"Das ist eine Einladung zum Asylbetrug"

Stand: 17.10.2021 | Lesedauer: 3 Minuten

Von Marcel Leubecher Politikredakteur

Deutschland bleibt das Hauptzielland für Schutzsuchende in Europa. Tausende fliegen aus Syrien und anderen Staaten nach Belarus und reisen weiter in die Bundesrepublik. Die Union sieht die Pläne der Ampel-Koalition in der Asylpolitik kritisch. Migranten steigen aus einem Flugzeug am Flughafen Hannover
Quelle: picture alliance/dpa

Die Zahl der Asylerstanträge in Deutschland überschreitet 2021 im neunten Jahr in Folge die 100.000er-Marke. Bis Ende September stellten bereits 100.278 Migranten einen Erstantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Damit bleibt Deutschland in Europa der mit großem Abstand wichtigste Zielstaat für Schutzsuchende.

Dahinter rangieren Frankreich mit 54.105 Asylanträgen in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres, Spanien (41.799), Italien (37.492) und Österreich (22.928). Diese Zahlen der Europäischen Asylagentur EASO liegen WELT AM SONNTAG exklusiv vor.

Im September wurden 13.849 Anträge in Deutschland gestellt. Seit dem November 2017 gab es nur einen Monat mit einer stärkeren Asylzuwanderung, den Januar 2019. Zu der seit Langem anhaltenden illegalen Weiterwanderung über Italien, Griechenland und Spanien kommt seit dem Sommer die neue Route über Belarus hinzu. Wie die Bundespolizei auf Anfrage mitteilte, sind "seit August allein an der deutsch-polnischen Grenze 4900 Personen festgestellt worden, die über Belarus und Polen unerlaubt nach Deutschland eingereist waren. Die Tendenz ist weiterhin steigend."

Bisher flogen die meisten Migranten über die Türkei nach Belarus, inzwischen werden auch Flüge nach Minsk direkt aus Syrien festgestellt, wie WELT AM SONNTAG aus Europol-Kreisen erfuhr. Hier heißt es: "Neue Visa-Erleichterungen seitens Belarus werden ab Mitte Oktober sehr wahrscheinlich illegale Einreiseversuche in die EU erhöhen."

"Ich finde das Wort ‚Migrantenquote' schon schrecklich" "Listen zu erstellen, wie viele Ausländer in einer Partei sind, ist rückschrittlich", sagt Chef-Reporterin Anna Schneider. Zudem sei es "pervers", wenn man schon fast nach Abstammungsnachweisen suche. "Eine Quote hat gar nichts mit Freiheit zu tun", so Schneider.
Quelle: WELT / Anna Schneider

Belarus vergibt demnach inzwischen Touristenvisa für 90 Tage auch an Menschen aus Pakistan, Ägypten und Jordanien. Bisher kamen dort besonders viele Menschen aus dem Irak an, die dann schließlich auch die größte Gruppe der in Deutschland Angekommenen bildeten.

Unerlaubte Einreisen von Asylsuchenden dürfen nicht von den Grenzpolizisten verhindert werden, weil die dafür notwendigen stationären Grenzkontrollen von der Bundesregierung als eine Gefahr für das "Europa der offenen Binnengrenzen" betrachtet werden. Die Bundespolizei erklärte dazu: "Bei der deutsch-polnischen Grenze handelt es sich um eine Schengen-Binnengrenze, die grundsätzlich zu jeder Zeit und an jeder beliebigen Stelle überschritten werden kann." Bei den unerlaubt Eingereisten erfolge eine Prüfung, ob "aufenthaltsbeendende Maßnahmen" eingeleitet werden könnten. "Bei gestelltem Schutzersuchen besteht aktuell keine Möglichkeit dazu."

Die möglicherweise künftig regierende Ampel-Koalition wird voraussichtlich sogenannte "Spurwechsel" von abgelehnten Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt erleichtern und damit Möglichkeiten zum legalen Daueraufenthalt schaffen. Die Union sieht das kritisch. Für CDU-Innenpolitiker Thorsten Frei kommt "der von allen Ampel-Parteien geforderte Spurwechsel der Aufgabe der Migrationssteuerung gleich. Maßgeblich für ein Aufenthaltsrecht wäre dann nicht länger die Frage, ob jemand unseres Schutzes bedarf, sondern allein die Frage, ob jemand, nachdem er behauptet hat, unseres Schutzes bedürftig zu sein, eine Beschäftigung finden kann. Das ist letztlich eine Einladung zum Asylbetrug", sagt der für Migration zuständige Fraktionsvize WELT AM SONNTAG. Belarus nutzt Flüchtlinge, um die EU zu erpressen Immer mehr Migranten reisen illegal von Belarus über Polen nach Brandenburg ein. Die EU wirft nun dem belarussischen Machthaber Lukaschenko vor, Flüchtlinge gezielt in die Europäische Union einzuschleusen. Das Ziel sei, politischen Druck auszuüben.
Quelle: WELT


Quelle: welt.de vom 17.10.2021