Migration verpflichtet :

Damit Deutschland nicht scheitert

Ein Kommentar von Berthold Kohler

-Aktualisiert am 28.07.2020-18:46

Wo nötig, muss der Rechtsstaat sich wieder Respekt verschaffen. Auch Migranten haben sich an Recht und Gesetz zu halten. Türkischstämmige Menschen beim Bundeskongress der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) im Juni 2017 in Berlin.
Bild: dpa

Man muss kein Greis sein, um sich an die Zeiten erinnern zu können, in denen der erste Hauptsatz der Ausländerpolitik von CDU und CSU lautete: Deutschland ist kein Einwanderungsland! Gemeint war damit auch und vor allem: Es soll auch keines werden! Doch schon die vielen ins Land geholten "Gastarbeiter" waren, ob mit oder ohne deutschen Pass, zu Einwanderern geworden, weil sie zum größten Teil nicht in ihre Herkunftsländer zurückgegangen waren, sondern lieber ihre Familien nachgeholt hatten. Deutschland wollte sich wegen seiner Vergangenheit auch gegenüber Flüchtlingen nicht hermetisch abschotten, wie sein lange Zeit großherziges Asylrecht zeigte. Und für die Anhänger des politischen Multikulturalismus konnte es gar nicht genug Ausländer in Deutschland geben.

Diese Mischung aus Motiven und Möglichkeiten, zu denen auch die Freizügigkeit in der EU zählt, hat dazu geführt, dass mittlerweile jeder vierte Einwohner Deutschlands einen Migrationshintergrund hat. In vielen Großstädten liegt der Prozentsatz noch weit höher. Deutschland ist nolens volens zu einem Einwanderungsland geworden mit all den Chancen und Problemen, die auch in anderen multikulturellen Gesellschaften zu beobachten sind. Zuletzt machte die Migrationswelle von 2015 deutlich, wie groß die Herausforderung ist, die in dem Wort "Integration" steckt. In Frankreich, Großbritannien und auch in Amerika lässt sich verfolgen, welches dauerhafte Konfliktpotential entsteht, wenn insbesondere die Eingliederung junger Männer misslingt. Daran sind nicht nur die aufnehmenden Gesellschaften schuld.

Damit aus Deutschland nicht ein gescheitertes Einwanderungsland wird, muss es von den Migranten verlangen, was Mindeststandard auch für die alteingesessene Deutschen gilt: sich an Recht und Gesetz zu halten. "Rechtsfreie Zonen", ob von kriminellen Clans oder auch nur Partysüchtigen errichtet, dürfen nicht toleriert werden. Es reicht nicht, wortreich über den schwindenden Respekt vor dem Rechtsstaat und seinen Organen zu klagen; wo nötig, muss der Staat sich diesen Respekt im Rahmen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auch wieder selbst verschaffen. Sonst könnten in Deutschland eines Tages Stürme aufziehen, die die Krawalle in Stuttgart und Frankfurt wie laue Lüftchen aussehen lassen.


Quelle: faz vom 28.07.2020