weil die Ukraine für die 90 Milliarden nichts bezahlen muss. Weder muss die ukrainische Regierung Zinsen zahlen, noch muss sie in Naturalien bezahlen, in Bodenschätzen etwa. Donald Trump, der "Dealmaker", mag auch im Krieg noch Geschäfte abschließen, die Europäer schließen solche "Deals" nicht ab.

Das kann man so machen, man steht dann auch moralisch gut da, aber: Der Beschluss der europäischen Staats- und Regierungschefs ist nicht von ihnen selbst finanziert. Weder ist Friedrich Merz noch Giorgia Meloni oder Emmanuel Macron mit eigenem Geld dabei. Es ist das Geld der Steuerzahler, der Deutschen vor allem, das hier eingesetzt wird.

Ein "Geschenk" ist es zwar finanziell, aber nicht politisch

Moralisch auf der Seite der Guten zu stehen, wird bezahlt von denen, die nicht gefragt werden, ob sie auch auf der Seite der Guten stehen möchten, oder ob ihnen dieser Preis eventuell zu hoch erscheint.

Ein "Geschenk" ist es zwar finanziell, aber nicht politisch und nicht moralisch, denn: Die Europäer wie die Ukrainer argumentieren in einem zentralen, weil strategischen Punkt deckungsgleich - die Ukraine kämpfe unseren Kampf.

Das ist zwar eine These und keine Wahrheit. Aber diese These wird von der großen Mehrheit der Staatenlenker geteilt. Nicht geteilt wird sie von Tschechen, Slowaken und Ungarn. Gute Argumente hat auch Viktor Orban - dass "Brüssel" ihn zum Paria machen will, hilft ihm daheim mehr als dass es ihm schaden würde.

Und was, wenn Trump jetzt sagt: "Not my beer"?

Die These, die Ukrainer kämpften für die Sicherheit Europas, hat eine gedankliche Voraussetzung, nämlich die: Dass die Russen planten oder versucht sein könnten, Nato-Länder anzugreifen. Dafür nennt die Bundesregierung sogar eine Frist: 2029 soll Russland so weit sein.

Bis dahin soll Europa so weit aufgerüstet sein, um "resilient" sein zu können. Mit anderen Worten: Eine kämpfende Ukraine verschafft Europa Zeit, um sich gegen die Russen zu wappnen. Die Fortsetzung des ukrainischen Kampfs ist ergo im Interesse Europas. Dass sich dies kontrovers diskutieren lässt, auch unter moralischen Gesichtspunkten, muss man nicht groß erklären. Aber festzuhalten bleibt:

Die Europäer haben sich so entschieden. Die Ukrainer haben sich so entschieden. Donald Trump hat nun die Wahl: Er kann, in der Rolle als Friedensstifter, "dabei" bleiben. Oder er kann, sagen: "Not my beer."

Trump-Regierung hat Europa nicht aufgegeben

Donald Trump und seine Ehefrau Melania vor dem Pentagon.
Imago

Dass Trump sich herauszieht aus den Friedensverhandlungen mit Russland und den Europäern, davon ist jedenfalls der Chef der Atlantikbrücke überzeugt. Wissen kann das auch Sigmar Gabriel nicht: In Kriegszeiten weiß man ohnehin mehr nicht, als man weiß. Seine These ist jedenfalls plausibel.

Der Bundeskanzler und sein Koalitionspartner und die Grünen werden hoffen, Trump bleibt an Bord. Das wird in so gut wie jeder Bundestagssitzung deutlich. Tatsächlich hat die Trump-Regierung weder Europa aufgegeben noch die Nato.

Für alle Europäer ist das eine gute Nachricht. Zuletzt wurde im US-Senat entschieden, dass 80.000 US-Soldaten in Europa bleiben. Weder wackelt die US-Nukleargarantie noch die Hilfe der US-Geheimdienste gegen den vor allem islamistischen Terror. Solange Trump "drin" bleibt, können die Europäer besser schlafen.

Macrons strategische Wende: Wieder mit Putin reden

Kaum ist das finanzielle Geschenk der Europäer an die Ukraine überreicht, passiert Erstaunliches: Emmanuel Macron wirft eine wesentliche Strategie im Umgang mit dem Krieg über Bord, nämlich: Wladimir Putin, den ruchlosen Angreifer der Ukraine, zu isolieren.

Das ist die Linie der Europäer seit mindestens einem Jahr, noch vor wenigen Stunden hat die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, eine "Hardlinerin", sich damit gerühmt, ihr sei es gelungen, einige Länder zu überzeugen, "Putin nicht zu treffen."

Aus und erledigt, der Ansatz ist rundherum gescheitert, und für die innenpolitische Debatte kann es noch wichtig werden, dass ein deutscher CDU-Mann der Erste war, der dies klar gesagt und auch kritisiert hat: Armin Laschet.

Bei Maybrit Illner sagte der Philosoph Precht, ein harter Kritiker der amtlichen Ukraine-Politik, ihm wäre "Laschet als Bundeskanzler lieber als Merz". Laschet saß dabei in der Sendung. Beim Kopfschütteln hat man ihn nicht beobachten können.

