14.10.2024 - 12:45 Uhr
Foto: Heyne Verlag
Im März ging Latife Arab mit Details aus ihrem Leben an die Öffentlichkeit: "Ein Leben zählt nichts - als Frau im arabischen Clan", so lautet der Name des Buches, das sie geschrieben hat (Heyne, 256 Seiten, 22 Euro). Darin schildert sie, was sie in 43 Jahren in einem kriminellen Clan erleben musste.
Das Medieninteresse ist groß und international. Doch ihre wahre Identität, der Name ihres Clans und ihr Wohnort bleiben geheim - im Clan allerdings weiß man sofort, wer da ausgepackt hat.
Latifes Mutter wurde im Libanon geboren. Während des Bürgerkriegs in den 70er-Jahren floh sie mit ihrer Familie in den Südosten der Türkei. Mit 14 Jahren wurde sie dort mit ihrem Cousin verheiratet, dem Vater von Latife. Latife ist das erste Kind.
Im Alter von fünf Jahren reist die Familie mit Latife und ihren damals drei Geschwistern nach Deutschland aus. Ab diesem Zeitpunkt erlebt sie täglich Gewalt. "Es brauchte eigentlich nur eine Kleinigkeit, um unglaublich verprügelt zu werden", erinnert sie sich. "Mitgefühl kannte mein Vater gar nicht. Und nicht nur mein Vater, sondern auch meine Mutter", sagte sie in einem Interview mit RTL.
In Deutschland angekommen, wird der deutsche Sozialstaat missbraucht. "Meine Familie hat schnell gelernt, wie das System funktioniert: je mehr Kinder, desto mehr Geld", sagt sie in einem Interview mit dem "Spiegel": "Wir waren irgendwann neun Geschwister, meine Eltern erhielten Tausende D-Mark Sozialhilfe vom Amt, dazu kam die Miete, die Heizkosten wurden bezahlt."
Mit 18 Jahren wurde sie zwangsverheiratet. Die Hochzeitsnacht ist der Horror. "Alle haben mich in dieser Nacht vergewaltigt", sagte die Clan-Aussteigerin bei RTL. "Sie haben mich alle missbraucht und geschändet. Es hat mich ja keiner gefragt, ob ich es will." Ihr Ehemann verprügelt und missbraucht Latife fast täglich, sie bekommt drei Kinder mit ihm. Mit 28 Jahren gelingt ihr endlich der Absprung. Doch sie wird weiterhin verfolgt und fast totgeprügelt. "2015 wurde ich überfallen und zum Sterben im Wald zurückgelassen", berichtet Latife Arab. Sie überlebt nur, weil sie sich tot stellt. Immer wieder muss sie in Frauenhäuser flüchten. Doch immer wieder stellt die Familie ihr dort nach.
Auf die Frage, welche Rolle Frauen in Clan-Familien haben, sagt sie dem "Spiegel": "Sie kochen. Sie gehen einkaufen, aber nur in Begleitung eines Bruders. Die Kontrolle über Frauen ist extrem. Vor Hochzeitsfeiern wird ihnen vorgegeben, wen sie begrüßen dürfen, neben wem sie sitzen oder mit wem sie sprechen dürfen. Für mich existierte lange Zeit nichts außerhalb der Familie, diese Gemeinschaft ist fast vergleichbar mit einer Sekte."
Aber irgendwann gelang es ihr, sich aus der Familienstruktur zu lösen. "Freiheit bedeutet für mich, dass ich entscheiden kann, wo ich einkaufen gehe, was ich zum Abendbrot für meine Kinder mache. Dass ich kein Kopftuch tragen muss und selbst bestimmen kann, mit welchen Menschen ich mich unterhalte."
Wie der Clan über sie denkt, schildert sie im Interview: "Für sie bin ich eine Verräterin. Ich bin ihrer nicht würdig. Meine Mutter würde das sagen, was sie mir früher schon an den Kopf geworfen hat, wenn ich etwas Falsches getan hatte: Du gehörst abgeschlachtet und auf dem Friedhof der Ungläubigen begraben."
Psychisch habe sie das meiste inzwischen verdrängt. Sie lebt ein schönes Leben, habe großartige Kinder und einen neuen Partner, der sie liebt. "Ich bin so weit, dass ich nachts manchmal durchschlafen kann", erzählt sie. "Aber das Körperliche ist eine andere Sache. Ich habe viele Narben. Und ich habe wegen der Schläge noch immer Schmerzen und Spätfolgen, ich muss deswegen regelmäßig zum Arzt."