Entwicklungshilfe 152 Projekte, allein in Peru - Das sind die Ausmaße der deutschen Förderstrategie

Veröffentlicht am 13.03.2024 | Lesedauer: 8 Minuten

Von Sandra Hackenberg

Gut befahren: Neuer, von Deutschland kofinanzierter Radweg in Perus Hauptstadt Lima bei der Eröffnung
Quelle: KfW

Die Fahrradwege in Peru, mit Millionen finanziert, sind zum Synonym fragwürdiger deutscher Entwicklungshilfe geworden. Doch sie sind nur die Spitze des Eisberges. WELT-Recherchen zeigen die wahren Dimensionen einer intransparenten Förderstrategie - in deren Mittelpunkt die KfW steht.

Dieser Donnerstag im Januar 2024 ist ein "denkwürdiger Tag in der Stadtgeschichte von Lima", berichtet der Kommentator in dem vier Minuten langen Clip für "Berlin direkt", der aktuell in der ZDF-Mediathek zu sehen ist. Dafür sei extra die Blaskapelle bestellt worden. Feierlich wird er enthüllt, der "Gedenkstein für immer" mit der Inschrift "Cofinaniado por la Cooperación Alemana a tavés de KFW Banco de Desarrollo". "200 Meilen Allee-Radweg", steht in fetten Lettern auf ihm geschrieben, "kofinanziert durch die Deutsche Zusammenarbeit über die KFW Entwicklungsbank".

Die Kamera schwenkt auf den fertigen Abschnitt des zweispurigen Radwegs, der entlang der Hauptstraße verläuft, über die auf der einen Spur Autos und auf der andere dreirädrige Apes brettern. Frauen in orangefarbenen Arbeitshosen, sie erinnern farblich an die Stadtreinigung in Deutschland, fegen mit Besen ambitioniert Staub vom neuen Stolz der limanische Verkehrswende.

"Wenn es in Deutschland deshalb Verstimmungen gegeben haben sollte, verstehe ich das", sagt Isaias Cordero Rios, Stadtrat von Lima. Für die Bevölkerung in Lima sei das Projekt sehr wichtig, - noch mehr -, "ist Deutschland wichtig", und dafür wolle er seinen Dank aussprechen.

Der Gedenkstein am neuen Radweg in Lima
Quelle: KfW

Dann wird das obligatorische rote Band durchgeschnitten. Startschuss für dutzende Peruaner auf Drahteseln, die den neuen Radweg direkt testen. Im Video folgt eine Art Faktencheck. Das Projekt habe eigentlich die Vorgängerregierung begonnen: "Für Radwege in Peru hat Entwicklungsminister Gerd Müller (CDU) für 2020 20 Millionen Euro zugesagt und für 2022 weitere 24 Millionen Euro. Macht 44 Millionen, die Nachfolgerin Svenja Schulze (SPD) jetzt ausgeben kann. Muss das sein?", fragt der Kommentator.

Einspieler Svenja Schulze. "Es muss sein", erklärt die amtierende Entwicklungsministerin. "Jede einzelne Tonne CO2, die wir einsparen, die zählt." Klimaschutz gehe eben am besten über Verkehrspolitik. "Mit jedem Euro, mit dem wir heute weltweit Gesellschaften krisenfester machen, sparen die Steuerzahlenden laut Weltbank-Berechnungen später vier Euro an humanitärer Nothilfe", heißt es auf der Homepage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Über diese 44 Millionen werde "besonders oft falsch berichtet", schildert der Kommentator in dem Video weiter. Auch das BMZ betont, nicht nachvollziehen zu können, wie die erstmals von der AfD in einer Haushaltssitzung im November 2023 in den Raum gestellte Zahl von "315 Millionen Euro für Fahrradwege in Peru" zustande kommen könnten. Das AfD-Bundestagsbüro reagierte nicht auf eine entsprechende Nachfrage von WELT.

Die fraktionslose Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, die die Zahl anschließend ebenfalls aufgegriffen hat, erklärt auf WELT-Anfrage, es sei wichtig, nicht nur das plakative Fahrradwege-Projekt in Peru, sondern die deutsche Entwicklungshilfe insgesamt zu betrachten. Die sei um einiges komplexer und rufe bei genauer Betrachtung ganz andere Summen auf den Plan, und so scheint es schon fast verständlich, dass auch Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) im Dialog mit Sandra Maischberger mit seinem Tipp ("ein paar tausend Euro") deutlich neben der Realität liegt.

