Von Oliver Hollenstein, Oliver Schröm und
27.08.2021, 13.49 Uhr
In der Steueraffäre um die Hamburger Bank M.M. Warburg bahnt sich ein Showdown an. Die Opposition im Stadtparlament, der Bürgerschaft, wirft dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vor, in der Sache nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Damit geriete auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz unter Druck. Das ergeben Recherchen von SPIEGEL und Manager Magazin.
Scholz und Tschentscher betonen bisher, sie hätten keinen Einfluss auf Entscheidungen des zuständigen Finanzamts genommen. Im Herbst 2016, dem maßgeblichen Zeitraum, war Scholz noch Bürgermeister und Tschentscher Finanzsenator. Im Rathaus müht sich ein Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft, die Vorwürfe aufzuklären. Am Freitag beginnt die vielleicht entscheidende Sitzung.
Inzwischen liegen den Abgeordneten zahlreiche interne Dokumente aus den Behörden vor. Zentral ist dabei offenbar ein Papier, auf dem Tschentscher handschriftlich Notizen und Markierungen in grüner Farbe vorgenommen haben soll.
Linken-Obmann Norbert Hackbusch sagte: Es sei "eindeutig belegt, dass es eine politische Einflussnahme auf die Entscheidungen der Finanzbehörde und des Finanzamts gegeben hat". Auch CDU-Obmann Richard Seelmaecker sagte, Tschentscher und Scholz hätten den Beamten "die Richtung für eine Entscheidung" in Sachen Warburg "vorgegeben".
Die Sache ist deshalb brisant, weil es um ein mutmaßliches Geschenk der Stadt an Warburg geht, auf Kosten der Steuerzahler. Die alteingesessene Bank hatte sich mit dubiosen Aktiendeals, im Fachjargon Cum-Ex-Geschäfte, über Jahre Steuergutschriften verschafft.
Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs ist inzwischen klar, dass es sich bei diesen Geschäften um Straftaten handelte. Ein früherer Generalbevollmächtigter der Bank wurde jüngst zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Bereits im Jahr 2016 war ruchbar, dass die Steuergutschriften für Warburg womöglich zu Unrecht erfolgt waren. Vereinfacht liefen die Geschäfte so: Warburg spekulierte mit Aktien rund um den Tag, an dem Dividenden flossen, also Gewinnanteile für Aktionäre. Die Bank gab per Selbstauskunft beim Finanzamt an, für die Dividenden sei Kapitalertragsteuer gezahlt worden.
Wegen einer speziellen Regel waren Aktionäre aus Deutschland bis 2011 aber von der Kapitalertragsteuer auf Dividenden befreit - mit diesem Argument holte sich Warburg die angeblich bezahlte Steuer zurück. Inzwischen ist klar, dass Cum-Ex ein illegales Verwirrspiel war. Finanzämter sollten getäuscht werden. Und so flossen einmal gezahlte Steuern gleich mehrfach zurück. Experten schätzen den Schaden insgesamt auf mehr als sieben Milliarden Euro. Ein gigantischer Betrug am Staat.
Was die Opposition in Hamburg empört, sind Vorgänge in den Hamburger Behörden Ende 2016. Am 5. Oktober teilte die Chefin des Hamburger Finanzamts für Großunternehmen der vorgesetzten Finanzbehörde in einem Schreiben mit: Man wolle wegen Cum-Ex Steuern von Warburg zurückfordern, darunter allein 47 Millionen Euro aus Gutschriften für 2009. Falls man auf 2009 verzichte, werde die Sache zum Jahresende verjähren. Das Geld wäre, so war das zu lesen, bald verloren.
Die Leiterin schrieb, das Finanzamt bitte um Zustimmung. Auch wenn man die Chancen bei einem Rechtsstreit nur als ausgeglichen betrachte und "die Auswirkungen für die Warburg-Bank erheblich sind". Wenige Tage später vermerkte der Justiziar der Finanzbehörde in einem internen Vermerk, der Schritt erscheine vertretbar. Beide Dokumente liegen SPIEGEL und Manager Magazin vor. Die Finanzbehörde ist das Finanzministerium des Stadtstaats. Der Chef war damals Tschentscher.
