Regulieren, umverteilen, verbieten Die neue grüne Welt wird teuer: Was Baerbock und Habeck mit unserer Wirtschaft vorhaben

Gastautor Ansgar Graw

Freitag, 16.04.2021, 13:57

In ihrem Wahlprogramm versprechen die Grünen eine "Energierevolution" und umfangreiche Investitionen. Sie zielen auf die Mitte - aber die Handschrift der auf Regulierungen und Verbote setzenden Partei wird immer wieder deutlich. Und das kann teuer werden. dpa/Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa bild
Annalena Baerbock, die Bundesvorsitzende der Grünen, will neben einer "Energierevolution" auch viele neue Regeln für die Wirtschaft aufstellen.

"Regieren auf Augenhöhe mit der Zukunft" versprechen die Grünen in ihrem Wahlprogramm. Aber auf Augenhöhe mit der Wirtschaft sind sie offenkundig nicht. "Die Grünen wollen eine andere Gesellschaft", bilanzierte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) unlängst nach der Vorstellung des 137-seitigen Papiers. Carla Reemtsma von Fridays for Future kritisierte hingegen ähnlich scharf, die Grünen blieben "meilenweit hinter ihren Versprechen an eine 1,5-Grad-konforme Politik zurück", weil der im Programm geforderte CO2-Preis von 60 Euro "viel zu niedrig" sei.

Das ist der Preis des Abschieds aus der Opposition, der nach den Wahlen im September als Junior-Partner der Union endlich gelingen soll. Erstmals seit ihrer Gründung 1980 haben die Grünen sogar Aussichten, das Kanzleramt zu übernehmen, entweder mit einer Ampelkoalition (Grüne, SPD, FDP) oder mit einem Links-Bündnis zusammen mit Sozialdemokraten und Die Linke. Oder gar wie in Baden-Württemberg als stärkere Kraft in einer Regierung mit der Union.

Wer zur Nummer 1 werden will, muss Wähler in der Mitte von sich überzeugen und kann keine Wirtschaftsfeindlichkeit predigen. Aber wer sich zugleich als "führende Kraft der linken Mitte" (Robert Habeck) begreift, darf der eigenen Klientel auch nicht den Rücken kehren.

Grüne und ihre Energierevolution: "Massive Ausbauoffensive" für die Erneuerbaren

Das Wahlprogramm sieht massive Mehrausgaben in der Klimapolitik ebenso wie in der Sozialpolitik vor und dazu ein Investitionsprogramm von jährlich 50 Milliarden Euro - für den Bahnverkehr, den ÖPNV, ein "lückenloses Fahrradnetz", eine "Mobilitätsgarantie" auf dem Land, erneuerbarer Energien und zur Sanierung maroder Infrastruktur. Zugleich soll die Einnahmeseite verbessert werden durch Steuererhöhungen und Vermögensabgaben. Das ist eine Wette aufs Ungewisse: Steigen die finanziellen Belastungen weiter in dem Land, das laut OECD-Vergleich bereits jetzt weltweit bei Steuern und Abgaben auf dem Spitzenplatz liegt, dürften weitere Unternehmen und Leistungsträger nach Standortalternativen auch im Ausland suchen.

Eine "massive Ausbauoffensive für die Erneuerbaren", versprechen die Grünen, damit "die Sektorenkoppelung vorankommt und Strom zu verlässlichen und wettbewerbsfähigen Preisen vorhanden ist". Nicht nur der Strom, auch das Benzin in den Autos, Kerosin im Flugzeugtank, Öl in der Heizung und Gas im Industriebetrieb sollen auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Dazu brauche man zuerst eine "massive Ausbauoffensive" für die Erneuerbaren: "Das ist nichts weniger als eine Energierevolution", so das Programm. Ein Preisschild wird hier nicht genannt. Aber Revolutionen waren in der Geschichte nie zum Nulltarif zu bekommen. Und die Umsetzung dieser Ziele muss rasch geschehen, weil der für 2038 vereinbarte Ausstieg aus der Kohle nach dem Wahlprogramm der Grünen nun schon "bis 2030 zu vollenden" sei. Für die verbleibenden Jahre soll die Kohle-Verstromung mit einem "lenkenden CO2-Preis" weiter verteuert werden.

Immerhin sollen im Gegenzug die EEG-Umlage (Erneuerbare Energien-Gesetz) gesenkt und die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bürger zurückgegeben werden, "und zwar fair aufgeteilt pro Kopf". So würden Geringverdiener und Familien entlastet "und vor allem Menschen mit hohen Einkommen belastet". Ab welchem Einkommen die Belastung wachsen soll, verraten die Grünen nicht.