553 Projekte in Peru seit 1994

Tatsache ist, dass Deutschland und Peru schon seit etwa 60 Jahren eine rege Partnerschaft pflegen, in deren Rahmen die Bundesrepublik den Andenstaat seit geraumer Zeit finanziell unterstützt. Insgesamt 533 mehrjährige Projekte wurden seit 1994 aufgelegt, 152 davon haben aktuell den Status "laufend" mit einem Gesamtvolumen von 881,23 Millionen Euro, darunter auch das im Jahr 2021 gestartete Projekt "Aufbau eines Fahrradwegenetzes im Metropolbereich Lima".

Weitere über die KfW laufende Projekte in Peru sind unter anderem 100 Millionen Euro für die Verbreitung energieeffizienter Technologien im sozialen peruanischen Wohnungsbau, 55 Millionen Euro für den Ausbau eines nachhaltigen Personennahverkehrsnetzes in peruanischen Städten, 25 Millionen Euro für die Förderung der Artenvielfalt in Naturschutzgebieten, 50 Millionen Euro für das Abfallmanagement oder 60 Millionen Euro für die Abwasserversorgung in Provinzstädten. Das alles lässt sich auf dem sogenannten Transparenzportal des BMZ herausfinden, zumindest theoretisch. Die Realität sieht bislang oft anders aus.

Aber zurück zu dem Projekt mit den Fahrradwegen. Finanzierer ist das BMZ, die KfW-Bank wird als durchführende Organisation gelistet. Tatsächlich laufen laut Transparenzportal nur 22 Projekte über die KfW-Bank, die allerdings mit einer Summe von 726,64 Millionen Euro den Löwenanteil des Gesamtvolumens ausmachen. Beim Rest handelt es sich um viele kleinere Projekte von kirchlichen Einrichtungen, Sozialverbänden und NGOs, die Höhe der jeweiligen Fördervolumen liegen in der Regel im sechsstelligen Bereich.

Vom gesamten Fördervolumen in Höhe von 20 Millionen Euro für das Radwege-Projekt wurden bislang etwas mehr als 4,5 Millionen Euro ausgezahlt. Dass es sich dabei um Zuschüsse aus dem deutschen Haushalt handelt, die nicht mehr zurückgezahlt werden, steht, kryptisch formuliert, im Projektbeschreibungstext. Deutschland fungiert in diesem Fall als "Sponsor" des Projekts, wie es dort heißt.

Mittel aus dem Haushalt und damit deutsche Steuergelder sind aber nur ein Teil der Förderkulisse. Bei vielen Maßnahmen und Projekten nimmt die KfW-Bank im Auftrag der Entwicklungs- und Schwellenländern sogenannte Förderkredite auf, die die KfW-Bank auf dem Kapitalmarkt finanziert. Im Fall Perus handelt es sich aber häufig um Entwicklungskredite, die als zinsverbilligte Darlehen strukturiert sind, ganz ohne Haushaltsmitteln geht es dabei nicht, denn sie dienen als Anschubfinanzierung.

Quelle: Infografik WELT

Am Beispiel Perus zeigt sich ein Grundproblem der deutschen Entwicklungshilfe: Sie ist für den Bürger bislang nicht nachvollziehbar. Im überwiegenden Teil der Projekte, die über die KfW-Bank finanziert werden, ist im Transparenzportal nicht ersichtlich, wie hoch der jeweilige Anteil aus Haushaltsmitteln ist oder ob es sich, wie im Fall der Fahrradwege, komplett um Haushaltsmittel handelt, die über mehrere Jahre verteilt ausgezahlt werden.

Hinzu kommt das Problem der Unvollständigkeit. Bei den Projekten gibt es eine "Dunkelziffer", da sie im Transparenzportal schlicht nicht auftauchen. Beispielsweise hat die Ampel-Regierung im Jahr 2022 das Fördervolumen für das Fahrradwege-Projekt, wie auch im Clip von "Berlin direkt" erklärt, noch einmal um 24 Millionen Zuschuss für das Projekt aufgestockt. Das BMZ bestätigt auf Anfrage, dass dieser Posten bislang nicht im Transparenzportal auftaucht.

