FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz
Montag, 22.07.2024, 06:47
Die Stimmung in der Bevölkerung ist wie eine neue Bewegung, die die Grünen vor gut 40 Jahren selbst einmal waren - nur: sie ist ins glatte Gegenteil umgeschlagen. Wenn es heute einen Megatrend gibt, dann den: Anti-Grün.
Das ist der Zeitgeist, der Sahra Wagenknecht und ihre neue Partei so stark macht. Davon profitiert die AfD - der Wunsch sehr vieler Menschen, es vor allem anders zu machen als die Grünen, lässt selbst eine rechtsradikale Partei noch stark werden - vor allem im Osten des Landes. Der Grund: Dort hält man vieles, wofür die Grünen stehen, von der Migrations- über die Energie- bis hin zur Ukraine-Politik für irrational.
Aktuell wird dieser anti-grüne Trend auch noch aus dem Ausland verstärkt - von Donald Trump, der spätestens seit dem Attentat auf ihn zum Favoriten für die Präsidentschaftswahlen am 4. November aufgestiegen ist. Weshalb betreibt Deutschland mit seiner grünen Politik eine Deindustrialisierung des Landes, fragt konkret Richtung Deutschland Trumps Vize-präsidentschaftskandidat J.D. Vance.
So viel zum Rahmen, in dem die Grünen sich gerade bewegen müssen. Und deshalb stößt ein Satz der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang besonders auf, weil genau der belegt, wie weit die Grünen sich inzwischen von der Stimmung in der Bevölkerung entfernt haben: Die Grünen, sagt Lang, müssten "führende Orientierungspartei" in Deutschland sein. Bloß: Wie genau sollten sie das schaffen?
"Mehr zuhören", die "Sorgen der Menschen ernst nehmen" - das gibt Ricarda Lang als Rezept aus. Was auch nur die Frage provoziert: Wenn sie jetzt damit anfangen wollen, zuzuhören - was war denn dann das, was die Grünen in den vergangenen drei Jahren an der Regierungsmacht veranstaltet haben?
Wer wie der wahrscheinliche nächste Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck mit dem Anspruch antritt, die Grünen wieder anschlussfähig für die politische Mitte zu machen, muss auf die wichtigsten Fragen bessere Antworten geben als die Grünen das bisher getan haben.
Beispiel Migration. Lang sagt, die Migrationskrise sei nicht der Grund für den Sinkflug der Grünen. Nun - das ist mutig - auf kaum einem Politikfeld agieren die Grünen mehr an den Erfahrungen der Menschen in Deutschland vorbei als bei der Migration. Die ist längst außer Kontrolle geraten, kaum ein Tag vergeht, an dem nicht mindestens ein Messerattentat oder eine Vergewaltigung durch einen oder gleich mehrere Migranten durch die Nachrichten läuft.
Lang sagt, das zunehmende Unsicherheitsempfinden der Bevölkerung habe viel mit einer nur gefühlten Wirklichkeit zu tun. Nein, so ist es gerade nicht. Das Unsicherheitsempfinden hat zu tun mit Tatsachen, bei der Kriminalitätsentwicklung zum Beispiel. Dass Deutschland längst nicht mehr als sicheres Land gesehen wird, geht - eindeutig - auf die Folgen einer ungesteuerten und kaum gebremsten Migration zurück. Von Menschen zudem, von denen gerade einmal knapp zwei Prozent politisch verfolgt im Sinn des deutschen Grundgesetzes sind.
Lang will jetzt mehr tun für die Integration der Migranten - auf mangelnde Integration führt sie die Probleme zurück. Damit macht sie die Desintegration zu einer Bringschuld der Deutschen - und nicht zu einer Holschuld der Menschen, die angeblich auf der Suche nach Schutz in die Bundesrepublik einreisen. Es ist ein uralter Denkfehler der Grünen.
Lang führt das besondere Problem der Grünen im Osten darauf zurück, dass die Grünen dort von immer mehr Menschen und den anderen Parteien zum Feindbild erklärt würden. Aber auch das passiert nicht einfach mal so, aus dem Nichts sozusagen. Sondern es gibt genug Referenzpunkte dafür - gerade aus Sicht einer vom Staat desillusionierten Bevölkerung.
Im Osten geraten die Grünen nicht nur wegen der gutmütig-naiven Migrations- und Integrationspolitik unter die Räder. Sondern auch wegen der Verteuerung der Energie - durch den aktionistischen Verzicht auf den Weiterbetrieb funktionsfähiger Kernkraftwerke, durch den
Die maßgeblich von den Grünen vorangetriebene Energiewende hat einstweilen dazu geführt, dass noch nie so viele Gasheizungen eingebaut wurden wie im vergangenen Jahr. Und dass Elektroautos zu Ladenhütern werden, gebrauchte gelten schon fast als unverkäuflich.
Es ist völlig in Ordnung, wenn Parteien sich Ziele setzen. Man darf dabei auch durchaus ehrgeizig sein. Und wenn man denn eine gute Idee hat, darf man den Menschen auch etwas abverlangen. Die Grünen aber wollen für alles Mögliche mehr Schulden machen. Was wäre dies anders als: phantasielos?