Eine Berliner Sauna offenbart, was in Deutschland falsch läuft

Stand: 06.03.2023 07:47 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten

Von Harald Martenstein
Freier Kolumnist und Autor

Die Bürger werden von allen Seiten in die Zange genommen, im Stich gelassen von einem immer dysfunktionaleren Staat, bedrängt von Inflation und Steuern. Deutschlands Regierende haben sich der Lösung der großen Weltprobleme verschrieben - die Probleme der Leute stören sie dabei nur.

WELT AM SONNTAG-Kolumnist Harald Martenstein
Quelle: Matthias Schardt/kombinatrotweiss

In Berlin gilt der Club "Berghain" seit Langem als Hochburg des erotisch zugespitzten Hauptstadt-Hedonismus. Deshalb war ich überrascht, als ich in einer Zeitung die Schlagzeile las: "Das ‚Vabali' ist das neue ‚Berghain'".

Ins "Berghain" hineinzukommen ist für einen Menschen meiner Generation nicht einfach, ich habe es nur einmal geschafft, und das war als Vortragskünstler. Im "Vabali" war ich öfter. Es ist eine ganz normale Privatsauna, also ohne Sex, und sehr weitläufig. 500 Leute passen hinein.

Dort stehen, wie es in dem Text hieß, die Leute neuerdings Schlange. Angeblich gibt es auch einen Türsteher wie im "Berghain". Dies hänge damit zusammen, dass in Berlin alle öffentlichen Saunen in den städtischen Bädern dichtgemacht wurden, um "fossile Energie einzusparen". Saunieren ist gesund, aber gewiss kein Grundrecht. Jetzt können sich das also in Berlin bis auf Weiteres nur noch Besserverdienende leisten, denn billig ist das "Vabali" nicht gerade.

Bildung läuft schon eher unter "Grundrecht". In Brandenburg ist der Lehrermangel inzwischen so weit fortgeschritten, dass eine Lehrerin manchmal zwei Klassen parallel unterrichtet, ein ständiges Hin und Her. Wenn sie eines der beiden Klassenzimmer verlässt, soll die allein zurückbleibende Klasse etwas tun, für das der wohlklingende Name "Freies Lernen" erfunden wurde. Eltern, deren Kinder in staatlichen Schulen sind, erzählen Geschichten, die oft von Gewalt der stärkeren Schüler gegen die Schwächeren handeln. Die Pointe der Geschichte läuft darauf hinaus, dass die Täter nicht bestraft werden und deren Eltern manchmal das Problem nicht begreifen.

Der inzwischen dramatische Lehrermangel und die nicht vorhandenen Erzieherinnen in Kitas hängen nur zum Teil mit der Migration nach Deutschland zusammen. Der Mangel war seit Langem absehbar. Was immer man dagegen hätte tun können, es wurde nicht getan.

Die Leute erwarten es und haben ein Recht darauf

Bildungschancen, ein zuverlässig funktionierender Zug- und Flugverkehr, überhaupt eine verlässliche Infrastruktur, eine stabile Versorgung mit Energie, äußere Sicherheit durch militärische Abschreckung, innere Sicherheit zum Beispiel, indem gefährliche Straftäter abgeschoben werden und zu langen Strafen Verurteilte nicht etwa auf freiem Fuß bleiben, weil im Gefängnis kein Platz ist: Das sind Grundaufgaben eines Staates.

Die Leute erwarten es, und sie haben ein Recht darauf. Es ist schwer zu bestreiten, dass diese Erwartungen in Deutschland nur noch mit Einschränkungen erfüllt werden, bei regionalen Unterschieden, gewiss. Berlin ist wohl am schlimmsten dran.

Der Staat, dessen Bürokratie ständig wächst und der trotzdem seine Grundaufgaben seit Jahren nur noch unzureichend erfüllt, stellt aber immer neue Forderungen an diejenigen, deren alltägliche Bedürfnisse er demonstrativ missachtet. Aus der SPD werden wieder einmal neue Rufe nach Steuererhöhungen laut, nicht, dass die Steuern in Deutschland zurzeit niedrig wären.

Und um zu glauben, dass neue Einnahmen vorrangig zur Ausbildung und Einstellung von Kita-Erziehenden verwendet werden, muss man ein bisschen naiv sein. Falls ich ausnahmsweise mal polemisch sein darf: Ich glaube, die neuen Steuereinnahmen werden für weitere "Beauftragte" für dies und das sowie den Ausbau von Meldestellen gebraucht, an denen man anonym Falschdenkende anschwärzen kann.

So werden wir, die Leute, von allen Seiten in die Zange genommen. Auf breiter Front im Stich gelassen von einem immer dysfunktionaleren Staat, bedrängt von Inflation und Steuern, parallel dazu beschallt mit pauschalen Schuldzuweisungen wegen unseres angeborenen Rassismus und der Erbsünde Kolonialismus, jedenfalls, sofern es sich um Weiße handelt.

Wenn es wenigstens bezahlbare Wohnungen gäbe, würden manche leichter mit solchen Vorwürfen zurechtkommen. Grundsätzliches Unbehagen macht sich breit, allerdings glauben zwei Drittel, dass man in der Öffentlichkeit vorsichtig damit sein sollte, es offen auszusprechen.

Deutschlands Regierende haben sich der Lösung der großen Weltprobleme verschrieben, die kleinen Probleme der Leute stören sie dabei nur. Sie wollen als globales Vorbild das Weltklima sanieren, Rassismus und Nationalismus ausmerzen, einige möchten sogar, dass alle Bedrängten dieser Erde in Deutschland Zuflucht finden, ohne Obergrenzen, bis alle Kassen leer sind und alle Turnhallen voll.

Diese Projekte sind edel, aber zu groß, um realistisch zu sein. So scheitern wir im Großen und im Kleinen, in beidem. Auch mit der Idee, wenigstens moralisch Weltmacht Nummer eins zu sein, wird Deutschland wohl Schiffbruch erleiden.


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