09.06.2024 - 17:48 Uhr
Foto: PR
Marcello Danieli ist Geschäftsführer von Harder Logistics. Sein Logistikunternehmen hat sich auf die Verlagerung von Produktionslinien bis hin zu ganzen Werken aus Deutschland spezialisiert.
Der Trend habe vor zwölf Jahren mit Verlagerungen nach Polen, Bulgarien, also in den EU-Osten begonnen. Neu dazugekommen seien Länder wie China, Mexiko und Indien.
Danieli erkundigt sich bei jedem Kunden nach den Gründen für das Auswandern: "Als Erstes wird meistens die Bürokratie genannt, als Zweites kommt dann gleich die hohe Steuerlast. Außerdem werden die hohen Energiekosten angeführt, inzwischen aber auch die Energiesicherheit."
Ein Beispiel von Danieli für den Bürokratiewahnsinn: "Eine Firma arbeitete hochprofitabel. Doch es gelang über vier Jahre nicht, eine Baugenehmigung für das eigene Grundstück zu bekommen. Letztlich hat man sich entschieden, alles zum Schwesterwerk nach Italien zu verlagern, trotz der dort deutlich schlechteren Infrastruktur."
Foto: PR
"Wenn bei Unternehmen die Entscheidung fürs Auswandern getroffen wird, geht das meistens rasant. Getreu dem Motto: Nur noch weg hier! Das ist erschreckend." Danielis Unternehmen kümmert sich dann um den Umzug einzelner Werksmaschinen bis hin zu ganzen Werken.
Über 1000 Unternehmen oder Unternehmensteile habe seine Firma in den vergangenen 20 Jahren ins Ausland verlagert - insgesamt seien das schätzungsweise 500.000 Mitarbeitende.
Hat Danieli ein schlechtes Gewissen, wenn er sozusagen beim Abbau von "Made in Germany" hilft? "Ja. Es beschämt und enttäuscht mich, wenn ich erleben muss, wie man die Unternehmer hängen und ziehen lässt, die aufgrund der mangelhaften Rahmenbedingungen das Land verlassen. Ich muss die menschlichen Tragödien, die dahinterstehen, mitansehen."
Was also Bundeskanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck tun, damit die Unternehmen in Deutschland bleiben? Stemmt sich die Regierung genug gegen den Industrie-Abbau in Deutschland?
Danieli: "Aus meiner Sicht wird der Auszug der Industrie aus Deutschland von der politischen Führung ignoriert. Unsere Regierungsspitze und der Wirtschaftsminister müssten auf der ganzen Linie aktiv werden, um diesen Prozess zu stoppen."
Bereits im Januar hat sich Danieli zusammen mit vier Wirtschafts-Spitzenverbänden (u. a. DIHK, BDI) an die Bundesregierung gewandt. "Der Frust und die Verunsicherung bei vielen Betrieben wachsen", heißt es darin. "Bis heute gibt es keine Antwort", sagt er. Das sei "symbolisch für die Ignoranz".
Welche konkreten Maßnahmen müssten ergriffen werden? "Die Energiekosten müssen sinken, ein Bürokratieabbau erfolgen, es braucht schnellere Genehmigungsprozesse und die Steuerlasten für Unternehmen müssen in bestimmten Segmenten auf ein vernünftiges Maß reduziert werden."
Foto: PR
Die Lage sei ernst. "Da muss sofort etwas passieren. Ich appelliere da an jeden Bürgermeister, Landrat, jeden Bundespolitiker. Bei jeder Auslagerung müsste man erst mal sagen: Stopp! Wie können wir das entsprechende Unternehmen unterstützen oder fördern? Natürlich mit einer Verpflichtung, dass diese Firmen 10 bis 15 Jahre in Deutschland bleiben", sagt Danieli.
Früher bestand das Kerngeschäft des Unternehmens aus innerdeutschen Umzügen. Lediglich ein bis zwei innerdeutsche Umzüge pro Monat machen die Logistiker jetzt bei über 1700 Projekten jährlich.
Umzüge zurück nach Deutschland würde Danieli begrüßen: "Da wäre ich ganz vorn mit dabei. Das wäre das Beste überhaupt, wenn wir Unternehmen kennen würden, die tatsächlich in Deutschland reininvestieren und zurückkommen wollten. Aber das ist utopisch."
In seinen über 35 Jahren im Logistikgewerbe kam das allerdings erst zweimal vor. Der Unternehmer: "Zwei Produktionslinien haben wir mal zurück nach Deutschland gebracht, aber nie ein ganzes Werk."