Europa als dritte "Supermacht" Macron will den USA in der Taiwan-Frage nicht folgen

09.04.2023, 19:28 Uhr

Liebäugelt Macron mit einer mächtigeren geopolitischen Position?
(Foto: IMAGO/Xinhua)

Die Spannungen zwischen China und Taiwan eskalieren weiter - und damit auch zwischen der Volksrepublik und den USA. Wo Europa in diesem Kalkül steht, ist noch unklar. Nach dem Willen des französischen Präsidenten soll die EU eine dritte, eigenständige Richtung einschlagen - unabhängig von den beiden Supermächten.

Europa sollte nach Ansicht von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Fall von Taiwan eine eigene Strategie verfolgen. "Das Schlimmste wäre zu denken, dass wir Europäer bei diesem Thema zu Mitläufern werden und entweder dem amerikanischen Duktus oder einer chinesischen Überreaktion folgen müssen", zitierte ihn das Magazin "Politico". Europa sollte nicht zur Eskalation des Konflikts beitragen, sondern seine eigene Position verfolgen als dritte "Supermacht" zwischen den USA und China, sagte Macron in einem Interview mit "Politico" und der französischen Zeitung "Les Echos" während seines dreitägigen Besuchs in China diese Woche.

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Verteilte Rollen bei China-Reise Von der Leyen kritisiert, Macron macht Geschäfte mit Xi

Nach Ansicht des französischen Präsidenten solle Europa seine Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten verringern. Das große Risiko bestehe darin, dass Europa in "Krisen verwickelt wird, die nicht unsere sind", sagt Macron weiter. Das hindere Europa daran, strategische Autonomie auszubauen. Ein Konflikt mit Taiwan läge nicht im Interesse Europas.

Während seines mehrtägigen Staatsbesuchs in China sprach Macron nach eigenen Angaben "ausführlich" mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über Taiwan. Zur gleichen Zeit war auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der Volksrepublik und mahnte zur Zurückhaltung. Doch Macron scheint zu hinterfragen, welchen Einfluss Europa auf einen Konflikt zwischen China und Taiwan haben könnte. "Die Europäer können die Krise in der Ukraine nicht lösen; wie können wir Taiwan glaubhaft sagen: 'Passt auf, wenn ihr etwas falsch macht, werden wir da sein'?", sagt Macron im Interview mit "Politico". "Wenn man die Spannungen erhöhen will, dann so."

China betrachtet das demokratisch regierte Taiwan als sein Territorium. Am Samstag startete China als Reaktion auf einen USA-Besuch der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen eine Militärübung rings um die Insel. Der Status Taiwans ist einer der Hauptkonfliktpunkte zwischen den USA und China. Die USA unterhalten wie viele andere Staaten mit Rücksicht auf die Volksrepublik China keine formalen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan. Die USA unterstützen das Land jedoch mit militärischer Ausrüstung und sind dessen wichtigster Lieferant von Rüstungsgütern.


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"PR-Coup für Xi" Macron zieht in Deutschland Zorn auf sich

10.04.2023, 18:57 Uhr

Macron und Xi sprachen wohl auch ausführlich über Taiwan.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Europa sollte in der Taiwan-Frage eine unabhängige Haltung einnehmen - unabhängig von China, aber auch von den USA: Das fordert der französische Präsident Macron. Er befürchtet, zum "Mitläufer" zu werden und sorgt mit diesen Worten für deutlichen Unmut bei deutschen Parlamentariern.

Der Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für eine unabhängigere Rolle Europas gegenüber den USA und China stößt bei deutschen Politikern auf scharfe Kritik. "Macron hat es geschafft, aus seiner China-Reise einen PR-Coup für Xi und ein außenpolitisches Desaster für Europa zu machen", twitterte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. "Mit seiner Vorstellung von europäischer Souveränität, die er in Abgrenzung statt Partnerschaft zu den USA definiert, isoliert er sich zunehmen." Zudem führe Macrons Politik Europa in "eine geopolitische Sackgasse".

Mit seinen Einlassungen spalte Macron Europa erneut und erschwere eine gemeinsame China-Politik, schrieb er weiter. "Wenn Macron glaubt, Chinas globale Machtambitionen gingen uns Europäer nichts an, ist das nicht nur naiv, sondern vor allem gefährlich!" Ein Angriff auf Taiwan werde wahrscheinlicher, je mehr Chinas Staatschef Xi glaube, Europa bliebe bei einem solchen Konflikt neutral. "Wir sind aber nicht neutral!"

