Stand: 06.03.2021 14:09 Uhr | Lesedauer: 5 Minuten
Redakteur im Ressort Außenpolitik
Als erstes EU-Land entzieht Dänemark Flüchtlingen aus Syrien ihren Schutzstatus und will sie zurück in "sichere" Landesteile schicken. Kopenhagen treibt seine rigorose Migrationspolitik weiter voran - und denkt dabei auch an die deutschen Nachbarn.
Was das in der Praxis heißt, hat Kopenhagen bereits gezeigt: Nachdem die Fälle Tausender syrischer Asylbewerber von den Behörden überprüft worden waren, wurde 94 aus Damaskus stammenden Flüchtlingen zum Jahresende ihre Aufenthaltsgenehmigung entzogen oder nicht verlängert. Sie sollen in die Hauptstadt des Bürgerkriegslandes zurückkehren. Zuvor hatten dänische Behörden die Stadt als sicher eingestuft, sodass Asylbewerbern von dort grundsätzlich kein Schutzstatus mehr zuerkannt wird.
Jüngst weitete die dänische Einwanderungsbehörde die als sicher geltende Zone auf das gesamte, Damaskus einschließende Gouvernement Rif Dimashq aus. Nun muss auch der Status von weiteren rund 300 Menschen aus der Region neu bewertet werden, wie die Migrationsbehörde gegenüber WELT bestätigte.
Ausfliegen kann Dänemark die abgelehnten Asylbewerber allerdings nicht, da es keine entsprechende Vereinbarung mit der syrischen Regierung gibt. Sie werden in Abschiebeeinrichtungen einquartiert, wo sie weder arbeiten noch zur Schule gehen können. Dadurch steigt der Druck, dass die Menschen von sich aus - mit einem Zuschuss der Regierung - in ihr Herkunftsland zurückkehren. Dänemark mit seinen 5,8 Millionen Einwohnern beherbergt derzeit eine vergleichsweise überschaubare Zahl von 43.942 Syrern. In Deutschland leben knapp 800.000 (Stand Ende 2019).
Während Berlin seit dem Jahreswechsel die Möglichkeit prüft, syrische Straftäter abzuschieben, ist Dänemark das erste Land in der EU, das ein Gebiet in Syrien als sicher einstuft und auch unbescholtene Asylsuchende dorthin zurückschicken will. Mit der Entscheidung unterstreicht Kopenhagens Mitte-Links Regierung ihren rigorosen Migrationskurs, der sich entlang einer Reihe von Debatten über die Asylpolitik verschärft hat.
Maßgeblich geprägt worden sei diese vom Aufstieg der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, so Philipp Fink, Direktor der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung für die Nordischen Länder. "Seit 20 Jahren treibt sie eine stufenweise Verschärfung der Asylpolitik voran." Als Teil einer rechtsgerichteten Regierungskoalition war die Partei daran beteiligt, dass während der vergangenen Legislaturperiode über 100, in der Öffentlichkeit teilweise umstrittene Gesetze verabschiedet wurden, die Dänemarks Einwanderungspolitik zu einer der härtesten in Europa machten. Dazu zählt etwa das sogenannte Schmuckgesetz, das den Sicherheitsbehörden in manchen Fällen erlaubt, Wertsachen und Bargeld als Ausgleich für die Kosten der Unterbringung zu konfiszieren, oder ein Burka-Verbot, ähnlich wie es Frankreich oder Österreich gilt.
Im Jahr 2018 hatten Pläne für Aufsehen gesorgt, nach denen Ausländer, die wegen Straftaten oder abgelehnter Anträge das Land verlassen müssen, auf eine Insel in der Ostsee geschickt werden sollten. Das Vorhaben wurde jedoch nie umgesetzt. "Allerdings haben auch andere Parteien in den vergangenen Jahren stärker auf migrationskritische Programme gesetzt", sagt Fink.
Damit meint er vor allem die Sozialdemokraten mit ihrer Vorsitzenden und Ministerpräsidentin Frederiksen. Mit ihrer entschiedenen Migrationspolitik hatte sie den Rechtspopulisten bei der Wahl 2019 viele Stimmen abgejagt und sich mit ihren Sozialdemokraten an die Spitze des traditionell linksgerichteten roten Parteienblocks gesetzt. Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte seiner Partei empfohlen, dem dänischen Vorbild der "robusten Ausländer- und Asylpolitik" zu folgen, anstatt sich vor kontroversen Asyldebatten wegzuducken.
