Falsche Belästigungsvorwürfe Inquisition - in einer Partei der süßlichen Wohlfühl-Slogans

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Claus Christian MalzahnReporter

Stand: 19.01.2025 15:06 Uhr Lesedauer: 4 Minuten

Der Fall Gelbhaar ist mehr als eine Intrige. Versuchter Rufmord, Niedertracht und Scheinheiligkeit: der interne Beißkampf bei den Grünen ist ins Kriminelle gekippt. Solche Härte steht im scharfen Kontrast zum sonst gern hohen, süßlichen Ton der Partei. Ihr Anteil an der Aufklärung bisher: Null.

So werben die Grünen um Stimmen bei der Bundestagswahl
Quelle: Bündnis 90/ Die Grünen

Unschuldsvermutungen in der Politik gibt es schon lange nicht mehr. Wer Politik macht, gilt einem gehörigen Teil der Bevölkerung schon qua Amt als verdächtig, egal, was war. Die machen doch eh, was sie wollen, ist da noch einer der harmlosen am Stammtisch vorgetragenen Vorwürfe.

Was sich in den vergangenen Wochen im Berliner Landesverband der Grünen rund um ihren Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar zutrug, geht aber weit über dieses grundsätzliche Dilemma hinaus. Was sich dort abspielte, war Inquisition - in einer Partei, die sonst bei jeder Gelegenheit Rechtsstaatlichkeit betont. Nun sind die Vorwürfe sexueller Belästigung am Wochenende vollends in sich zusammengebrochen. Der Anteil der Grünen an der Aufklärung bisher: Null.

Das ist nicht nur ein Desaster im Winterwahlkampf. Der Umgang mit Gelbhaar wäre mit "unfair" noch viel zu harmlos beschrieben. Worüber wurde eigentlich verhandelt? Die gegen ihn in Stellung gebrachten Vorwürfe waren allesamt anonym. Strafanzeigen gegen ihn hat es nie gegeben. Beweise gab es sowieso nie. Dass er lückenlos nachweisen konnte, dass manche Anwürfe gar nicht zutreffen konnten, weil er stichfeste Alibis präsentierte, nutzte ihm nichts. Der Verdacht, er sei ein rabiater Frauenfeind, stand messerscharf im Raum - das reichte, um ihn kaltzustellen.

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Als sich der RBB in einer reinen Verdachtsberichterstattung der Sache annahm, sauste die Guillotine vollends nach unten, führende Grüne senkten den Daumen. Man darf davon ausgehen, dass das Ende seiner Karriere nicht nur im Berliner Beritt beschlossen wurde. Unschuldsvermutung? Nicht mal im eigenen Laden.

Man darf annehmen, dass die Zerstörung dieser politischen Karriere nicht nur das Werk einer einzelnen Person gewesen ist, die sich nun mit Rück- und Austritt flugs vom Acker gemacht hat. Die erfundenen Attacken gegen Gelbhaar waren offenbar eingebettet in einen größeren Konflikt. Wer hat da mitgemacht, in welcher Rolle? Geklärt ist bisher nichts.

"Zusammen" in feindseligen Flügelkämpfen

So viel aber kann man heute schon sagen: Im Umgang miteinander waren die Grünen, gerade im Berliner Landesverband, nie zimperlich. Flügelkämpfe wurden hier oft in einer atemberaubenden Feindseligkeit ausgetragen. Bei einem Parteitag im Dezember verließ eine Realo-Kandidatin für den Landesvorsitz weinend den Saal, nachdem sie dreimal durchgefallen war. Das war eine öffentliche Demütigung, die meisten finden hinter verschlossenen Türen statt. Solche Härte in internen Konflikten ist zwar kein unseliges Privileg der Grünen, aber dort steht sie im scharfen Kontrast zum hohen, süßlichen Ton, der übrigens gerade auf vielen Plakaten zur Bundestagswahl zu finden ist. "Zusammen", steht da, "Ein Mensch. Ein Wort."

Angesichts dieses Skandals wirkt dieser Slogan vollends lächerlich. "Zusammen" fanden die Berliner Grünen in Berlin nur bei der Zusammenrottung gegen Gelbhaar. Als Mensch war er längst in politische Quarantäne verbannt, sein Wort galt nichts mehr. Selbst seine nachvollziehbare Bitte, ihm etwas mehr Zeit einzuräumen, um sich verteidigen zu können, bevor die Liste zur Bundestagswahl aufgestellt wird, wurde kühl abgelehnt. Man wollte das Thema schnell abräumen. Das Gegenteil ist nun eingetreten: Die Katastrophe könnte politisch und menschlich kaum größer sein.

Und nun? Nicht nur die Grünen haben ein Problem. Auch der RBB, der inzwischen eifrig die Löschtaste gedrückt hat, muss in Mithaftung genommen werden. Mit halbgaren Entschuldigungen allein ist die Sache nicht aus der Welt. Denn der Fall Gelbhaar ist mehr als eine Intrige. Versuchter Rufmord, Niedertracht und Scheinheiligkeit: der interne politische Beißkrampf ist hier vollends ins Kriminelle gekippt. Die Glaubwürdigkeit der Grünen wird man daran messen müssen, ob sie es wagen, in den eigenen Abgrund zu blicken. Oder ob sie ihn, darin hat man eine gewisse Übung, schnell wieder zuschaufeln. Angesichts der kolossalen Feigheit, die in diesem Fall zutage trat, sollte sich Gelbhaar - das Opfer - auf grünen Mut zur Aufklärung lieber nicht verlassen.


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