Der französische Präsident hatte in einem am Sonntag veröffentlichten Interview in der französischen Zeitung "Les Echos" gefordert, dass Europa in der Taiwan-Frage kein "Mitläufer" sein dürfe. "Das Schlimmste wäre es zu denken, dass wir Europäer Mitläufer sein und uns dem amerikanischen Rhythmus und einer chinesischen Überreaktion anpassen müssten", sagte der Staatschef.

Europa müsse "aufwachen". "Unsere Priorität kann es nicht sein, uns der Agenda von anderen in allen Weltregionen anzupassen", sagte Macron. Europa riskiere, "zum Vasallen zu werden, während wir der dritte Pol sein können, wenn wir ein paar Jahre Zeit haben, ihn aufzubauen", sagte Macron, der in der vergangenen Woche den chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Peking getroffen hatte. Das Interview wurde am Freitag während seines China-Besuchs geführt.

Es mute beinahe "ironisch" an, dass ausgerechnet Macron, der noch weniger als Kanzler Olaf Scholz "für die Ukraine tut, die USA mit seinen China-Aussagen so vor den Kopf stößt", schrieb Röttgen weiter. "Niemand tut mehr für die Ukraine als die USA, dabei ist es unsere europäische Friedensordnung, die von Putin angegriffen wird."

"Ein schwerer Fehler"

Der SPD-Außenpolitiker Metin Hakverdi sagte dem "Tagesspiegel", es sei "ein schwerer Fehler", sich als Westen ausgerechnet im Umgang mit Peking spalten zu lassen. "Das schwächt unsere westliche Wertegemeinschaft", sagte Hakverdi. "Gegenüber China muss der Westen, also Europa und die USA, immer versuchen, gemeinsam aufzutreten, nicht gespalten."

Der CDU-Europapolitiker Christoph Ploß wies Macrons Vorstoß ebenfalls zurück. "Wenn Macron nun einen separaten Weg Europas ohne den engen Schulterschluss mit den USA anstrebt, wäre das fatal", sagte Ploß dem "Tagesspiegel". Die USA seien der wichtigste Partner Deutschlands außerhalb Europas.

"Freiheit und Demokratie"

"Wer für Freiheit und Demokratie eintritt, ist kein Mitläufer", kritisierte auch der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber. Die EU-Staaten machten sich unglaubwürdig, "wenn man einerseits Souveränität für Europa einfordert und dann jeden Wirtschaftsdeal mit China abschließt, den man kriegen kann", sagte er den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. "Die chinesische Führung wird die Europäer so nicht respektieren", betonte der EVP-Chef.

Macron hatte bei seinem Besuch in China auch für ein Wiederankurbeln der französisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen geworben. Am Rande des Staatsbesuchs wurden zahlreiche Wirtschaftsverträge unterzeichnet. So will etwa der europäische Flugzeugbauer Airbus seine Produktion in China verdoppeln, EDF beteiligt sich an einem Offshore-Windpark in Jiangsu, und auch Alstom, L'Oréal und weitere französische Unternehmen schlossen Verträge ab.

Bei Rede in Den Haag Macron pocht auf "europäische Souveränität"

11.04.2023, 22:02 Uhr

Stein des Anstoßes ist ein am Sonntag veröffentlichtes Interview, das Macron auf dem Rückflug von seinem Staatsbesuch in China gab.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Aussagen zum Taiwan-Konflikt für Irritierung gesorgt hat, ist seine Rede in Den Haag mit Spannung erwartet worden. Auf Kritik geht er zwar nicht ein, er erneuert aber seine Forderung nach mehr "europäischer Souveränität".

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat mit seinen Aussagen zum Taiwan-Konflikt international für Aufsehen gesorgt. Aus Deutschland hagelt es Kritik, China hingegen kommen Macrons Äußerungen gelegen. In einer Grundsatzrede in Den Haag ging Macron nicht auf die öffentliche Kritik ein, erneuerte aber seine Forderung nach mehr europäischer Souveränität. Es stellt sich die Frage: Hat der französische Staatschef mit seinem Wunsch nach europäischer Unabhängigkeit über die Stränge geschlagen, ist er schlicht missverstanden worden - oder sucht er die Debatte?

Stein des Anstoßes ist ein am Sonntag veröffentlichtes Interview, das Macron auf dem Rückflug von seinem Staatsbesuch in China gab. Zum Konflikt um Taiwan sagte Macron: "Das Schlimmste wäre zu denken, dass wir Europäer bei diesem Thema Mitläufer sein sollten und uns an den amerikanischen Rhythmus und eine chinesische Überreaktion anpassen sollten." Demnach wäre es eine Falle für die Europäer, zu einem Zeitpunkt der Klärung der eigenen strategischen Position in fremden Krisen gefangen zu sein. Europa drohe dann Vasall zwischen den USA und China zu sein, obwohl man ein dritter Pol sein könne.

