Von Marcel Leubecher
Politikredakteur
Veröffentlicht am 11.11.2020 | Lesedauer: 7 Minuten
Welt: Herr Abdel-Samad, warum sind Sie am Dienstag aus der Islamkonferenz ausgestiegen?
Hamed Abdel-Samad: Weil ich nach zehn Jahren Mitgliedschaft aufgegeben habe. Ich will nicht länger als Feigenblatt dafür dienen, dass auch kritische Stimmen gehört werden. Sie werden nämlich nicht wirklich gehört. Am Ende entscheiden Ditib und die anderen großen Verbände, was sie vorher hinter verschlossenen Türen abgemacht haben.
Am Dienstag wurde beschlossen, dass Imame in Deutschland ausgebildet werden, die aber nicht an deutschen Universitäten studieren sollen, sondern in von den großen Verbänden beeinflussten Ausbildungszentren. Die Imamausbildung ist seit Anfang der Islamkonferenzen im Programm. Die Steuerzahler haben Millionen investiert in Lehrstühle für islamische Theologie an vielen Universitäten, damit Studenten dort islamische Theologie studieren und Imame werden. Doch die Verbände wollen sie nicht einstellen.
Als der Ditib-Vertreter 2018 bei der Islamkonferenz verkündet hat, dass er diese Studenten nicht als Imame einstellen möchte, weil sie die Ditib-Standards nicht erfüllen, habe ich erwartet, dass die Staatssekretäre aufstehen und das Gespräch abbrechen.
Welt: Wie hätten sie reagieren sollen?
Abdel-Samad: Sie hätten sagen sollen: Wer den deutschen akademischen Standards nicht vertraut, genießt auch nicht länger unser Vertrauen. Stattdessen lässt die Bundesregierung nun die Verbände ihre Imamausbildung selber machen, das wurde am Dienstag beschlossen. Ohne mich.
Ich habe den Eindruck, der Innenminister hat keine Übersicht, er weiß gar nicht, welche Kreise er fördert, und er ist falsch beraten. Im Ergebnis erhalten türkische Nationalisten und die Muslimbruderschaft nun noch mehr Einfluss.
Welt: Warum ist das Projekt Islamkonferenz aus Ihrer Sicht aus dem Ruder gelaufen?
Abdel-Samad: Die Islamkonferenz hat einen Geburtsfehler. Sie ist eine Spätfolge des 11. September. Davor hat niemand gewusst, wer Ditib ist. Dann war die Idee: Wir holen die Islamverbände, werten sie politisch auf, damit sie uns helfen bei der Integration.
Die Idee ist okay, aber man wusste nicht, mit wem man es zu tun hat. Die meisten dieser Verbände sind verlängerte Arme ausländischer Regierungen wie der Türkei oder von Bewegungen wie den Muslimbrüdern oder den Salafisten in den Golfstaaten.
Leider finanziert der Staat die Einflussnahme dieser Gruppierungen auf die hier lebenden Muslime auch noch. Ich habe da jetzt ehrenamtlich zehn Jahre als Zaungast mitgespielt,
Welt: Was sollten die staatlichen Islamkonferenzen eigentlich erreichen?
Abdel-Samad: Deradikalisierung und Unabhängigkeit der hier lebenden Muslime von schlechten ausländischen Einflüssen.
Welt: Wird dieses Ziel der Deradikalisierung und der Loslösung von den ausländischen Regierungen und Bewegungen mit den regelmäßig stattfindenden Sitzungen gar nicht erreicht?
Abdel-Samad: Es sind vor allem Lippenbekenntnisse. Natürlich bieten die Verbände Deradikalisierungsprogramme an und bekommen dafür Geld vom Staat. Dort werden allerdings dieselben radikalen islamischen Muster vermittelt, die man eigentlich verhindern will. Beispielsweise wird den Teilnehmern gesagt: Ihr schmort in der Hölle, wenn ihr Menschen tötet. Ich kann mit muslimischem Radikalismus nicht deradikalisieren.
Entradikalisierung funktioniert, wenn ich die Menschen als Individuen wahrnehme, ihnen die Angst vor der Hölle wegnehme, denn sie ist ein starker Motor für die Radikalisierung. Die Verbände haben kein Interesse daran, dass Muslime sich den Deutschen annähern. Denn ihre Existenzberechtigung ist die Kluft, die zwischen den Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft steht. Dort wird etwa verkündet, man solle in "eigene" Geschäfte und Lokale gehen, in denen es "halal" zugeht.
Welt: Wie sollte aus Ihrer Sicht die Islamkonferenz umgestaltet werden?
Abdel-Samad: Die ursprüngliche Idee war ja gut: ein Forum zu schaffen, alle Ideen und Interessen auf den Tisch zu bringen und Projekte zu entwickeln. Die Islamverbände wollten aber nur Themen behandeln, die ihnen Einfluss und Geld bringen. Sie wollen Förderung für Imamausbildung, Islamunterricht und Seelsorge sowie einen eigenen islamischen Wohlfahrtsverband ähnlich der Diakonie und insgesamt die gleichen Privilegien wie die Kirchen.
