FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz
Dienstag, 21.11.2023, 17:57
Finanzminister Christian Lindner (FDP), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Das riesengroße Geldloch, welches die beiden Ampelparteien SPD und Grüne nun beklagen, haben sie selbst verursacht - und zwar wider besseres Wissen. Das ist eine der Erkenntnisse, den eine Reihe von Experten der Bundesregierung in einer Anhörung bescherten. Eine weitere: Sparen wäre möglich - darüber will in der Bundesregierung konkret aber bisher niemand reden.
Professor Dirk Meyer von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg unterbreitete den Bundestags-Haushältern dabei gleich eine ganze Reihe von konkreten Vorschlägen. Etwa:
Oder: Das Bürgergeld, insgesamt zahlt der Bund 26 Milliarden pro Jahr, geht automatisch an eine Million geflüchtete Ukrainer. Der Satz wird erhöht, das kostet 1,4 Milliarden mehr. Es ist umstritten, weil der Abstand zwischen Sozialgeld und verdientem Geld dadurch immer kleiner wird, so dass Arbeit für Geringverdiener sich immer weniger lohnt. Gleichzeitig entsteht ein "Pull-Faktor" für Flüchtlinge, nach Deutschland zu kommen, weil die meisten anderen europäischen Staaten Migranten viel weniger Geld zahlen.
Und darum fragt der Professor aus Hamburg, was naheliegend ist: "Warum bekommen ukrainische Männer im wehrfähigen Alter überhaupt Unterstützung in Deutschland?"
Oder: Weshalb wird in diesen schwierigen Zeiten mit Multi-Krisen von Krieg bis Inflation nicht die Einführung einer weiteren sozialen Wohltat verschoben - die Einführung der Kindergrundsicherung, die 3,5 Milliarden kostet? Und sei es wirklich noch zeitgemäß, den Handwerkern einen Bonus von einer knappen Milliarde Euro zu zahlen?
Und wieviel von den 48 Milliarden Euro, die für Migranten ausgegeben werden, ließen sich durch eine Änderung am Asylrecht einsparen? Schließlich: Satte 20 Milliarden Euro, die Deutschland an Subventionen zahlt, an Landwirte zum Beispiel, stuft Ordnungsökonom Meyer als "verzichtbar" ein.
Die AfD fügte Meyers Vorschlägen noch für entbehrlich gehaltene Ausgaben aus dem Etat der Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze hinzu: Weshalb müsse es sein, dass die Bundesregierung "315 Millionen Euro für Busse und Radwege in Peru" ausgebe, fragte ihr Forschungspolitiker Michael Espendiller.
An diesem Donnerstag diskutiert der Haushaltsausschuss des Bundestages über den nächsten Etat. Ist der überhaupt noch haltbar nach dem 60-Milliarden Wumms aus Karlsruhe? Bis zur Sitzung will das Finanzministerium dem Ausschuss seine Antwort auf das Verfassungsgerichtshofurteil geben. Daraus dürfte sich dann auch eine Antwort auf die aktuellste Frage aller Fragen ergeben:
Hält Bundesfinanzminister Christian Lindner es noch für sinnvoll, diese Regierungskoalition fortzusetzen? Oder macht er es wie 1982 schon einmal ein Spitzenliberaler, Otto Graf Lambsdorff, als er dem Bundeskanzler Helmut Schmidt - ebenfalls in einer Finanzierungskrise - einen "Scheidungsbrief" schrieb?
Die Lage ist völlig verfahren, fieberhaft sucht die Regierung in Krisensitzungen nach Wegen aus der Krise, die sie durch Haushaltstricks selbst verursacht hat. Erschwert wird die Situation noch dadurch, dass das Vertrauen in die Regierung im Volk immer stärker leidet: Kann man einer Regierung, die die Bevölkerung über die tatsächliche Verschuldung schon einmal täuschte, noch abnehmen, dass sie die richtige ist, um den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen?
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Und die Experten? Scheinbar unaufgeregt rieben sie der Bundesregierung einige Wahrheiten hin, wie es derzeit um Deutschland bestellt ist.
Michael Hüther, der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln, sagte, er sei "in großer Sorge, dass wir in einer sehr langen Stagnationsphase hängen bleiben". Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf stimmte ein: Deutschlands Unternehmen seien "völlig verunsichert". Sie wüssten schließlich nicht, ob und in welchem Ausmaß ihnen der deutsche Staat bei der ökologischen und digitalen Transformation helfe.
Ob die Bundesregierung in ihrer eigenen Not eine neue staatliche Notlage ausrufen kann, was jetzt in der Ampel diskutiert wird? Die Professoren blieben skeptisch. Jedenfalls sei die Lage in Gaza sicherlich kein Grund, eine Notlage auszurufen, sagte Dirk Meier in Anspielung auf eine Idee des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Und Steuer-Erhöhungen, wie sie nun von SPD und Grünen - erwartungsgemäß - ins Spiel gebracht werden?
Eigentlich, das legten die Stellungnahmen der Experten nahe, wären Steuererhöhungen nicht nur Gift, eigentlich bräuchte es: Steuersenkungen.
Eine Täter-Opfer-Umkehr durch den Spitzengrünen, darin waren sich die Professoren in der Anhörung weitgehend einig. Nicht die Opposition, sondern die Bundesregierung sei für diese Misere verantwortlich - durch Haushaltstricks, vor denen die Experten lange warnten.
Nimmt man dies ernst, hätte die Bundesregierung jahrelang gegen die Verfassung verstoßen. Wissend um dieses Risiko. Mit gravierenden Folgen für Wirtschaft und Wohlstand. Oder, in den gesetzten Worten des Professors Büttner: "Riskante Finanzpolitik ist standortgefährdend".
Lässt sich der Megaflop irgendwie reparieren? Eine Möglichkeit wäre, wenn Olaf Scholz sich mit Friedrich Merz auf einen zweiten im Grundgesetz festgeschriebenen Sonderfonds einigen würde. Oder könnte. Dann müsste der Klimafonds per Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit im Grundgesetz verankert werden.
Was die Frage aufwirft: Weshalb sollte Merz seinen Widersacher Scholz retten, wenn er ihn doch beerben will?