Dänemark und Österreich "Null Asyl" - ein Tabubruch mit Sprengkraft

Veröffentlicht am 04.08.2021 | Lesedauer: 5 Minuten

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Klaus Geiger, Judith Grohmann

Dänemark hat jüngst ein Gesetz beschlossen, das an die Grundfesten der europäischen Asylpolitik rührt. Der Kern der Idee ist eine Provokation für die EU und für Deutschland. Nun signalisiert auch Österreich klar Sympathie. Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz eint ihr Standpunkt beim Thema Migration
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Als das Gesetz im dänischen Parlament verabschiedet wurde, wählte Mattias Tesfaye deutliche Worte. "Wir verwenden so viele Ressourcen auf Menschen, die überhaupt keinen Schutz brauchen. Das ist völlig verrückt", so Dänemarks Ausländer- und Integrationsminister. "Und anschließend schieben wir sie ab - wenn wir Glück haben. Denn bis dahin sind sie in einem Ausreisezentrum einquartiert, wo sie uns im Jahr 40.000 Euro pro Person kosten."

Der Minister, der selbst äthiopische Wurzeln hat, verteidigte damit ein Gesetz, das nichts weniger anstrebt als eine radikale Neuausrichtung der europäischen Migrationspolitik. Im Kern will Dänemark nämlich eines erreichen: Es will die Möglichkeit erhalten, nicht nur abgelehnte Asylbewerber konsequent abzuschieben - sondern auch anerkannte Asylbewerber gar nicht erst nach Europa zu lassen. Dänemarks Ministerpräsidentin sagte es noch deutlicher: "Unser Ziel lautet: null Asylbewerber."

Die Idee dieser sogenannten "Null-Asyl-Politik": Asylbewerber sollen in Drittstaaten gebracht werden, wo über deren Asylantrag entschieden wird. Dieser Drittstaat kümmert sich bei negativem Bescheid um die Abschiebung. Und: Bei positivem Bescheid nimmt er den Asylbewerber auf. Dänemark selbst würde nur noch Flüchtlinge aufnehmen, die im Rahmen von sogenannten Resettlement-Programmen ins Land geflogen werden.

Das Ziel: So würden nicht jene Menschen die größten Chancen auf Asyl erhalten, die sich bis nach Dänemark durchschlagen, sondern jene, denen die physischen und finanziellen Mittel fehlen, um sich auf den weiten Weg zu machen. Die Regierung in Kopenhagen führt Kanada und Australien als Vorbilder für die neue Strategie an.

Das Gesetz, das Anfang Juni beschlossen wurde, stieß auf scharfe Kritik. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erklärte, die dänischen Pläne würden "langfristig grundlegende Werte aushöhlen". Dies werfe "fundamentale Fragen auf zum Zugang zu Asylverfahren und zum Schutz der Menschen", so Johannson in einer Erklärung zusammen mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Dies laufe den im EU-Recht verankerten Grundprinzipien zuwider. Das europäische Recht sieht vor, dass Migranten, die europäisches Territorium betreten, dort auch ein Anrecht auf ein Asylverfahren haben.

Die EU hat auch sechs Jahre nach der Flüchtlingskrise von 2015 keine gemeinsame Migrationspolitik - und verlässt sich bisher auf Abkommen mit Drittstaaten wie der Türkei, Marokko oder Libyen. Diese sorgen dafür, dass Migranten sich erst gar nicht auf den Weg nach Europa machen. Dies ist europarechtlich möglich, weil eine solche Politik nicht unter das Verbot der Zurückweisung der Genfer Konvention fällt. Dänemark geht mit seinem Gesetz einen Schritt weiter - und erhöht damit den Druck in den EU-Verhandlungen zur Migrationspolitik, die nach der Sommerpause wieder aufgenommen werden sollen.