Sie leisten nicht dieselben positiven Beiträge für den Zusammenhalt der Gesellschaft wie die Kirchen, wollen aber wie diese behandelt und gefördert werden. Leider fördert das geltende Recht die Gleichbehandlung von Ungleichem.
Welt: Und was sollte man nun besser machen?
Abdel-Samad: Stattdessen sollte die Islamkonferenz mehr über Verbesserungen der Gleichberechtigung von Frauen oder den Abbau der Aggression unter Muslimen sprechen. Wenn es Vorstöße in diese Richtung gab, entgegneten die Verbände stets, dass sie dies nicht offensiv thematisieren wollen, weil man damit zugeben würde, dass der Islam damit ein Problem habe. Stattdessen sei der Islam doch die Religion des Friedens und räume der Frau viele Rechte ein.
Welt: Welche aktuellen Teilnehmer halten Sie für ungeeignet, und welche zusätzlichen Akteure sollten mit ins Boot geholt werden?
Abdel-Samad: Es gibt in der Islamkonferenz viele kluge Menschen, sie brauchen mehr Mitspracherecht. Und Verbände wie Ditib, die dort offen sagen, dass sie den deutschen Universitäten misstrauen, müssen vermittelt bekommen, dass dies finanzielle Konsequenzen hat. Man will aber nichts ändern und die Islamkonferenz unbedingt als Erfolgsgeschichte verkaufen.
Dabei ist sie eigentlich ein Trümmerhaufen, der sich auf drei Themen reduziert: Imamausbildung, muslimische Seelsorge und Islamunterricht. Jetzt hofft man, dass die Imame, nur weil sie in Deutschland ausgebildet werden, auch eine bessere Lehre erhalten und Kant und Spinoza lesen. Dabei kommt die Theologie weiterhin aus der Türkei und von der Al-Azhar (wichtigste islamische Lehrinstitution; d. Red.) in Kairo.
Welt: Sie werden wegen Ihrer Kritik an zentralen Elementen der muslimischen Lehre häufig bedroht. Wie gefährlich leben Sie?
Abdel-Samad: Nach meinen ersten Büchern regte sich Unmut in der muslimischen Welt. In Ägypten wurde zu meiner Ermordung aufgerufen; das hat sich durch mein Buch "Mohammed - eine Abrechnung" weiter verschärft. Danach haben deutsche Dschihadisten aus Syrien an ihre Verbündeten in Deutschland einen Mordauftrag gesendet. Die Nachricht wurde von den Sicherheitsbehörden abgefangen, und seither stehe ich 24 Stunden am Tag unter Polizeischutz.
Sie sitzen mit mir im Flugzeug, ich habe eine schusssichere Weste bei Lesungen. Übrigens gab es von den Islamverbänden keine einzige Stellungnahme zu den Morddrohungen. Jedenfalls muss ich mich verstecken, oft meine Wohnung wechseln, meine Bewegungsfreiheit einschränken, während Salafisten und sogar Gefährder frei rumlaufen können.
Welt: Können Sie sich wirklich nicht in islamistisch geprägten Straßen in Berlin oder Nordrhein-Westfalen frei bewegen?
Abdel-Samad: Spontan kann ich mich dort nicht frei bewegen. Ich war beispielsweise drei Mal auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln bei Dreharbeiten. Und bei allen drei Besuchen wurde ich angegriffen, obwohl die Polizei dabei war. Da können Sie sich vorstellen, was passieren würde, wenn ich dort allein hinginge.
Welt: Wären Sie noch am Leben, wenn Sie nicht intensiv durch die Sicherheitsbehörden vor Attentätern geschützt würden?
Abdel-Samad: Nein. Deswegen ist mein Schutz ja verstärkt worden und seither nicht mehr heruntergestuft worden. Die Polizei sieht ja die Angriffsversuche auf mich und handelt entsprechend.
Welt: Grenzt das, was Sie ertragen müssen, schon an nicht staatliche Verfolgung?
Abdel-Samad: Ich empfinde das so. Ich kann kaum ein normales Leben führen. In Ägypten konnte ich nicht meine Meinung öffentlich sagen und musste fürchten, im Gefängnis zu landen oder zu sterben. Dann kam ich nach Deutschland und dachte, hier ist nach Aufklärern wie Voltaire, Kant und Feuerbach alles gefahrlos sagbar.
Inzwischen hat sich das auch hier gewandelt. Ich glaube, die deutsche Gesellschaft kann wegen der Multikulturalismusideologie keine stabile deutsche Kollektividentität herausbilden, deswegen bilden sich viele kleine Leitkulturen. Eine linksextreme, eine rechtskonservative, eine türkisch-nationalistische, eine islamistische. So etwas wie eine gesamtdeutsche Leitkultur darf nicht sein. Das beschreibe ich näher in meinem Buch "Aus Liebe zu Deutschland - ein Warnruf".
Die deutsche Politik konzentriert sich seit Langem vor allem auf die Wirtschaft und vernachlässigt Identität und Werte. Man denkt viel über kurzfristigen wirtschaftlichen Nutzen nach und wenig über sozialen Zusammenhalt durch eine gemeinsame Identität. Der Islamismus und andere kleine Leitkulturen stoßen in diese Lücke.
Quelle: welt.de vom 11.11.2020