Eine Reparaturwerkstatt und eine Quote für jedes Unternehmen

Viele Belastungen kommen auf Unternehmer zu. "Wir schaffen die gesetzlichen Grundlagen dafür, um alle Produkte lange zu verwenden, reparieren und recyceln zu können", wird versprochen. "Im Ergebnis heißt das bis 2050: kein Müll mehr."

Im Ergebnis heißt das aber auch: Wer etwas produziert, muss künftig eine Reparaturwerkstatt nebenan aufbauen. Das mag in vielen Fällen vernünftig sein. Aber bis zu welchem Punkt soll die löbliche Müllvermeidungsstrategie gehen? Dass ein Hersteller von Handys eine technische Nachrüstung ermöglicht, wenn die Prozessorentwicklung so weit vorangeschritten ist, dass ein mobiles Telefon nicht mehr im Netz angemessen mitsurfen kann? Dass ein Produzent von Kugelschreibern die Reparatur garantiert, wenn die Bügelklammer zur Befestigung an der Brusttasche des Businesshemdes abbricht? Und die leere Tintenmine nicht auswechselt, sondern nachfüllt? Ansonsten funktioniert die angestrebte Kreislaufwirtschaft nicht.

Grüne/Dominik Butzmann Annalena Baerbock und Robert Habeck mit dem Programm-Entwurf der Grünen für die Bundestagswahl.

Vor Eingriffen ins Privatrecht gibt es keine Scheu. Zukünftig solle "mindestens ein Drittel der Vorstandssitze größerer und börsennotierter Unternehmen bei einer Neubesetzung an eine Frau gehen", wird da gefordert. In den Aufsichtsräten wolle man sogar "40 Prozent anstreben". Zur Verdeutlichung: es geht hier nicht um Konzerne in der öffentlichen Hand, sondern um private Unternehmen. Man kann dies als Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter feiern - aber spätestens dort, wo sich keine geeigneten Frauen zur Verfügung stellen, geraten derartige Quoten zum Verbot, gute Männer in die Gremien zu berufen. Offen bleibt lediglich, ab welchem Umsatz und welcher Mitarbeiterzahl es sich um "größere Unternehmen" handelt.

Schnelle digitale Verwaltung gewünscht, aber auch mehr Bürokratie für Unternehmen

Die Überzeugung, der Staat sei der bessere Unternehmer, schimmert ohnehin immer wieder durch. Beispiel Reise- und Tourismuswirtschaft: Sie sei "durch die Corona-Krise schwer getroffen" heißt es richtigerweise, und darum wollen die Grünen "ihr wieder auf die Beine helfen und zugleich den Nach-Corona-Tourismus klimaschonender, ökologischer und sozial nachhaltiger gestalten". Natürlich ist eine klimagerechte Wirtschaft anzustreben. Aber touristische Unternehmen werden dies mutmaßlich selbstständig hinbekommen, weil die Kunden sich entsprechende Innovationen wünschen - muss sich der Staat da wirklich einmischen. Zugleich versprechen die Grünen, man wolle den Mittelstand mit "schnelleren Planungen und Genehmigungen und einer effizienten, digitalen Verwaltung unterstützen"? Man sieht diese Effizienz schon unter den Formularen, Statistiken und Berichtspflichten auf dem Weg zum ökologischen Wirtschaften begraben.

Nochmals verschärft werden soll das gegen den Widerstand der Wirtschaft und des Mittelstands unlängst vom Bundeskabinett beschlossene Lieferkettengesetz, das Unternehmen ab 1000 Mitarbeiter darauf verpflichtet, bis ins letzte Glied einer Produktion auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards zu achten. Die Grünen wollen zusätzlich eine zivilrechtliche Haftung einführen, über die ein Unternehmer vor Gericht gezerrt werden kann, wenn an irgendeinem Glied seiner Lieferkette Lohndumping, Kinderarbeit oder ein ökologiefeindlicher Abbau von Rohstoffen nachgewiesen werden kann.

Der Klassiker: Umverteilung von Reich zu Arm

Erhöht werden sollen Steuern für Besserverdienende. Liegt der Spitzensteuersatz bislang bei 42 Prozent und beginnt bei einem Einkommen von 58.000 Euro, soll ein neuer Satz von 45 Prozent hinzukommen, der ab 100.000 Euro zuschlägt. Ab 250.000 Euro werden es nach Vorstellungen der Grünen gar 48 Prozent. Hingegen soll der Grundfreibetrag der Einkommensteuer gesenkt werden "um kleine und mittlere Einkommen zu entlasten". Geplant ist zudem eine Vermögenssteuer in Höhe von jährlich ein Prozent für Personen, die mehr als zwei Millionen Euro besitzen.

