Auf dem FDP-Parteitag "Wo ist Deutschland überhaupt noch führend?", wundert sich Wirtschaftsboss Reitzle Das Klima retten mit großen staatlichen Eingriffen? Für Wolfgang Reitzle ist das ein Unding. In seiner Begrüßungsrede auf dem FDP-Parteitag legte der Aufsichtsratschef von Continental dar, wie die Rettung des Klimas auf liberale Art gelingen kann - und warum endlich Schluss sein muss mit Mittelmäßigkeit. FOCUS Online Die FDP will regieren - und Lindner sendet bei Parteitag eine klare Botschaft

Montag, 20.09.2021, 11:09

Der Wirtschaftsmanager Wolfgang Reitzle hat seine Begrüßungsrede auf dem FDP-Parteitag für ein Plädoyer gegen staatliche Lenkung in der Klimakrise genutzt. "Ich denke, man kann es nicht deutlich genug sagen: Diese Wahl ist eine Richtungswahl", sagte der Chairman des Gasunternehmens Linde am Sonntag in Berlin. "Auf der einen Seite: Wettbewerb, Marktwirtschaft, Freiheit. Auf der anderen Seite: Staatliche Lenkung, Planwirtschaft, Verzichts- und Verbotskultur."

Wirtschaftsboss Reitzle auf FDP-Parteitag: "Freiheit unter den Rädern"

In der Pandemie habe man gesehen: "Sie kommt schnell unter die Räder, die Freiheit", sagte Reitzle. "Und ich befürchte: Das Coronavirus ist nicht die einzige Bedrohung in dieser Hinsicht. Vor allem dann nicht, wenn jene zum Zuge kommen, die jetzt nach dem Corona-Lockdown schon vom Klima-Lockdown träumen."

"Wir müssen endlich begreifen: Das Klima retten wir entweder global oder gar nicht", fügte der 72-Jährige hinzu. "Und wir retten es nur, wenn wir den Wettbewerb um die besten Technologien fördern und der Transfer dieser Technologien in die Welt gelingt."

Alleine im Jahr 2019 habe China so viel Kapazität für Kohlestrom aufgebaut wie Deutschland bis 2038 vom Netz nehmen will, sagte der Linde-Chef und gleichzeitige Aufsichtsratsvorsitzende des Automobilzulieferers Continental. "An dieser Stelle fragen wir uns natürlich alle: Ja, sollen wir deshalb gar nichts tun? Doch, natürlich", erklärte er. "Aber wir sollten uns dabei immer klarmachen: Unsere Situation gleicht der eines Schiffes, das zu sinken droht. Dabei läuft das Wasser vorne und hinten gleichzeitig rein. Allerdings ist das Loch vorne, also bei uns, viel kleiner als das Loch hinten, also in China und Afrika."

Wichtig sei es daher, Klimaschutz global zu denken und nicht nur national. "Warum konzentrieren wir uns nicht auch und besonders auf das große Loch? Wer so viel Wert darauf legt, dass auch kleine Beiträge zum Klimaschutz zählen, der muss doch große Beiträge besonders begrüßen."

Wasserstoff, Wasserstoff, Wasserstoff

In einem Vier-Punkte-Plan beschrieb Reitzle daraufhin, wie die Rettung des Klimas nach liberalem Modell gelingen kann.
Erstens müsse man "die effizientesten Technologien dort einsetzen, wo sie die größte Wirkung entfalten" - etwa Photovoltaikanlagen in Wüsten und Windkraftanlagen in Küstengebieten. Mit diesem grünen Strom müsse dann
zweitens Wasserstoff erzeugt werden, um eine Wasserstoff-Wirtschaft aufzubauen.

Drittens, "und das ist mir ganz wichtig", so Reitzle: Die Wasserstoff-Derivate Methan, Methanol und Ammoniak müssten genutzt werden, um Industrieprozesse CO2-frei zu machen. "Hier liegt der zentrale Hebel für ein globales Energiesystem, das bezahlbar und zugleich energieneutral ist." Viertens müsse es aufhören, dass der von der FDP favorisierte, sogenannte Emissionshandel als "Ablasshandel", Freikaufstrategie" oder "Greenwashing" denunziert werde.

Im Europäischen Emissionshandel müssen Unternehmen, die besonders viel CO2 ausstoßen (etwa aus der Chemie- oder Stahlindustrie), im Voraus sogenannte Zertifikate erwerben. Die Zahl der Zertifikate ist gedeckelt. Je weniger Zertifikate auf dem Markt verbleiben, desto teurer werden also die verbliebenen Exemplare - wodurch sich eine Lenkungswirkung einstellen soll. Grüne, Union und SPD bevorzugen aber zumindest kurzfristig die sogenannte CO2-Steuer.

"Wo sind wir überhaupt noch führend?"

Klar sei aber auch, betonte Reitzle: "Nur wer wirtschaftlich stark ist, kann doch für das Klima hilfreich sein." Die Frage sei, wie stark Deutschland allerdings noch sei. "Wo sind wir überhaupt noch führend? Ganz sicher bei Steuern, Umverteilung und vor allem natürlich beim Strompreis. Und genau dafür haben einige Parteien ja Pläne, diese Führungsposition noch auszubauen."

Der momentane Zustand der Bundesrepublik weckt im Wirtschaftsboss nur wenig Optimismus. "Das Bild der Nation ähnelt auf fataler Weise dem Bild der Nationalmannschaft, wie sie Hansi Flick von seinem Vorgänger übernommen hat", sagte Reitzle. "Schläfrig, einfallslos, führungslos und international leider im Abstieg begriffen."

Große Kuchen, große Erkenntnisse

Mindestens 16 Jahre lang sei "in einem ausschließlich gegenwartsbezogenen Politikstil vor allem der Status Quo verwaltet und der Sozialstaat ausgebaut" worden, kritisierte Reitzle. "Anstatt alles daranzusetzen, den Wohlstandskuchen zu vergrößern, also auf Wachstum zu setzen, ersinnen wir immer neue Ideen, ihn vorgeblich gerechter zu verteilen."

Dabei mache allein ein Blick auf die Autoindustrie klar, wie wichtig die Themen Software und Digitalisierung bereits jetzt geworden sind, so Reitzle. "Dann müsste eigentlich dem letzten Anhänger des Lastenrads und der letzten Bullerbü-Berlinerin klar sein: Wer auch morgen noch einen Kuchen haben will, den er verteilen kann, der sollte sich jetzt schleunigst bitte etwas einfallen lassen."

Die Lösung aus Sicht des Linde-Chairman: Konsequent den Mittelstand fördern und die Bildung. Dabei müsste nicht nur Geld für Laptops, Lehrkräfte oder Gebäudesanierung in die Hand genommen werden. "Damit meine ich vor allem die Erkenntnis: Es gibt keinen Wohlstand ohne Leistung." Bildungspolitik müsse diese Talente erkennen und fördern, sagte Reitzle. "Wir brauchen den Mut zur Leistungsorientierung und zur Absage an Mittelmäßigkeit und Durchschnitt. Denn damit werden wir die Probleme des 21. Jahrhunderts ganz sicher nicht lösen - und schon gar nicht das Klima retten."


Quelle: focus.de vom 20.09.2021