Merz ist nur der selbsternannte Anführer Europas

Macron sagt, es sei "wieder sinnvoll", mit Putin zu reden. Frankreichs Präsident sagt klipp und klar: "Ich glaube, dass es in unserem Interesse liegt als Europäer und Ukrainer liegt, den richtigen Rahmen zu finden, um diese Diskussion wieder aufzunehmen."

Daraus folgt mindestens zweierlei, erstens: Merz ist nur der selbsternannte Anführer Europas. Aber ein französischer Präsident wird sich niemals von einem deutschen Kanzler diese Rolle streitig machen lassen.

Macron hätte diese grundlegende strategische Wende zuvor auch mit Merz besprechen können, und dann hätte man es gemeinsam verkündet. Macron zog es aber vor, allein vor die Kameras zu treten, ein paar Tage nach diesen Berliner "Festspielen", die Merz organisiert hat. Man kann es auch als direkte Reaktion lesen, als: Revanchefoul.

Eurobonds - Deutschlands Alptraum wird wahr

Und zweitens folgt aus Macrons "Anregung", nun doch wieder mit Putin zu reden: Plötzlich ist nicht mehr nur von Krieg die Rede, der Frieden kehrt auf die diplomatische Agenda zurück.

Auch als Nicht-Marxist liegt die Schlussfolgerung auf der Hand: Die Diplomatie folgt offenbar doch dem Geld. Nachdem sie schon der schieren Macht mehr gefolgt ist als dem moralisch aufgeladenen Idealismus.

Im Kern ist der Gipfelbeschluss über den 90 Milliarden Euro-"Kredit" (Geschenk) für die Ukraine ein Fass ohne Boden. Der Grund: Der dafür eingeschlagene Weg ist stilbildend. Es ist ein Modell. Es ist genau das, was Helmut Kohl nie wollte, was Angelas Merkel nie wollte, was selbst Olaf Scholz nie wollte und was Friedrich Merz nie wollte - es ist eine Art "Teufelszeug" - denn es heißt: Eurobonds.

Die Verschuldung der EU, das heißt, ins Politische gewendet: Brüssel festigt seine Status als überstaatliche, eigenstaatliche Institution. "Brüssel" wird zum "Staat über Staaten". Brüssel wird zum Europäischen Superstaat. Was demokratietheoretisch besonders problematisch ist, weil: Niemand hat "Brüssel" gewählt.

Von der Leyen hat mehr zu sagen als Merz

Es entwickelt sich zum Superstaat, der 80 Prozent der Gesetze macht, die auch für Deutschland gelten. Der jetzt auch noch zur Schuldenunion wird. Der das Asylrecht macht, über das europäische Richter de facto bestimmen, ohne Rückkopplung in die Nationalstaaten.

Der, siehe den Gipfelbeschluss zur Ukraine, jetzt auch noch die Fragen von Krieg und Frieden steuert - Ursula von der Leyen hat tatsächlich viel mehr zu sagen als Friedrich Merz. Zwischen den beiden CDU-Spitzenpolitikern gibt es aber einen Riesenunterschied: Niemand hat von der Leyen gewählt. Brüssel, das bedeutet: den größten anzunehmenden Abstand vom Volk.

Deshalb konnte von der Leyen auch so gut leben mit der Entscheidung gegen die Russenmilliarden. Die von Anfang an von ihr ins Spiel gebrachte Alternative, europäische Schulden zu machen, ist für sie ein Schritt mehr zur Verwirklichung eines großen Traums: Staatschefin zu sein des europäischen Überstaates.

Melonis zweifelhafter Erfolg

Macrons Ankündigung, wieder mit Putin reden, also verhandeln zu wollen, bedient einen alten gaullistischen Reflex: "Vive la France" vor "America first". Mal sehen, was Trump dazu meint.

Es gibt noch jemand neben Macron, der die Projektion von Deutschlands "Führung Europas", zur Illusion macht: Giorgia Meloni. Der Verzicht auf die Russenmilliarden ist auch das Werk der italienischen Regierungschefin.

Und vor allem ist die Verschiebung des Mercosur-Freihandelsabkommens mit Brasilien ihr Werk. Noch vor zwei Tagen hatte Merz im Bundestag - völlig zu Recht - dieses Abkommen zur Nagelprobe für Europas Führungsfähigkeit und Wachstumsorientierung genommen - und nun haben Bauern-Interessen gewonnen.

Nichts gegen Kleingärtnervereine

Es ist eine schwere Niederlage für Merz - eine drastische Niederlage für die EU, und ein Rückschlag für deutsche Hoffnungen auf ein exportinduziertes Wachstum via Freihandel. Von außen betrachtet, etwa aus der Sicht von Donald Trump, ist eine solche Klientel-Union nicht anderes als ein Kleingärtnerverein.

Nichts gegen Kleingärtnervereine - aber am Ende dieser denkwürdigen Woche hat sich Europa noch ein Stück weiter vom Anspruch entfernt, auf der Weltbühne mitzuspielen. Und in der Ukraine wird weitergekämpft. Und weiter gestorben.


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