"Endlich im großen Stil"? Von wegen!: Scholz bricht sein Abschiebe-Versprechen

Julian Loevenich

Samira Classen

Luisa Volkhausen

20.06.2024 - 13:24 Uhr

Im Herbst 2023 kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (66, SPD) vollmundig die große Abschiebe-Wende an. Sein Versprechen: "Endlich im großen Stil", "deutlich mehr und schneller" abzuschieben.

Bundeskanzler Olaf Scholz (66, SPD) hatte eine große Abschiebe-Wende angekündigt - warum stockt es trotzdem?
Foto: Liesa Johannssen/REUTERS

Fakt ist: Von Januar bis April 2024 wurden 6316 Menschen abgeschoben. Ein Plus von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (4792). ABER: Mit Blick auf die Gesamtzahlen kann von einer großen Abschiebe-Wende keine Rede sein.

Denn: 2023 waren insgesamt 242.600 Menschen ausreisepflichtig. Aber: 80 Prozent (193.972) von ihnen haben eine Duldung. Heißt: Sie können nicht abgeschoben werden, obwohl sie eigentlich müssten (z. B., weil Dokumente fehlen).

Und: Von 31.770 geplanten Abschiebungen wurden nur 16.430 auch tatsächlich vollzogen. Das ist gerade mal knapp über die Hälfte.

Woran das liegt? BILD erklärt, warum Scholz sein Abschiebeversprechen bricht.

Warum werden so wenige Menschen abgeschoben?

Laut Asyl-Experte Professor Daniel Thym (50, Uni Konstanz) scheitern Abschiebungen vor allem aus praktischen Gründen:

Warum werden so viele geduldet?

Die Zahlen belegen: Top Duldungsgrund 2023 waren fehlende Reisedokumente (45 566 Fälle), gefolgt von ungeklärter Identität (25 408 Fälle).

Aber: "Nach deutschem Recht sind Geduldete auch ausreisepflichtig", mahnt Migrationsforscher Herbert Brücker (IAB) in BILD.

Warum schiebt Deutschland nicht nach Ruanda oder Albanien ab?

Großbritannien hat mit Ruanda ein Abkommen, das Asylbewerber während ihres Verfahrens nach Ruanda ausweist. Wird ihnen Asyl gewährt, sollen sie im ostafrikanischen Staat bleiben. Italien wiederum bringt Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, in Aufnahmezentren nach Albanien. Nur wenn dort dem Asylantrag zugestimmt wird, ist eine Weiterreise nach Italien möglich.

Könnte Deutschland solche Abkommen mit Drittstaaten schließen? Darüber streiten die Experten.

Dies sei nicht möglich, sagt Migrationsforscher Brücker: "Ruanda ist eine Militärdiktatur mit schweren Menschenrechtsverletzungen. Abschiebungen dahin werden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder anderen Gerichten deshalb kaum Bestand haben." Und das italienische Modell scheitere daran, dass die Menschen nicht über den Seeweg nach Deutschland einreisen.

Anderer Meinung ist Asyl-Experte Tyhm: "Ein Drittstaaten-Modell, um bspw. nach Ruanda oder Albanien abzuschieben, ist zwar anspruchsvoll - aber möglich!" Rechtliche Voraussetzung: Das europäische Asylrecht müsste geändert werden. Denn aktuell kann nur in Länder abgeschoben werden, zu denen die Menschen eine Verbindung haben. Derzeit blockiere Deutschland eine Gesetzesänderung.

Warum dauern Abschiebeverfahren so lange?

Thym: "Ein entscheidender Faktor, warum Abschiebeverfahren in Deutschland so lange dauern, ist die schlechte Ausstattung der Behörden. Digitalisierung, ausreichend Personal - das ist jahrelang verschlafen worden."

FAZIT: Die Abschiebe-Zahlen steigen, aber nur sehr langsam. Unfreiwillige Abschiebungen bleiben schwierig, wenn Herkunftsländer nicht kooperieren. Die Ampel schließt deshalb neue Abkommen. Doch noch immer kommen deutlich mehr Menschen irregulär nach Deutschland als hierzulande abgeschoben werden.


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