Julia Monn 14.03.2023, 05.30 Uhr
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Die Forscher des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hatten es bereits vor fünf Jahren vorhergesagt: Europa werde angesichts der zunehmenden Spannungen mit Russland wieder aufrüsten. Damals waren die Waffeneinkäufe der europäischen Staaten gerade stark gesunken, man konzentrierte sich eher auf den Waffenverkauf. Inzwischen herrscht auf dem Kontinent aber Krieg, und das schlägt sich auch bei den Einfuhren schwerer Waffen wie Panzer, Kampfjets und U-Boote nieder.
Bei einem Vergleich der Rüstungsgeschäfte zwischen 2013 und 2017 mit denjenigen zwischen 2018 und 2022 zeigt sich, dass Europas Waffenimporte um 47 Prozent angestiegen sind. Die Einfuhren der europäischen Nato-Staaten stiegen gar um 65 Prozent. Dies geht aus einem Bericht hervor, den das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri am Montag veröffentlichte.
Die Ukraine steigerte ihre Waffeneinfuhr dabei im Fünfjahresvergleich um sagenhafte 8631 Prozent. Laut dem Sipri-Forscher Pieter Wezeman zeigt dies, auf welch geringem Niveau sich die Importe vor der Invasion 2022 befanden: "Vor 2022 gab es kaum Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie lagen auf einem sehr niedrigen Niveau - vor allem, wenn man die Grösse des Landes und die Tatsache bedenkt, dass sich die Ukraine seit 2014 im Krieg befindet."
Tatsächlich rangierte die Ukraine in der Sipri-Statistik der internationalen Waffenkäufer noch 2014 auf Rang 165 und 2020 auf Rang 80. Nun landet das kriegsversehrte Land auf Rang 14 unter den Importeuren von Kriegsgeräten. Im Jahr 2022 hat die Ukraine weltweit am drittmeisten Waffen eingeführt.
Volumen der Waffenimporte ausgewählter europäischer Länder seit 2010, in TIV-Milliarden
Quelle: Sipri
NZZ / jum.
Nutzniesser der gestiegenen Nachfrage sind die USA. Das Land baute in den vergangenen Jahren mit einem Anteil von 40 Prozent seine Position als grösster Waffenexporteur weltweit aus. Dahinter folgen mit einem Anteil von 16 Prozent Russland, Frankreich mit 11 und China mit 5 Prozent. Deutschland war mit einem Anteil von 4 Prozent zwischen 2018 und 2022 der fünftgrösste Lieferant von Waffen.
Aber auch Südkorea, das neu unter den zehn grössten Exporteuren rangiert, profitiert von der gestiegenen Nachfrage nach Rüstungsgütern. Dies zeigen das grosse Rüstungsabkommen mit Polen, das Panzer, Haubitzen und Kampfjets in grosser Stückzahl umfasst, oder der Vertrag mit den USA zur Herstellung von Artilleriemunition.
Anders sieht die Lage bei Russland aus. Das Land ist zwar noch immer der weltweit zweitgrösste Exporteur von Waffen, die Verkäufe ins Ausland sind jedoch stark eingebrochen.
Veränderungen des Exportvolumens der zehn grössten Exporteure, in Prozent
NZZ / jum.
Diese Entwicklung, die sich bereits im Vorfeld des Krieges bemerkbar machte, wird laut den Friedensforschern des Sipri anhalten. Dies, weil Russland im eigenen Land zunehmend auf eine Kriegswirtschaft umstellt und seine Waffen gegen die Ukraine selbst benötigt. Hinzu kommt, dass die Verkäufe an wichtige Abnehmerländer wie Indien, Ägypten und China stagnieren.
China setzt zunehmend auf die heimische Rüstungsindustrie und reduzierte seine Waffenimporte - auch aus Russland - stark. Ägypten stornierte 2022 gar einen Grossauftrag für russische Kampfflugzeuge, wohl auf Druck der USA, wie die Experten des Sipri schreiben. Auch Indien, dessen Arsenal zu grossen Teilen aus russischer Herstellung stammt, reduziert seine Abhängigkeit von Moskaus Waffenschmieden zunehmend. Im Fünfjahresvergleich sind die Importe aus Russland um 37 Prozent eingebrochen.
Von Delhis Neuorientierung im Rüstungsmarkt profitierten nicht zuletzt die USA und Frankreich, die sich lukrative Aufträge des weltweit grössten Waffenimporteurs sichern konnten.
Veränderungen des Importvolumens der zehn grössten Importeure, in Prozent
NZZ / jum.
Doch nicht nur der Krieg auf europäischem Boden hat Verschiebungen im Waffenhandel zur Folge. Die anhaltenden Spannungen mit China und Nordkorea haben auch in Ostasien zu einem Anstieg bei den Waffenimporten geführt. Die amerikanischen Verbündeten Südkorea und Japan rüsteten in den vergangenen Jahren kontinuierlich auf.
Damit folgen die ostasiatischen Länder ebenso wie die Staaten Europas einem Trend, der bereits seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 anhält. Denn seither nimmt das Volumen des internationalen Waffenhandels stetig zu - dies, nachdem es seit den 1980er Jahren kontinuierlich gesunken war.
Quelle: Sipri
NZZ / jum.
Davon werden laut dem Sipri auch in Zukunft vor allem die USA profitieren. Denn ein Blick auf die nachgefragten Güter zeigt: Insbesondere Kampfflugzeuge und Helikopter, aber auch Flugzeugträger, Kampfschiffe und gepanzerte Fahrzeuge werden nachgefragt - Waffenarten, bei denen die amerikanische Rüstungsindustrie eine starke Stellung innehat.
Volumen der weltweit gehandelten Waffen in TIV-Milliarden nach Waffenkategorie
2022
2018
NZZ / jum.
Auch Frankreich profitiert von Flugzeugbestellungen, daneben sicherte es sich lukrative Aufträge in der Herstellung von Schiffen. Auch in deutschen Werften werden zurzeit U-Boote und Fregatten in grösserer Stückzahl hergestellt. Sie sind für Norwegen, Brasilien oder Ägypten bestimmt. Von Deutschland fragen die internationalen Kunden vorwiegend gepanzerte Fahrzeuge oder auch das Flugabwehrsystem Iris-T nach. Dieses kommt zurzeit in der Ukraine zum Einsatz.