Stand: 05.01.2022 11:38 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten
Von Tobias Käufer
Als Ecuador wieder einen neuen Holz-Export-Rekord vermeldete, riefen die Sprecher des Indigenen-Verbandes NAE zu einem Export-Stopp des begehrten Balsaholzes auf. "Stoppen Sie Ihre Investitionen", hieß es in dem Schreiben an internationale Geldgeber im Juni. "Die Holzfäller verursachen eine Spaltung unter den indigenen Brüdern."
Das zum einen sehr biegsame und harte, zum anderen aber sehr leichte und widerstandsfähige Balsaholz wird für den Bau der immer länger werdenden Rotorblätter von Windkraftanlagen verwendet. Für ein Rotorblatt zwischen 80 und 100 Meter Länge werden rund 150 Kubikmeter Holz benötigt. Nicht alle Windkraftanlagen setzen auf Balsaholz, als Alternative wird auch Recycling-Kunststoff verwendet.
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Das massive Abholzen führt zu ökologischen Kollateralschäden. Besonders Tiere, die auf Nektar als Nahrungsquelle angewiesen sind, seien in der Region betroffen, berichtet der Biologe Álvaro Pérez von der Universität PUCE gegenüber ecuadorianischen Medien. Unter der indigenen Bevölkerung ist derweil ein Streit zwischen Gegnern und Befürworten des Holz-Exports entbrannt. Die einen sehen die wirtschaftlichen Chancen für die Region, die anderen fürchten um das ökologische Gleichgewicht. Das mitunter rabiate Vorgehen der Holzfäller, die teilweise ohne Genehmigung in Territorien eindringen, verschärft die sozialen Konflikte.
Das Beispiel in Ecuador ist nur eines von vielen, das offenbart, wie die im Westen vorangetriebene Wende hin zu grünen erneuerbaren Energien in anderen Weltregionen zu ökologischen und sozialen Verwerfungen führt. Gigantische Staudämme in Brasilien zur Gewinnung von erneuerbarer Energie; der Hype um Lithium, das für die E-Mobilität dringend benötigt wird. Für ein reines Umweltgewissen der Europäer müssen wieder einmal Menschen und Natur in Südamerika einen hohen Preis bezahlen.
Seit in Europa, den USA und Asien die Nachfrage nach Windenergie steigt, wird im ecuadorianischen Regenwald immer mehr Balsaholz gefällt. Für die Industrie ist das ein großes Geschäft: Bereits im Rekordjahr 2019 exportierte Ecuador Balsaholz im Wert von 195 Millionen Euro, ein Jahr später verdreifachte sich der Wert auf rund 700 Millionen Euro. Internationale Hersteller von Windkrafträdern beteuern, die Holznutzung geschehe im Einklang mit den Umweltgesetzen vor Ort, zudem handele es sich um schnell nachwachsende Rohstoffe.
Dieses Argument kennen Umweltschützer bereits aus Brasilien. Dort feierten vor gut 15 Jahren grüne Politiker aus Deutschland den damals neuesten Trend: Biosprit. "Der Acker wird das Bohrloch des 21. Jahrhunderts", machte Umweltpolitiker Jürgen Trittin Lobbyarbeit für aus Soja und Zuckerrohr hergestellten Biosprit in Brasilien. Heute sieht die Bilanz ernüchternd aus.
"Die Produktion von Biosprit hat in Brasilien eigentlich nur einen Sieger hervorgebracht, nämlich die Agrarindustrie", sagt Professor Guilherme Ferreira, Geograf und Umweltblogger aus Recife, gegenüber WELT. "Verloren hat der Regenwald, weil in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv abgeholzt wurde." Im Bundesstaat Maranhão etwa wurden im Jahr 2000 noch auf 19.912 Hektar Fläche Zuckerrohr angebaut. Im Jahr 2019 waren es laut dem Brasilianischen Institut für Geografie und Statistik 47.405 Hektar, also zweieinhalbmal so viel.
Derweil zeichnet sich längst die nächste Konfliktlinie zwischen dem westlichen Hunger nach Rohstoffen für grüne Energie und den sozialen und ökologischen Interessen der südamerikanischen Bevölkerung ab. Diesmal geht es um den wasserintensiven Abbau von Lithium, das für die Akkus von E-Autos, aber auch für Handys benötigt wird. Hier ist zwar nicht der südamerikanische Regenwald gefährdet, dafür aber andere ökologisch wichtige Landschaften wie südamerikanische Salzwüsten und Salzseen.
"Zuerst sind Argentinien, Brasilien und Paraguay von multinationalen Konzernen als Soja-Republiken' betrachtet und benutzt worden, die große Gebiete für die Produktion unter anderem von Biokraftstoffen verändert und zerstört haben. Jetzt werden Argentinien, Chile und Bolivien als Lithium-Dreieck' angesehen", sagt Lateinamerika-Referentin Guadalupe Rodriguez von "Rettet den Regenwald" auf WELT-Anfrage.
Das sei eine kolonialistische Logik, um metallische Rohstoffe - wie Lithium - gewinnen zu können. Das alles geschehe, um E-Autos zu produzieren, die dann in den Industrieländern gefahren würden. "Ohne Respekt von Natur, lokalen Lebensweisen, Territorien und Menschenrechten", so Rodriguez.
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Im November veröffentlichte die Autonome Universität Barcelona gemeinsam mit der bergbaukritischen NGO Mining Watch Canada einen Atlas der "Umweltgerechtigkeit", der dokumentiert, welche sozialen und ökologischen Folgen der sogenannte grüne Bergbau unter anderem in Lateinamerika nach sich zieht.
Als grünen Bergbau bezeichnen die Forscher jenen Abbau von Rohstoffen, die benötigt werden, um die weltweit angestrebte Energiewende zu realisieren. Demnach werden in den nächsten 30 Jahren rund drei Milliarden Tonnen Metalle und Minerale wie Lithium oder Kupfer benötigt.
Die Studie warnt davor, dass dieser Bergbau Ökosysteme mit lebenswichtiger Bedeutung für die Wasserversorgung, die Erhaltung des Lebens und die Regulierung des globalen Klimas bedroht. "Dieses Fieber für Metalle und Mineralien wird zu einer beispiellosen finanziellen Chance für Bergbauunternehmen", so der Ausblick. Das sorge dafür, dass der starke Anstieg des Extraktionsdrucks von Metallen und Mineralien die Umwelt- und Sozialkrise weiter verschärfe.
Quelle: welt.de