Experte über umstrittene Aussage Deutschland im Krieg mit Russland? "Baerbock denkt wohl wirklich so"

FOCUS-online-Redakteur Christian Döbber

Montag, 30.01.2023, 10:16

War Annalena Baerbocks umstrittene Russland-Aussage einfach nur unbedacht - oder hat sie sie mit voller Absicht gemacht? Russland-Experte Gerhard Mangott hat dazu eine klare Meinung - und analysiert, ob Deutschland bei Kampfjets für die Ukraine jetzt eine rote Linie ziehen kann.

IMAGO/photothek Außenministerin Annalena Baerbock spricht im Europarat.

Diese Russland-Aussage hatte es in sich: Am Dienstag rief Außenministerin Annalena Baerbock beim Europarat in Straßburg mit folgenden Worten zum Zusammenhalt der westlichen Verbündeten auf: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander". Ein Satz, der so hohe Welle schlug, dass eine Scholz-Sprecherin schließlich intervenieren musste.

"Die Nato und Deutschland sind in diesem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht Kriegspartei. Wir unterstützen die Ukraine, aber wir sind nicht Kriegspartei", stellte Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Freitag in Berlin klar. Scholz geht also nach Baerbocks umstrittener Aussage auf Distanz zu seiner Außenministerin.

Baerbocks Kriegsaussage: Unbedacht oder mit voller Absicht?

Für die russische Propaganda ist das aber kein Grund, mit dem gnadenlosen Ausschlachten von Baerbocks Aussage aufzuhören. Allen voran für den berühmt-berüchtigten Propagandisten Wladimir Solowjow ist der Satz ein gefundenes Fressen. "Sie kämpfen einen Krieg gegen Russland", brüllte Solowjow in die Kameras seiner Talkshow, die täglich rund fünf Millionen Russen sehen. Seiner Meinung nach habe "die Außenministerin des Vierten Reichs" damit Russland den Krieg erklärt. Es folgten weitere Tiraden mit üblen Beschimpfungen unter der Gürtellinie. Baerbock wird unter anderem als "Miss Ribbentrop" tituliert.

Kriege müssen nicht erklärt werden. Deutschland und der Westen sind Partei im Kampf ums Recht gegen den Aggressor.

Für den Russlandexperten Gerhard Mangott, Professor für Internationale Beziehungen an der Uni Innsbruck, ist die Baerbock-Schmähung in russischen Medien wenig verwunderlich. "Für die russische Führung ist so eine Aussage der deutschen Außenministerin gegenüber der eigenen Bevölkerung völlig fruchtbar und propagandistisch vermarktbar", sagt Mangott gegenüber FOCUS online. Sie passe ideal in das Propaganda-Narrativ des Kreml. "Der argumentiert schon seit Monaten, dass Russland in der Ukraine gegen den gesamten Westen kämpfen müsse", so Mangott.

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Baerbock hat mit ihrer Kriegs-Aussage also die russische Propaganda-Maschinerie angeheizt. Doch hat sie den umstrittenen Satz auch bewusst so gesagt - oder war es womöglich nur eine unbedachte Aussage?

Russlandexperte Mangott glaubt an ersteres Szenario. "Frau Baerbock wähnt Deutschland im Krieg gegen Russland. Und sie hat sich von dieser Aussage bislang nicht distanziert. Wäre es ein Versprecher gewesen, hätte sie aber genau das getan. Sie denkt wohl wirklich so."

dpa Annalena Baerbock steht während einer Reise in die Ostukraine neben dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba (3.v.r) und dem Gouverneur von Charkiw, Oleh Synehubow, in Charkiw.

Wir sind tatsächlich in einem kriegsähnlichen Zustand - "völkerrechtlich ganz sicher nicht, politisch aber sehr wohl"

Im Prinzip, findet Mangott, sei das auch eine ehrliche Haltung. Denn der Westen befinde sich tatsächlich in einem kriegsähnlichen Zustand - "völkerrechtlich ganz sicher nicht, politisch aber sehr wohl", so Mangott.

Spätestens seitdem Bundeskanzler Scholz seine Entscheidung verkündet hat, doch Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern, sind die deutsch-russischen Beziehungen an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Zwar halten einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für das RTL/ntv-"Trendbarometer" zufolge 53 Prozent der Deutschen die Panzerlieferungen für richtig. Dennoch glauben nur 41 Prozent daran, dass die Ukraine damit den Krieg gewinnen und Russland aus den besetzten Gebieten verdrängen kann.

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Auch die Ukraine bittet um mehr als nur Leos; und prompt ist die nächste Debatte angelaufen - um die Lieferung von Kampfjets. Während Staaten wie Frankreich, Polen und die Niederlande diesem Schritt bislang offen gegenüberstehen, hat Bundeskanzler Scholz eine Jet-Lieferung ausgeschlossen. Auch sein neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius hat dem eine Absage erteilt. "Ich halte das für ausgeschlossen", sagte der SPD-Politiker der "Süddeutschen Zeitung". Seine Begründung: "Kampfflugzeuge sind viel komplexere Systeme als Kampfpanzer und haben eine ganz andere Reichweite und Feuerkraft. Da würden wir uns in Dimensionen vorwagen, vor denen ich aktuell sehr warnen würde."

Kann Deutschland nach Leo-Ja bei Kampfjets eine rote Linie ziehen?

Doch wie realistisch ist es, dass Deutschland nach dem Leo-Ja bei den Jets dauerhaft eine rote Linie ziehen kann?

Russland-Experte Gerhard Mangott geht davon aus, dass einige westliche Staaten tatsächlich Kampfflugzeuge an die Ukraine liefern werden. Dann, so Mangott weiter, könne Scholz "von seiner roten Linie sicherlich monatelang nicht abrücken, ohne sein Gesicht und seine Glaubwürdigkeit zu verlieren". Seiner Meinung nach würden Kampfjets sowie eine entsprechende Ausbildung ukrainischer Piloten "die Offensivkraft der Ukraine deutlich befördern".

Bislang jedoch scheinen deutsche Lieferungen von Kampfjets in weiter Ferne, wenn nicht gar ausgeschlossen. Nicht nur für die Bundesregierung scheint dieser Schritt ein No-Go zu sein. Auch die große Mehrheit von 63 Prozent der Deutschen lehnt eine Jet-Lieferung der Forsa-Umfrage zufolge aktuell ab.

Ziemlich sicher hingegen scheint einzutreten, was seit Wochen Experten und Militärs prophezeien: die gefürchtete Frühjahrs-Offensive der Russen. Auch Gerhard Mangott hat daran keinen Zweifel. Er glaubt, dass Putin vermutlich im Norden der Provinz Luhansk den Anfang machen wird, wo die Russen in den vergangenen Wochen sehr viele Truppen zusammengezogen haben. "Aber auch in der Provinz Donezk wird es einen Versuch geben, das noch nicht eroberte Gebiete einzunehmen", sagt Mangott voraus.

Mit Material von dpa


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