Transparenzportal befinde sich noch im Aufbau, erklärt das BMZ

Noch komplizierter macht das Ganze die deutsch-peruanische Entwicklungspartnerschaft, die die Ampel-Regierung zum Beginn ihrer Legislaturperiode mit dem 33-Millionen-Einwohner-Land zusätzlich geschlossen hat - verbunden mit einer finanziellen Zusage von 529 Millionen Euro auf mehrere Jahre, "nicht nur für die Klimapartnerschaft, sondern für die gesamte Zusammenarbeit mit Peru", wie eine BMZ-Sprecherin erklärt. Diese Vorhaben befänden sich noch in der Vorbereitung und seien deshalb ebenfalls noch nicht in der Liste des Transparenzportals enthalten.

Weiter erklärt die Sprecherin: "Aufgrund des Vorbereitungsstadiums ist hier noch keine Auszahlung erfolgt. 87 Prozent (460 Millionen Euro, Anm. d. Red.) der zugesagten Mittel sind Kredite. Kredite werden über die KfW-Entwicklungsbank umgesetzt und nicht über die weiteren staatlichen Durchführungsorganisationen oder die nicht staatlichen Projektträger. Diese erhalten Haushaltsmittel."

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Diese Informationen sind bislang für den interessierten Bürger im Transparenzportal, das im vergangenen Jahr online gegangen ist, aber nicht einsehbar. Das BMZ erklärt dazu, dass die Projekte der deutschen Entwicklungshilfe künftig um weitere Informationen wie die jeweilige Herkunft der finanziellen Mittel ergänzt werden, das Portal befinde sich noch immer im Aufbau.

Zudem würden die Projekte regelmäßig aktualisiert, teilweise würden im Prinzip abgeschlossene Projekte aus den Vorjahren aus Evaluationsgründen weiter als "laufend" gelistet. "In zwei Monaten zum Beispiel wird die Anzahl der laufenden Projekte und somit auch die Summe des Finanzierungsvolumens für ein Land anders sein, da einige Projekte beendet sein werden, während andere hinzukommen", sagt die BMZ-Sprecherin. Ziel sei es jedoch, mittelfristig für noch mehr Transparenz zu sorgen.

Kein Schuldenerlass, sondern eine "Schuldenumwandlung"

Eine andere Information lässt sich im Transparenzportal bislang ebenfalls nicht finden: Deutschland hat Peru 233 Millionen Euro an Schulden erlassen, die das Land im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit bei der KfW aufgenommen hat - unter der Voraussetzung, dass sich die peruanische Regierung verpflichtet, das Geld, das sie nicht mehr für die Rückzahlung der Kredite aufwenden muss, stattdessen für entwicklungspolitische Projekte einzusetzen.

Es handele sich um keinen Schuldenerlass, sondern um eine "Schuldenumwandlung", betont das BMZ, die bereits 2016 beendet worden sei. "Die Schuldenumwandlungen sind zum Teil mehr als 20 Jahre alt. Die Summe hat sich über viele Jahre aufaddiert, sie steht in keinem Bezug zu den heute geleisteten Zahlungen."

Für Bundestagsabgeordnete Joana Cotar sind die finanziellen Mittel durch die peruanische Schuldenumwandlung aus deutscher Sicht verloren: "Das Geld bekommen wir nicht wieder." Sie regt an, dass die Regierung zumindest prüfen könnte, ob sie sich die Finanzierung der Klimaschutz-Projekte im Ausland nicht über das EU-Emissionshandelssystem anrechnen lassen könnte, sozusagen als Alternative zu teureren Emissionsreduktionen hierzulande. Deutsche Firmen würden zudem bislang nur geringfügig von der Entwicklungshilfe im Ausland profitieren.

Die Sprecherin des BMZ erklärt, dass weitere Schuldenumwandlungen mit Peru derzeit nicht geplant seien, da sich die wirtschaftliche Situation Perus inzwischen relativ gut entwickle und das Land einen moderaten Schuldenstand habe. Generell habe auch das BMZ in den aktuellen Haushaltsdiskussionen Einsparungen hingenommen. Für das Haushaltsjahr 2024 stehen dem BMZ rund 11,22 Milliarden Euro zur Verfügung und damit eine Milliarde weniger als im Vorjahr.

Wofür diese Gelder mitunter verwendet wird, können die Bürger - mit Abstrichen - im Transparenzportal einsehen. Eine Übersicht über Projekte und Maßnahmen wie in Peru lässt sich zu jedem einzelnen Land abrufen.


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