Veröffentlicht am 05.05.2023 | Lesedauer: 4 Minuten
Von Lasse Sørensen
Montage: Infografik WELT
An der Behauptung, dass die skandinavischen Länder zu den beliebtesten Zielen für Asylsuchende in der EU gehören, dürfte sich kaum jemand stoßen. Bis vor einigen Jahren traf das auch zu. Doch tatsächlich hat Deutschland mittlerweile sowohl seinen nordischen Nachbarn Dänemark wie auch Schweden überholt.
Das zeigt eine kürzlich vom dänischen Ministerium für Einwanderung und Integration veröffentlichte Rangliste der EU-Länder, die im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung die meisten Asylanträge zwischen den Jahren 2008 und 2022 verzeichneten.
Während sich Deutschland seit Beginn der Migrationskrise 2015 in den Top 10 der Statistik hält, ist Schweden seit damals von Platz zwei auf Rang 16 im Jahr 2022 zurückgefallen. Dänemark war 2015 an neunter Stelle, im vergangenen Jahr dann auf Platz 19. Den höchsten Pro-Kopf-Anteil haben Zypern, Österreich, Luxemburg und Griechenland. Die Liste berücksichtigt nicht, wie viele Asylsuchende tatsächlich aufgenommen werden, ob und welchen Schutzstatus sie erhalten.
Der sozialdemokratische Integrationsminister Kaare Dybvad Bek, dessen Partei maßgeblich für scharfe Migrationspolitik Dänemarks verantwortlich ist, begrüßt die Positionierung seines Landes: "Es ist gut, dass wir einen relativ geringen Zustrom von Asylsuchenden haben, sodass unsere Integrationsmaßnahmen das auffangen können", erklärte er in einer Pressemitteilung.
Während die deutsche Politik weiterhin darüber streitet, wie man mit der steigenden Zahl ankommender Menschen umgehen soll, hatte sich der Ton in Dänemark schon vor der Migrationskrise verschärft, spätestens mit der Ankunft zehntausender Menschen setzte die Regierung dann auf rigorose Maßnahmen in der Einwanderungspolitik, die international immer wieder auf Kritik stoßen.
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In Schweden hat der damalige Außenminister Carl Bildt noch 2014 verkündet, sein Land sei eine "humanitäre Supermacht". Tatsächlich hatten die Skandinavier über Jahrzehnte ihre Tore für Menschen in Not geöffnet, Schweden galt als ein Land, auf das man sich bei der Suche nach einem besseren Leben verlassen konnte.
Dann kam das Jahr 2015 und die Migrationskrise führte auch in Schweden zu einem Umdenken. Das Land registrierte 163.000 Asylanträge, so viele wie noch nie. Auf die Bevölkerungszahl gerechnet, nahm das EU-Land während dieser Zeit mehr Flüchtlinge und Migranten auf als alle anderen. Die schwedische Bevölkerung sah sich mit einer neuen Realität konfrontiert.
Das Land war gezwungen, seine Belastungsgrenzen anzuerkennen - im Widerspruch zum langjährigen Ideal, schutzbedürftigen Menschen bedingungslos aufzunehmen. Die Regierung zog die Notbremse, erstmals verschärfte Schweden seine Asylpolitik.
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Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die jahrelang durch andere Parteien im Parlament isoliert worden waren, fachten die öffentliche Diskussion über Einwanderung und Integration an und profitierten mit ihrem asylkritischen Programm maßgeblich davon. Immer häufiger dominierten fortan auch die Auswirkungen gescheiterter Integration - vor allem die grassierende Bandenkriminalität in den Ballungszentren - die Schlagzeilen. In diesem Klima gelang den Schwedendemokraten der Sprung von einer Kleinstpartei zu stärksten Kraft bei den Wahlen im vergangenen September.
Dank ihrer Stimmenmehrheit löste ein Mitte-rechts-Bündnis die sozialdemokratisch geführte Regierung ab. Das neue Regierungsbündnis wird von den Rechtspopulisten geduldet, im Gegenzug gewährt es ihnen maßgeblichen Einfluss auf die Migrationspolitik des Landes.
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Im Nachbarland Dänemark hatte die Entwicklung hin zu einer strikten Migrationspolitik schon früher begonnen. Die Befürchtung, dass hohe Migrationszahlen den Wohlfahrtstaat bedrohen, führte schon 2002 dazu, dass das Parlament mit breiter Mehrheit Geldleistungen für nicht-EU-Bürger um die Hälfte kürzte. Der Grundstein für eine enger gefasste Asylpolitik war gelegt, mit der Migrationskrise wurde dieser Kurs noch einmal deutlich verschärft.
So verstieß Dänemark im Jahr 2016, damals unter der Mitte-Rechts-Regierung von Lars Løkke Rasmussen, die im Parlament auf die Unterstützung der rechten Dänischen Volkspartei angewiesen war, sogar gegen das Schengen-Abkommen der EU und installierte Kontrollposten an der deutsch-dänischen Grenze. Auch das umstrittene "Schmuckgesetz" wurde verabschiedet, das es Behörden bis heute erlaubt, Asylsuchenden Wertsachen ab einem Wert von 10.000 Kronen (umgerechnet rund 1340 Euro) abzunehmen.
Im Jahr 2019 konnte der Linke Block um die dänischen Sozialdemokraten die Wahl für sich entscheiden. Das gelang einerseits, weil die Partei von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen harte Positionen in der Migrationspolitik übernahm und den Rechten so entscheidende Stimmen abjagen konnten. Anderseits, weil davon abgestoßene Wähler zum Linken Koalitionspartner abwanderten.
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Heute steht die Regierung für das Ziel "Null Migration", will als einziges EU-Mitglied Syrer wieder in ihr Land zurückschicken und Asylverfahren in Drittstaaten auslagern. Beim Blick auf die Rangliste der Dänen zeigt sich, dass Kopenhagens Botschaft scheinbar auch in den Herkunftsländern vieler Asylsuchenden angekommen ist.
Auch Schweden bemüht sich zusätzlich zur verschärften Asylpolitik gezielt um Abschreckung. Eine internationale Informationskampagne, die sich gezielt an Asylsuchende und Migranten richten soll, veranschaulicht den Paradigmenwechsel. Anfang des Jahres kündigte Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard gemeinsam mit dem rechten SD-Politiker Henrik Vinge eine groß angelegte PR-Aktion in Herkunftsländern an, die sich auch an Botschaften und internationale Medien wenden soll. Die Kampagne solle das Bild von "Schweden als Einwanderungsland" widerlegen.