Der andere Blick Die Ukraine und der Anschlag auf Nord Stream:
Warum ist es so still in Deutschland?

von Jonas Hermann

17.09.2025, 05.30 Uhr 3 min

Vieles weist darauf hin, dass Ukrainer die Pipelines gesprengt haben - doch die deutsche Regierung tut so, als ob nichts gewesen wäre. Die Ermittler haben gute Arbeit geleistet, ihre Erkenntnisse passen aber nicht ins gewünschte Bild.

Ukrainer haben die Nord-Stream-Piplines gesprengt - das lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen. Ein dreister Sabotageakt, ausgeführt im Jahr 2022 mit einfachen Mitteln. Die Hinweise auf ukrainische Täter sind solider, als es Skeptiker wahrhaben wollen. Enthüllt hatte die mutmassliche Täterschaft das «Wall Street Journal» vor gut einem Jahr.

Die Wasseroberfläche schäumt nach der Sprengung der Pipelines.
Reuters

Journalisten von «Zeit», «Süddeutscher Zeitung» und ARD waren zum selben Schluss gelangt. Später recherchierte der «Spiegel» den Bericht aus dem «Wall Street Journal» nach und lieferte weitere Details: So hatten manche der ukrainischen Saboteure offenbar Verbindungen zum amerikanischen Geheimdienst CIA.

Ausserdem weist vieles darauf hin, dass sie vom ukrainischen Staat mindestens unterstützt wurden. So sollen sie zum Beispiel teilweise echte ukrainische Pässe mit falschen Namen benutzt haben. Der Plan soll bis hoch zum Präsidenten Wolodimir Selenski bekannt gewesen sein.

Offiziell bestreitet die Ukraine die Vorwürfe, und es gibt Gründe, sogar den Recherchen von renommierten Medien zu misstrauen. Zu oft lagen Journalisten falsch – oder liessen sich von Betrügern für dumm verkaufen. Im Fall Nord Stream geht aber auch die deutsche Bundesanwaltschaft davon aus, dass ein Tauchtrupp aus ukrainischen Freiwilligen den Anschlag auf die Pipeline verübte. Laut Medienberichten hat die Behörde sechs Haftbefehle erlassen, einer davon wurde kürzlich in Italien vollstreckt.

Keine Regierung darf sich das bieten lassen

Dort ging der Polizei im August der Ukrainer Serhi K. ins Netz. Am Dienstag entschied nun ein Gericht in Bologna, dass er nach Deutschland überstellt werden soll. Der Beschuldigte war laut der Bundesanwaltschaft mutmasslich in die Koordination des Anschlags eingebunden. Sie wirft ihm unter anderem «verfassungsfeindliche Sabotage» vor.

Nord Stream war eine wirtschaftliche Kooperation zwischen Russland und Deutschland. Die Pipelines landeten im ostdeutschen Ort Lubmin an, deutsche Unternehmen hatten in das Milliardenprojekt investiert. Stand jetzt muss man also davon ausgehen, dass Ukrainer im Jahr 2022 auch deutsche Infrastruktur zerstört haben.

Ein solcher Anschlag würde unter normalen Bedingungen die Beziehungen der beiden Länder zunichtemachen. Im Fall der Ukraine kann von normalen Bedingungen aber keine Rede sein: Deutschland unterstützt sie im Abwehrkrieg gegen Russland mit milliardenschwerer Hilfe. Die Deutschen haben eine beträchtliche Menge schwerer Waffen geliefert und mehr als eine Million Ukrainer aufgenommen. Berücksichtigt man all dies, kann die Aktion des höchstwahrscheinlich ukrainischen Kommandos als Anschlag auf einen Verbündeten gewertet werden.

Keine Regierung darf sich so etwas bieten lassen. Die jetzige und die vorige Regierung verhalten sich aber so, als ob es die sehr soliden Hinweise auf Ukrainer als Urheber nicht geben würde. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Deutschland ist einer der wichtigsten Verbündeten der Ukraine. Also darf nicht sein, was nicht ins Bild passt: Die Ukraine als sich heldenhaft wehrender Staat - und gleichzeitig als Saboteur? Ukrainer als Schurken? Bitte nicht.

Ein lautes Schweigen

Anfangs standen die USA im Verdacht, die Pipeline gesprengt zu haben. Manches wies auch auf russische Sabotage hin. Wäre eines von beidem richtig gewesen: Die öffentlichrechtlichen Medien hätten Sondersendungen gebracht, und deutsche Politiker hätten ein Statement nach dem anderen abgegeben.

Nicht so bei der sehr wahrscheinlichen Täterschaft der Ukrainer. Hier folgte den Enthüllungen ein Schweigen der wichtigsten Männer und Frauen im Staat. Schweigen kann sehr laut sein. In diesem Fall befeuert es die These, dass Politiker gerne mit zweierlei Mass messen.

Natürlich ist die Ukraine Opfer des gnadenlosen russischen Imperialismus und hat volle Unterstützung verdient. Ebenso steht fest, dass Nord Stream von Anfang an ein fragwürdiges Unterfangen war, weil es Deutschland erpressbar machte. Aus dieser russischen Abhängigkeit wollten die Ukrainer die Deutschen offenbar freisprengen.

Zum Zeitpunkt des Anschlags strömte allerdings kein Gas mehr durch die Röhren. Deutschland hatte Nord Stream 2 nicht freigegeben. Russland stellte später die Lieferung durch Nord Stream 1 ein. Ob und wie es mit dem Projekt langfristig weitergegangen wäre, darüber hätten deutsche Politiker entscheiden müssen - aber kein Sprengkommando.


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