Aus Deutschland erntete Macron dafür deutliche Kritik. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen urteilte gar, Macron scheine von allen guten Geistern verlassen. Er isoliere sich in Europa. Auch aus der SPD und der FDP kam heftige Kritik. Bundesjustizminister Marco Buschmann erwähnte Macron zwar nicht namentlich, schrieb auf Twitter aber, in einer Zeit autoritärer Herausforderung sollten alle Staaten, denen Freiheit und Demokratie etwas bedeute, umso enger kooperieren.

Vorwurf: Timing und Kontext sind katastrophal

Die kommunistische Führung in Peking betrachtet das unabhängig regierte Taiwan als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung. Seit der russischen Invasion in die Ukraine wachsen die Sorgen, dass China ähnlich militärisch gegen Taiwan vorgehen könnte. Der Konflikt um die demokratische Inselrepublik ist ein zentrales Streitthema zwischen China und den USA. Washington hat sich seit 1979 der Verteidigungsfähigkeit Taiwans verpflichtet, was bisher meist Waffenlieferungen bedeutete.

Der französische Politikwissenschaftler und Taiwan-Experte bei der Fondation pour la Recherche Stratégique, Antoine Bondaz, warf Macron in der Zeitung "Le Point" vor: "Das Timing und der Kontext sind katastrophal. Er kommt aus Peking zurück, hat China nicht einmal kritisiert und schießt auf die USA." Im Élyséepalast aber will man davon nichts wissen und sieht die Interviewäußerungen auf einer Linie mit bekannten Forderungen Macrons nach europäischer Souveränität. Zudem sei Frankreich nicht gleich weit von den USA und China entfernt. Während die USA ein Verbündeter seien, sei China zwar Partner, aber auch systemischer Rivale. Macron wolle die Stabilität der internationalen Ordnung aufrechterhalten und eine Zunahme von "Risiken" im Taiwan-Konflikt verhindern. Er habe Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping klar gesagt, dass das Thema durch Dialog geklärt werden müsse.

Macrons Rede in Den Haag wurde vor diesem Hintergrund mit Spannung erwartet. Die Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hätten erkennen lassen, dass Europa seine Abhängigkeiten verringern müsse, um seine Identität zu erhalten, sagte der Präsident. Souveränität zu verteidigen bedeute, man müsse in der Lage sein, seine Partner zu wählen und das eigene Schicksal zu gestalten. "Das können wir auf kooperative Art tun, die unserem Geist der Offenheit und der Partnerschaft entspricht."

Macron eckt nicht das erste Mal an

Die Interviewaussagen des französischen Präsidenten passen perfekt in das Weltbild der kommunistischen Führung in Peking. Besonders im Konflikt um Taiwan ist es China wichtig, einen Keil zwischen Europa und die USA zu treiben. Ein chinesischer Militäreinsatz gegen Taiwan würde massive internationale Sanktionen gegen China auslösen, die von den Europäern mitgetragen werden müssten. Auch will China verhindern, dass die USA den Taiwanern sogar mit Truppen zur Hilfe kommen - da wäre es hilfreich, wenn die Unterstützung in Europa wackelt.

China blickt zudem durch die Brille seiner geostrategischen Rivalität mit den USA auf die Welt. Ständig fordert es mehr Autonomie und Unabhängigkeit Europas, denn indem Europa gegen seinen Bündnispartner USA aufgewiegelt wird, will Peking die vom Westen gestützte regelbasierte Weltordnung schwächen und seinen Einfluss ausweiten. Da werden Macrons Äußerungen geradezu gefeiert.

Für Macron ist es bei weitem nicht das erste Mal, dass er mit seinen Aussagen aneckt: Kritik fuhr er etwa ein, als er der NATO 2019 den "Hirntod" attestierte, und auch als er vergangenen Sommer sagte, man solle Russland nicht demütigen, um nach einem Ende der Kämpfe in der Ukraine auf diplomatischem Weg einen Ausweg schaffen zu können. Doch möglicherweise ist das Strategie und Frankreichs Staatschef will mit überspitzten Aussagen eine Debatte anregen. Seine NATO-Kritik verteidigte er vergangenes Jahr jedenfalls mit dem Argument, mit ihr eine strategische Überlegung über die Funktionsweise des Bündnisses angestoßen zu haben.


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