Donnerstag, 19.08.2021, 09:21
Es ist ein Satz, den Heiko Maas (SPD) heute bereuen dürfte. "Dass in wenigen Wochen die Taliban das Zepter in Afghanistan in der Hand haben werden, das ist nicht die Grundlage meiner Annahmen", sagte der deutsche Außenminister am 9. Juni im Bundestag. Nur knapp zwei Monate später ist genau das eingetreten, was Maas damals noch so klar verneinte. Die Taliban haben Afghanistan überrannt, den Präsidentenpalast gestürmt und das Land eingenommen.
Maas, der sich in den vergangenen Jahren bemerkenswert geräuschlos durch sein Amt als Außenminister bewegte, steht nun am Pranger. Obwohl auch andere Politiker seine Meinung zu Afghanistan teilten, ist die Juni-Fehleinschätzung des 54-Jährigen zum Sinnbild einer verfehlten deutschen Afghanistan-Mission geworden.
Und noch mehr: Sie zieht unbequeme politische Fragen nach sich, auch für Maas selbst. Wie er an das Amt des Bundesaußenministers kam, wie gut er auf diese Rolle vorbereitet war - das fragen sich aktuell viele.
Tatsächlich war der 54-Jährige ursprünglich nicht für den Posten des Bundesaußenministers vorgesehen. 2018, nach einem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis für die SPD, verhandelte die Partei mit der Union über einen neuen Koalitionsvertrag. Weil sich der damalige SPD-Vorsitzende Martin Schulz das Amt des Außenministers sichern wollte, kam es zu innerparteilichen Unstimmigkeiten. Denn Schulz hatte zuvor eigentlich versichert, nicht in eine neuerliche Große Koalition eintreten zu wollen.
Besonders im größten Landesverband Nordrhein-Westfalen gab es Berichten zufolge starke Bestrebungen, ihn zum Verzicht auf das Amt zu bewegen. "Wenn Schulz nicht freiwillig zurückzieht oder sich überzeugen lässt, werden wir die Mitgliederbefragung mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren", sagte ein Angehöriger der inneren Parteiführung im Gespräch mit der "Bild"-Zeitung.
Dazu kam eine unerfreuliche Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD). Der hatte Schulz "Wortbruch" vorgeworfen: "Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt", sagte Gabriel den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Um welches Versprechen es genau ging, erklärte der heute 61-Jährige zwar nicht.
Er hatte im Januar 2017 jedoch zugunsten von Schulz auf die SPD-Kanzlerkandidatur und den Parteivorsitz verzichtet. Anscheinend, weil Gabriel Bundesaußenminister bleiben wollte. Gerüchten zufolge hatte Schulz ihm den Posten versprochen, sollte es erneut zu einer Großen Koalition kommen.
Die innerparteilichen Querelen gipfelten schließlich darin, dass weder Schulz noch Gabriel ins Auswärtige Amt einzog. Schulz betonte, durch die Diskussion um seine Person sehe er ein erfolgreiches Votum der SPD-Mitglieder für eine neue große Koalition als gefährdet an. "Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind."
Gabriel seinerseits bekam eine Absage vom damaligen SPD-Führungsduo. "Andrea Nahles und Olaf Scholz haben mich heute darüber unterrichtet, dass ich der nächsten Bundesregierung nicht mehr angehören werde", schrieb er in einer entsprechenden Erklärung auf Facebook. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sinnierte, der 61-Jährige habe sich mit seiner impulsiven Reaktion auf Schulz' Pläne sein eigenes Grab als zukünftiger Bundesaußenminister geschaufelt.
Da die Ressortverteilung schon abgeschlossen war, wanderte der außenministeriale Staffelstab plötzlich zu Heiko Maas: Einem Politiker, der vorher nie wirklich hatte durchblicken lassen, dass er sich für Außenpolitik interessiert. Wieso also ausgerechnet er? Hatte die SPD einfach keinen anderen?
Als Begründung führte Parteichefin Nahles damals an, Maas habe im Kampf gegen Rechtsextremismus gezeigt, wie standfest er sei. Außerdem habe er als Bundesjustizminister "diplomatisches Geschick" bewiesen und sei jemand, der durchhalte, auch auf längeren Strecken.
Drei Jahre nach seinem Amtsantritt ist nicht jeder von Maas' Fähigkeiten so angetan wie Nahles. Der Sender "n-tv" etwa veröffentlichte einen Kommentar, demzufolge Maas der "schlechteste Außenminister seit 1945" sei. Sein Vorgehen in der Afghanistan-Krise sei nur der Höhepunkt einer "ohnedies schlechten Bilanz". Als Beispiel wird das außenpolitische Verhältnis zu China und Russland aufgeführt, das so schlecht sei wie seit Jahren nicht mehr. Auch die Beziehungen mit der Türkei befänden sich auf einem diplomatischen Tiefpunkt.
Andere Medien sehen in Maas einen farblosen Politiker, der sich auch in politischen Konfliktlagen eher passiv verhält. Der "Spiegel" beispielsweise bezeichnet ihn als "kein politisches Schwergewicht", die "FAZ" schreibt: "Heiko Maas ist als Außenminister nicht prägend".
Dabei kann der 54-Jährige auch diplomatische Erfolge vorweisen, etwa die Vorbereitung und Begleitung der Friedensverhandlungen für Libyen, Initiativen zur Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitik oder neue Werkzeuge zur Stabilisierung der Sahel-Zone. Nach der Eskalation zwischen der Hamas und Israel stellte sich das neu ins Leben gerufene Kleeblatt-Format von Deutschland, Frankreich, Ägypten und Jordanien zudem als nützlich heraus.
Am Ende rücken diese Errungenschaften jedoch in den Hintergrund. Der Unmut über Maas' Vorgehen in Afghanistan ist groß. Es geht nicht nur um die Frage, ob sein Amt unvorbereitet war, sondern auch um eine vermeintlich zu späte Evakuierung deutscher Staatsbürger.
Der Fraktionsgeschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, nannte Maas' Agieren "skandalös", AfD-Fraktionschef Alexander Gauland kritisierte in der "Welt", die Bundesregierung habe den richtigen Zeitpunkt für die Evakuierung "verschlafen". Und auch FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff unterstellte dem Bundesaußenminister ein Versagen "auf ganzer Linie".
Maas räumte nach der Machtübernahme der Taliban ein: "Es gibt auch nichts zu beschönigen: Wir alle - die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft - wir haben die Lage falsch eingeschätzt." Sein Statement sagt vor allem eines: Es ist nicht allein mein Fehler.
Quelle: focus.de vom 19.08.2021