Zur Panikmache besteht in Deutschland kein Grund, stellte Hans-Jürgen Papier im Interview mit der Bild-Zeitung klar. Doch es sei etwas ins Rutschen gekommen, der Staat würde auf gewissen Gebieten Recht nicht mehr anwenden, ignorieren oder nicht durchsetzen. Beispiele dafür seien der Diesel-Skandal, illegale Zuwanderung und Clankriminalität in Großstädten.
Die Entwicklung beobachte er mit Sorge, weil die Grundidee des demokratischen Rechtsstaates dadurch angegriffen werde. Und davor muss man warnen und das tue ich ausdrücklich, sagte er der Bild-Zeitung. Denn die Schwäche des Rechtsstaates sei eine Bedrohung für die Demokratie: Dann kann sie zur Willkürherrschaft der Mehrheit über die Minderheit werden, hatte er bereits im Oktober den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt.
Das erste Themenfeld, bei dem der Staat laut Papier nicht mehr konsequent durchgreift, ist die Fluchtmigration. Dort sei seit Jahren geltendes deutsches und europäisches Recht nicht wirklich umgesetzt worden. Und das habe sich bis heute nicht grundsätzlich verändert: Wir müssen ja feststellen, dass wir noch immer in beträchtlichem Maße illegale Zuwanderung nach Deutschland zu verzeichnen habe, sagte er der Bild-Zeitung.
Personen, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen, müsste grundsätzlich die Einreise verweigert werden. Papier sieht zwei Möglichkeiten, wie der Staat hier sein Verhalten korrigieren könnte: Entweder er sorgt für eine rechtliche Ordnung an der EU-Außengrenze und sichert notfalls die Binnengrenze, solange die Kontrolle an der EU-Grenze nicht funktioniere. Oder es könne entschieden werden, dass man solche Grenzkontrollen nicht möchte, aber, bitte, dann müsste man eben das Gesetz ändern. Aber das tut man nicht, man ignoriert es einfach. Das stört mich, sagt Papier.
Noch viel länger hat der Staat in einem anderen Bereich seine eigenen Regeln nicht durchgesetzt: beim Diesel-Skandal. Hier seien schließlich schon vor über zehn Jahren Grenzwerte für Schadstoffe von der EU beschlossen worden. Diese Grenzwerte, die der Luftreinhaltung und dem Gesundheitsschutz dienen, sind schlicht und dauerhaft ignoriert worden, sagt Papier. Die Folge sei, dass beim Bürger ankomme: Wenn die da oben geltendes Recht brechen und es nicht geahndet wird, dann habe das auch Rückwirkungen auf die Einstellung der Bevölkerung.
Der Rechtsstaat werde zudem auch von kriminellen Großfamilien, die die Kontrolle über ganze Stadtteile beanspruchen, angegriffen. Das Gewaltmonopol des Staates werde dort ausgehebelt und gelte in Teilen schlicht nicht mehr, zitiert die Bild-Zeitung Papier.
Seine Forderung ist klar: Der Staat muss für Recht und Ordnung sorgen und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegensteuern. Setzt der Staat hier sein Gewaltmonopol nicht durch, dann erodiert nicht nur der Rechtsstaat, sondern der Staat insgesamt, befürchtet Papier
Die rechtsstaatlichen Mittel gegen die Angriffe in Stellung zu bringen, sei aber gar nicht so einfach, denn die Justiz sei geschwächt: Wir haben, nicht in allen, aber in vielen Bereichen der Justiz eine völlige Überlastung, sagt Papier. Das sei zum einen durch die Flüchtlingspolitik bedingt. Verwaltungsgerichte seien teilweise zu Asylgerichten geworden, weil diese Verfahren alles überlagert und verzögert hätten.
Es gebe aber auch in vielen anderen Bereichen der Rechtspflege Überlastungen. Nicht einmal fünf Prozent der Haushaltsausgaben der Bundesländer seien der Justiz gewidmet, Tausende Stellen fehlten. Verfahren würden deshalb häufig mit Deals enden, Strafverfahren würden eingestellt, die außergerichtliche Streitbeilegung nehme zu.
Papiers Forderung: Wir brauchen zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit eine höhere Wertschätzung der Justiz nicht nur ideell, sondern in einer wirklich und deutlich besseren personellen, finanziellen und sachlichen Ausstattung der rechtssprechenden Gewalt.