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08.04.2025 - 13:30 Uhr
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Zwei der drei NSU-Mörder, Uwe Mundlos ( 38) und Uwe Böhnhardt ( 34) sind tot - Suizid per Schrotgewehr am 4. November 2011, so die Polizei. Es überlebte: Beate Zschäpe (50).
Das Morden und Rauben hatten danach ein Ende.
Es folgt ein Polizei-Thriller, ein Geheimdienst-Krimi. Und: nach BILD-Recherchen ein ausgewachsener Politik-Skandal!
Seit Jahren ranken sich Erzählungen um eklatante Widersprüche in den offiziellen Versionen. Akten sind unter Verschluss oder vernichtet. Zeugen erinnern sich nicht, Beamte bekamen einen Maulkorb verpasst.
Doch jetzt brechen die ersten ihr Schweigen, im Hintergrund oder offen.
Die meisten Zeugen werden das, was sie BILD berichtet haben, nicht öffentlich wiederholen können - sie haben Schweigepflichten gebrochen oder fühlen sich bedroht.
Manches, was Sie hier lesen, wird offiziell dementiert oder als Verschwörungstheorie abgetan werden.
Sicher ist: Alles, was Sie hier lesen, ist von mindestens zwei direkten Quellen bestätigt oder beruht auf Akten und Unterlagen, die BILD einsehen konnte.
Wir beginnen mit dem 4. November 2011, dem Tag, an dem sich die NSU-Terroristen Uwe Mundlos ( 38) und Uwe Böhnhardt in Eisenach in ihrem Wohnmobil umbringen: Danach begibt sich Beate Zschäpe auf die Flucht: nach Zwickau, Hannover, Halle an der Saale. Nach vier Tagen, am 8. November, stellt sie sich in Jena den Behörden. Was auf Zschäpes Flucht geschah, gibt bis heute Rätsel auf. Drei Untersuchungsausschüsse (Bundestag, Parlamente Sachsen und Thüringen) haben versucht aufzuklären, was Behörden wussten, wie tief sie verstrickt waren - und wer dem rechtsextremen Terrortrio half.
Bis heute geheim: Beate Zschäpe hatte auf ihrer Flucht im November 2011 Mobiltelefone bzw. mehrere SIM-Karten aus einem Versteck in der Wohnung in Zwickau geholt, in der das NSU-Trio untergetaucht war.
Und bis heute wird wie ein Staatsgeheimnis gehütet, wen Zschäpe anrief auf ihrer Flucht durch Deutschland.
BILD sprach nun mit mehreren Personen, die mit dem Fall befasst waren. Und sie bestätigen, unabhängig voneinander, Unerhörtes:
Zschäpe rief auf der Flucht zwölfmal eine Nummer der Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums von Thüringen an!
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SPD-Politikerin und Anwältin Dorothea Marx, einst Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses in Thüringen, bestätigt BILD: Zschäpe "hat zehnmal oder mehr" die Nummer der Abteilung Verfassungsschutz im Innenministerium Thüringen angerufen. So stehe es in Geheim-Akten.
Wen die Terroristin auf der Flucht genau angerufen hat? Untersuchungsausschuss-Chefin Marx: "Das ist so lange her, ich kann mich nicht erinnern ..."
Drei andere Zeitzeugen, die auf Bundes- und Länderebene beruflich mit dem Fall befasst waren und die Fakten kennen, bestätigen BILD: Es waren zwölf Anrufe beim Verfassungsschutz.
Nur: Warum meldete sich Staatsfeindin Zschäpe auf ihrer Flucht ausgerechnet beim Verfassungsschutz? Wollte sie Schutz, Hilfe, Rat, sich stellen? Drohte sie gar mit Enthüllungen?
Oder: War sie eine Informantin der Geheimen, wie oft vermutet wird?
Bekannt aus Untersuchungsausschüssen ist: Kurz bevor das NSU-Trio Zschäpe, Mundlos und Bönhardt Ende Januar 1998 in den Nazi-Untergrund abtauchte, hatte der Thüringer Verfassungsschutz erwogen, Zschäpe als "V-Frau" anzuwerben - als Vertrauensfrau (Informantin). Bisher wird behauptet: Zschäpe sei trotz der Überlegungen nie angeworben worden - sie habe zu viel getrunken.
Gerüchte dazu, dass NSU-Frau Zschäpe enge Kontakte zu deutschen Sicherheitsbehörden hatte, kamen schon 2012 auf, als eine spektakuläre Vertuschungsaktion aufflog, die intern den Spitznamen "Operation Konfetti" bekam. Auch dazu hat BILD neue Erkenntnisse.
Karnevalsbeginn: Freitag, 11.11.2011. Nur sieben Tage nach dem Selbstmord von Mundlos und Bönhardt und drei Tage, nachdem sich Zschäpe gestellt hatte, geschieht in Köln Seltsames: Die Zentrale des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in Köln-Chorweiler ist nahezu verlassen. Viele Nachrichtendienstler schunkeln am "Alter Markt" ins Wochenende.
Verfassungsschützer Axel Minrath, Deckname Lothar Lingen, ist nicht in Feierlaune. Der Leiter des "Referats 2 B/Beschaffung" in der Abteilung Rechtsextremismus beim deutschen Inlandsnachrichtendienst, schreddert, so weit bekannt, sieben dicke geheime Fall-Akten. Inhalt: Wie und wen der Landesverfassungsschutz in Thüringen als Informanten beim rechtsradikalen "Heimatschutz Thüringen", geködert und angeworben hat. Aus dem Heimatschutz-Kreis kamen die drei NSU-Terroristen Mundlos, Bönhardt und Zschäpe. Von dort wurden sie auch unterstützt.
Als das große Schreddern 2012 auffliegt, sagt Minrath (alias Lingen): Die Aufbewahrungspflicht für die Akten sei abgelaufen gewesen - er habe also am Karnevalstag nur aufgeräumt.
Eine Lüge! Wochen später räumt der Akten-Vernichter ein: Die Akten waren NICHT abgelaufen, er schredderte, um "Schaden zum Nachteil des BfV abzuwenden".
Doch auch das ist nicht die ganze Wahrheit, wie BILD nun erfuhr. DENN: In jener Karnevals-Nacht in Köln wurden wohl noch mehr Akten geschreddert als bisher bekannt. Zwei Quellen sprechen nun von "mehr als zehn" Akten.
Und auch das erfuhr BILD: Verfassungsschützer und Akten-Vernichter Minrath/Lingen gab bei der Staatsanwaltschaft später ein falsches Datum für seine Schredder-Aktion an: machte aus dem närrischen 11.11.2011 den "4. Januar 2011" - datierte die Aktion also um zehn Monate vor. Ziel wohl: Es sollte kein Zusammenhang erkennbar sein zwischen der Aktenvernichtung und dem Tod der Mörder Mundlos und Bönhardt (4. November 2011) und Zschäpes Flucht!
Foto: POLIZEI
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Zschäpe selbst wurde am 11. Juli 2018 wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Zu zentralen Tatvorwürfen und genauen Umständen ihrer Flucht schweigt sie bis heute. Genau wie die Behörden.