An vielen Stellen soll Geld ausgegeben werden: Hartz IV würde durch eine "Garantiesicherung" abgelöst werden. Der gesetzliche Mindestlohn, der gerade erst zum Jahresbeginn auf 9,50 Euro gestiegen war, soll "sofort auf 12 Euro" angehoben werden. Die private Krankenversicherung wird nach der Idee der Grünen abgeschafft und anstelle der "Zwei-Klassen-Medizin" wird eine "solidarisch finanzierte Bürgerversicherung" verlangt.

Gescheiterten Mietendeckel auf ganz Deutschland übertragen?

Auch für Immobilienvermieter würde eine grüne Politik teuer. Den Berliner Mietendeckel, der soeben vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, soll unter einem anderen Begriff Vorbild werden für den Bund. "Konkret wollen wir Mietobergrenzen im Bestand mit einem Bundesgesetz ermöglichen und die Mietpreisbremse entfristen und nachschärfen", heißt es im Programm.

Das würde den Export der Unvernunft der Berliner Landesregierung auf die Bundesebene bedeuten: Denn zwar weist der Karlsruher Spruch vom Donnerstag eine entsprechende Gesetzgebungsbefugnis dem Bund zu, und erste Reaktionen führender Grünen nach der Verkündung des Urteils forderten denn auch gleich einen Mietendeckel für ganz Deutschland.

Aber wenn das ideologische Experiment der rot-rot-grünen Landesregierung in der Hauptstadt für eine Lehre gut war, dann die, dass der Wohnungsmarkt in der Folge massiv eingebrochen war und die Suche nach Mietobjekten in Berlin deutlich erschwert wurde - denn Wohnungsbesitzer tendierten deswegen dazu, ihre Wohnung lieber zum Marktpreis an (in der Regel eher gut betuchte) Interessenten zu verkaufen, anstatt sie oft ohne Rendite weiterhin zu vermieten. Andere Wohnungsbesitzer sahen sich nicht mehr in der Lage, obligatorische Rennovierungs- und Modernisierungsarbeiten durchzuführen. Der Mietendeckel hat damit die Quantität wie Qualität der Mietobjekte in Berlin spürbar gesenkt. Dennoch wollen die Grünen dieses Muster auf ganz Deutschland übertragen, wenn sie nach dem September mutmaßlich mitregieren oder sogar das Kanzleramt übernehmen.

Beim Hausbau hingegen: Umverteilung von unten nach oben

Die unlängst erneut aufgeflammte Diskussion über ein Verbot von Einfamilienhäusern in Ballungsgebieten versuchen die Grünen im Wahlprogramm zu umgehen. Tatsächlich hatte kein führender Grünen-Politiker eine solche Forderung je erhoben. In einem Interview äußerte Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter im Februar jedoch Verständnis dafür, dass ein Hamburger Bezirksamt wegen der "dramatischen Wohnungsnot" keine Baugenehmigungen mehr für Einfamilienhäuser erteilen wollte. "Einparteienhäuser verbrauchen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelung und damit auch für noch mehr Verkehr", so der Fraktionschef zum "Spiegel", darum sollten Kommunen durch Bebauungspläne dafür sorgen, dass der knappe Raum in Ballungsgebieten "bestmöglich" genutzt werde, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen - also Mehrfamilien- statt Einfamilienhäuser unter der auch im Wahlprogramm auftauchenden und vom Kern ablenkenden Forderung: "Erwerb von Wohneigentum erleichtern."

Wohneigentum ja, Einfamilienhäuser nein: Diese Argumentation entspricht voll und ganz einem Antrag, der auf dem Bielefelder Grünen-Parteitag im November 2019 beschlossen wurde. Demnach sollen "Privilegien für Flächenverbrauch wie das erleichterte Baurecht im Außenbereich" gestrichen werden. Baustoffe würden durch ihre CO2-Bepreisung verteuert. Für die Bauordnungen der Länder wird die Verankerung von "Ressourcenschutz und -effizienz" verlangt. Im Bodenschutzgesetz soll ein Schutzstatus für unversiegelten Boden "mit Festlegung eines bis 2035 auf Netto-Null sinkenden Flächenverbrauchs" durchgesetzt werden. Ein "Programm für flächensparendes Wohnen" wird gefordert.

Einfamilienhäuser sollen also nicht verboten, aber ihr Bau soll weitgehend unmöglich gemacht werden. Und wo er doch möglich bleibt, würden nur zahlungskräftige Häuslebauer zum Zuge kommen, die sich verteuerte Baustoffe und Grundstücke leisten können. So funktioniert Umverteilung von unten nach oben.

Das Original zu diesem Beitrag "Die neue grüne Welt wird teuer: Was Baerbock und Habeck mit unserer Wirtschaft vorhaben" stammt von The European.


focus vom 16.04.2021