Schon vor Beginn der aktuellen Legislaturperiode hatte das dänische Parlament - unterstützt auch von den Sozialdemokraten - einen Gesetzesvorschlag angenommen, der die ohnehin restriktive Politik gegenüber Asylbewerbern noch weiter verschärfte. Nach dem seither geltenden Ausländerrecht ist nicht mehr Integration das vorrangige Ziel, sondern die schnellstmögliche Rückführung der Menschen in ihre Herkunftsländer.
Die passende Rhetorik lieferte der Gesetzestext gleich mit: Der Begriff "Integration" wurde durch die Formulierung "Selbstversorgungs- und Heimreiseleistung" ersetzt. Das Gesetz sieht vor, dass Flüchtlinge keine dauerhafte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung mehr erhalten. Außerdem wurden Familienzusammenführungen erschwert und finanzielle Leistungen gekürzt. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNCHR kritisierten das Gesetz heftig.
Doch bei aller scharfen Rhetorik und trotz der Abschreckungsmaßnahmen verfolgt die dänische Regierung auch konsequent Maßnahmen, die vor allem Zuwanderern zugutekommen. So hat sie Programme aufgestellt, um mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und eine Kindergeldzulage eingeführt, die Kommunen werten Wohnräume auf.
Unter die Kategorie streitbar dürfte in diesem Bereich die sogenannte "Gettoliste" fallen. Ihr zufolge werden Wohnviertel dann als "Gettos" klassifiziert, wenn dort mehr als 1000 Menschen leben, die ein niedriges Bildungsniveau vorweisen und wo der Anteil an Migranten und Vorbestraften hoch ist.
Der Regierung zufolge dient die Regelung dazu, entstehende Parallelgesellschaften zu identifizieren und bestehende aufzulösen. Wenn ein Viertel auf der Liste steht, müssen etwa dort lebende Kinder ab ihrem ersten Geburtstag mindestens 25 Stunden pro Woche in einer Kita verbringen, um die Landessprache, aber auch etwas über dänische Kultur und Traditionen zu lernen. Wer seine Kinder zu Hause lässt, riskiert, dass Sozialleistungen gekürzt werden. Dauerbrennpunkten droht gar der Abriss von Sozialwohnblocks und die Umsiedlung der Bewohner.
Ähnliche Regelungen gibt es in Deutschland kaum. Und selbst die Abschiebedebatte drehte sich zuletzt allein darum, ob straffällig gewordene oder als Gefährder eingestufte Syrer 2021 zurückgeschickt werden können. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte sich dafür eingesetzt. Tatsächlich dürfte aber wohl kein deutsches Gericht einer Abschiebung zustimmen, solange das Assad-Regime in Syrien herrscht - auch eine entsprechende Rückführungsvereinbarung steht aus.
"Solche Aussagen haben kaum eine realpolitische Basis", sagt Migrationsexperte Gerald Knaus gegenüber WELT. Vielmehr betrieben Dänemark sowie andere EU-Länder eine "Ankündigungspolitik", die vor allem die Einreise neuer Asylsuchender über Deutschland abschrecken solle. Ob Dänemark oder Frankreich: Die Zahl der pro Jahr tatsächlich abgeschobenen in Länder wie Afghanistan bewege sich seit Jahren im zweistelligen Bereich. "Episoden wie Seehofers Coup' der 69 abgeschobenen Afghanen erzeugen hier einen irreführenden Eindruck."
Ohne Interesse der Herkunftsländer, bei Rücknahmen kooperieren zu wollen, und ohne mehr Realismus in der europäischen Debatte werde sich in der Praxis nichts ändern, so Knaus, der als Architekt des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals gilt. Man müsse anerkennen, "dass die meisten Afghanen oder Afrikaner, die heute in der EU ausreisepflichtig sind, hier bleiben werden", sagt Knaus. Er empfiehlt, sich auf Abschiebungen ausreisepflichtiger Straftäter und nach Stichtagen zu konzentrieren und darüber mit den Herkunftsländern zu verhandeln.