Österreich offen für dänische Idee

Das Land kann dabei auf Verbündete zählen. Nicht nur die osteuropäischen Staaten, die seit Jahren auf eine restriktivere Migrationspolitik drängen, finden sich an der Seite der Regierung in Kopenhagen.

Auch Österreich solidarisiert sich inzwischen sehr deutlich mit Dänemark: "Die von der sozialdemokratischen dänischen Regierung im Parlament verabschiedeten Pläne zeigen einen spannenden Ansatz, wie Migrationspolitik nachhaltig bewältigt werden kann", sagte der österreichische Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gegenüber WELT. Er bringt Partnerländer wie Tunesien und Ägypten ins Spiel. Diese könnten einerseits in der EU abgelehnte Asylbewerber aufnehmen - und in ihre Heimatländer zurückführen.

Zugleich zeigte er sich auch offen für die dänische Idee: Es sei auch denkbar, dass in den Asylzentren in den Drittstaaten die Asylverfahren durchgeführt werden und selbst anerkannte Asylbewerber in diesen Ländern belassen werden, erklärte Nehammer. "Dafür würden diese Länder eine Geldleistung einerseits für die Betreuung und andererseits eine Kooperation bekommen, damit es der Wirtschaft in diesen Ländern gut geht", sagte Nehammer.

Nehammer hatte seit seinem Besuch in Dänemark wiederholt scharfe Kritik an der Asylpolitik der EU-Kommission geübt. Diese versuche seit 20 Jahren, ein einheitliches Asylsystem zu etablieren, halte sich aber "in Wahrheit damit auf, über Verteilungsfragen von Flüchtlingen zu debattieren". "Der dänische Innenminister sagt richtigerweise, Dänemark ist ein sozialer Wohlfahrtsstaat und muss schauen, dass er das auch bleiben kann und dass das System nicht kippt", sagte er.

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Die österreichische Regierung blickt ganz konkret auf die jüngsten Ereignisse in Afghanistan. Dort übernehmen nach dem Abzug der westlichen Truppen derzeit die radikal-islamischen Taliban die Kontrolle im Land, was zu neuen Fluchtbewegungen führt. "In Österreich haben wir etwa eine der größten afghanischen Communitys Europas, dabei führt die Fluchtroute über zehn sichere Länder", sagte Nehammer. "Es kann nicht sein, dass Österreich und Deutschland für die EU das Afghanistan-Problem lösen." Deutschland habe hier die gleichen Interessen.

Auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte sich jüngst ähnlich geäußert. "Wir müssen als Europäische Union jetzt schon im Sommer aktiv werden, um zu verhindern, dass es wieder ähnliche Zustände gibt wie damals", sagte Kurz der "Bild"-Zeitung mit Blick auf Afghanistan Wenn Menschen fliehen müssten, dann halte er "Nachbarstaaten, die Türkei oder sichere Teile Afghanistans definitiv für den richtigeren Ort, als dass die Menschen alle nach Deutschland, Österreich oder Schweden kommen". Auch Nehammer sagte gegenüber WELT, es gebe keinen Grund, "dass tatsächlich ein Afghane hier einen Asylantrag stellt".

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Fakt ist auch: Dänemark hat bisher noch kein Abkommen mit einem Drittstaat geschlossen. Der dänische Integrationsminister Tesfaye hatte vor wenigen Wochen gesagt, sein Land sei mit "einem Dutzend" Ländern in Verhandlungen. Im April war er nach Ruanda gereist und hatte ein Abkommen mit der dortigen Regierung unterzeichnet.

Allerdings enthielt dieses am Ende keine Vereinbarung über die Einrichtung von Zentren, in denen über Asylanträge entschieden wird. Die Regierungen in Kopenhagen und Wien werden weiter versuchen, andere EU-Länder zu Entscheidungen zu drängen - und verfolgen damit ein strategisches Ziel: die eigenen Länder für Asylbewerber unattraktiv zu machen, damit der Druck auf andere EU-Staaten wächst.


Quelle: welt.de vom 04.08.2021