Der öde Antimodernismus der grünen Pferdeflüsterer

Von Ulf Poschardt Chefredakteur

Veröffentlicht am 14.07.2020

Robert Habecks Initiative zum Tempolimit zeigt mal wieder: Toleranz kennen die Grünen nur gegenüber dem eigenen Wählerentwurf. Die mündigen Bürger dürfen den Klimaschützern und ihren Unterstützungskommandos in den Medien nicht das Feld überlassen.

In Deutschland gab es noch nie so wenige Verkehrstote wie 2019. Die Straßen werden sicherer und die Fahrer vernünftiger. Nicht alle, aber die Unvernünftigen werden richtigerweise hart verurteilt, Raser zur Not auch wegen Mord. Auch richtig. Dennoch hat sich ein einsamer Pferdeflüsterer aus Kiel entschieden, eine Tempolimit-Debatte vom Zaun zu brechen und zu versprechen, dass ein Tempolimit das erste sein wird, wenn die Grünen an die Macht kommen.

Grünen-Chef Robert Habeck
Quelle: dpa/Guido Kirchner

Dieses Projekt lieben die Grünen sehr, weil es den antimodernen Entschleunigungskult gut in ihre populistische Wattierung stopfen kann: Zwischen Anti-TTIP-Aktivismus (gemeinsam mit der AfD), dem Homöopathie-Fetisch und jenem gerade bei der Grünen Jugend sehr beliebten Degrowth-Nationalismus.

Robert Habeck hat im Augenblick wirklich einen Lauf. Selbst den Grünen weitgehend treu ergebene Medien können nicht anders als zu spotten, wenn sich der Kanzlerkandidat in spe zu den Pferden legt, um sich von ihnen anschnuppern zu lassen, weil "das ist so dicht an Magie, wie man kommen kann", so Habeck auf Instagram. Die Vision für Deutschland ist also weniger Hektik, Drängelei, Tempo, mehr Magie auf der Wiese. Es ist das Programm für postmaterialistische Eliten, deren Eltern schon mit dem Porsche über die Autobahn gebrettert sind. Die Aufsteiger-Kinder können damit eher wenig anfangen.

Besonders unglücklich wirkt diese Tempolimit-Kamelle ja, wenn sie an dem Tag in die politische Diskussion ragt, an dem die Zahl der Verkehrstoten auf einen historischen Tiefstand kommt. Jeder der 3046 Toten ist einer zu viel, aber um das zu verhindern, könnte man die Null-Promille-Grenze einführen, härtere Strafen für Handy-Nutzung oder, viel wichtiger, den Abbiegeassistenten für Lkw sofort zur Pflicht machen. Auch was die CO²-Zahlen betrifft, ist die Raserei vernachlässigbar, vor allem, weil sie als Symbol von Freiheit und Vertrauen in die Mündigkeit der Bürger gewissermaßen der einzige Ort ist, an dem sich dieses protestantisch geordnete Volk eine Art Besonderheit erlaubt.

Das grüne Milieu möchte das nicht. Die Wähler der Grünen sind Bürger, denen das nicht passt. Schon heute werden auf der Autobahn die Zügigen in der Regel von den Langsamen genötigt. Der grüne Oberlehrer, dessen Phänomenologie ja via Instaram selbst konstruiert wird, freut sich, die Überholspur mit Mindestgeschwindigkeiten zu blockieren. Der verbittert triumphale Gesichtsausdruck in den Familienvans mit den Greenpeace-Aufklebern, wenn die Pilot*Innen das über ein paar Kilometer vorexerziert haben, verdeutlicht, welche tiefe Sehnsucht zur Umerziehung in diesem Milieu schlummert. Es ist in der Regel auch direktester Ausdruck eines Klassenbewusstseins, stehen die Grünen doch längst für die Bestverdiener der Gesellschaft.

Dass sie tolerant nur gegenüber dem eigenen Lebensentwurf sind, verdeutlicht der Umstand, dass keine Wählergruppe mehr fliegt als die grüne. Die Grünen haben kaum Schwingungen für Freiheitliches. Ihr Kern ist autoritär und staatsselig, nur sieht das mit verwuschelten Haaren oder naturnah inszeniert weniger bedrohlich aus.

Kommen wir zur anderen Seite. Den Vernünftigen und Mündigen. Den Bürgerlichen, die staunend und ängstlich auf den kulturellen Rollback durch die Grünen starren. Die dank der grünen Übermacht in den Medien das Gefühl haben, dass es sich sowieso nicht lohnt, gegen den ökologischen Antimodernismus aufzustehen. Es kommt jetzt auch darauf an, dass sich vom Oldtimerklub über die Sportwagenfreunde bis hin zu den kultivierten Vertretern der zügigen Fortbewegung ein paar Vordenker überlegen, wie sie ihren Unmut über diese Entwicklung auch mal zivilgesellschaftlich orchestrieren können.

Die Demonstrationen der Motorradfahrer vor zwei Wochen waren ein kleiner Vorgeschmack. Aber wer sich in Paris ansieht, wie auch antike Maserati, Enten und Alfas aus den Innenstädten verbannt werden, wer registriert, wie in Holland das Tempolimit sinkt, muss nachdenken, ob er das will oder nicht. Und wie das eigene Angebot aussieht, zur Verkehrswende und zur neuen Mobilität.

Bislang haben die Bürgerlichen das Spielfeld komplett den Grünen, den Klimaschützern und ihren Unterstützungskommandos in den Medien überlassen. Jetzt geht es darum, selbst aktiv zu werden. Weniger opportunistisch als der ADAC, kreativer als die maulenden Rechten und überraschender als die naiven Fahrraddemos. Wenn da am Ende wieder nur ein paar frustrierte "alte Säcke" ihre alten Privilegien verteidigen - ohne Charme, Poesie und Vision -‚ wird das nichts.

Es braucht eine Luisa Neubauer auf einer Ducati Superleggera V4. Ohne sie wird es nicht gehen. In den USA zum Beispiel sind die Verteidiger der motorisierten Freiheiten gerne auch Vertreter afroamerikanischer Subkulturen oder der Chicano-Communities in Kalifornien. Das verdruckste Beleidigtsein der Bürgerlichen über den Erfolg der Grünen aber hilft in keinerlei politischem Prozess.

Deutschland steht inmitten einer brachialen Rezession in einem durchgeschüttelten Europa, das noch nicht weiß, ob die Corona-Krise vorüber ist oder ob sie im Herbst noch einmal ausbricht. Die Konjunktur verliert jeden Schwung, die Hoffnung auf eine zügige Rückkehr zu alten Wohlstandsträumen zerbricht. Außenpolitisch markieren die Erosionen der Liberalität in Polen und Ungarn die eine Gefahr, das Eindringen der Chinesen in die EU eine andere. Die USA erleben ein Desaster in der Pandemie. In diesem Augenblick das Tempolimit zum Prüfstein politischen Handelns und Erfolgs zu machen, verdeutlicht eben auch, wie eng der Blick der Grünen auf die Wirklichkeit ist. Und wie wenig Gespür sie gerade haben, verstehen zu wollen, was die Leute wirklich umtreibt.


Quelle: ulf.poschardt@welt.de