Die Finanzbehörde verweigerte die Zustimmung. Und bat stattdessen die Chefin des Finanzamts und die zuständige Sachbearbeiterin zum Gespräch in die Behörde. Das gab die Chefin des Finanzamts im Untersuchungsausschuss als Zeugin zu Protokoll.
Die beiden Eigner der Bank, Christian Olearius und Max Warburg, sprachen unterdessen an höchster Stelle vor. Die Banker, hanseatische Prominenz, bekamen einen Termin bei Bürgermeister Scholz, nachdem sie von den Plänen des Finanzamts erfahren hatten. Am 26. Oktober trafen sie Scholz im Rathaus. Ihr Ziel war es, die Rückforderungen zu verhindern.
Sie übergaben Scholz die Kopie einer Verteidigungsschrift, sieben Seiten lang, adressiert an das Finanzamt. Zwei Wochen später, am 9. November, rief Scholz bei Olearius an. In seinem Tagebuch vermerkte der Banker, Scholz habe ihm geraten, das Schreiben ohne weitere Bemerkungen an Tschentscher zu schicken. Der Anruf ist bei Scholz im Kalender vermerkt.
Im Untersuchungsausschuss dazu befragt, erklärte Scholz, er habe mit dem Rat "den Dienstweg" sicherstellen wollen. Dabei war der Dienstweg mit dem Schreiben an das Finanzamt längst beschritten. Der Grünen-Abgeordnete Till Steffen, einst Justizsenator unter Scholz, fragte seinen früheren Chef: Warum er Olearius an den Finanzsenator verwiesen habe? Der Senator habe doch gar keinen Handlungsspielraum gehabt. Scholz reagierte wortlos: Er zuckte die Achseln.
Tschentscher erhielt das Schreiben von Olearius noch am 9. November. Fünf Tage später gab er es an seine Untergebenen. Jene Beamten, die mit dem Finanzamt noch einmal sprechen wollten wegen Warburg. Tschentscher notierte auf der ersten Seite in Grün: "Bitte um Informationen zum Sachstand."
Auf den folgenden Seiten sind in Grün wenige weitere Passagen unterstrichen. Darunter die Wörter "Sachverhalt noch nicht ausermittelt", "Rücknahme" und "Existenzgefährdung". Es waren die zentralen Argumente der Bank: Juristisch sei die Sache unklar. Und sollte man zahlen müssen, sei ungewiss, ob die Bank das überstehe.
Am 17. November trafen sich Beamte aus der Finanzbehörde mit den beiden Mitarbeiterinnen des Finanzamts. Das Ergebnis ist in einem zweiseitigen Protokoll festgehalten, das SPIEGEL und Manager Magazin vorliegt. Man wollte das Geld von Warburg nun doch nicht zurückfordern.
Die entscheidenden Argumente waren just jene, die im Dokument grün unterstrichen worden waren: Die Sache sei juristisch heikel, und eine Rückforderung hätte "vermutlich den unmittelbaren Zusammenbruch der Warburg Gruppe zur Folge".
Für die Opposition ist die Sache klar. "Durch die Unterstreichungen hat der Finanzsenator seinen Beamten deutlich gemacht, dass er die Argumente der Bank teilt", so CDU-Obmann Seelmaecker. "Daher mussten die Beamten davon ausgehen, dass sie eine Entscheidung gegen die Bank nicht treffen durften."
Und auch Ex-Senator Steffen irritieren die Markierungen in Grün. Als ehemaliger Behördenchef wisse er, wie "heikel" solche Anmerkungen seien. "Wenn in einer Behörde an einem Schriftstück etwas mit grüner Tinte angemerkt oder auch nur markiert ist, stehen alle stramm." Es werde "sorgfältigst geprüft, was gemeint ist und was am besten zu tun ist".
Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft: "Eine grüne Gesprächsbitte bedeutet vor allem in Promifällen das Signal, nicht mehr selbstständig zu entscheiden, sondern sich mit oben abzustimmen."
Allerdings sind die Unterstreichungen in dem Papier in einem anderen Grünton gehalten als die Anmerkung auf der ersten Seite. Diese Anmerkung trägt das Kürzel von Tschentscher und ist somit eindeutig ihm zuzuordnen.
Die Finanzbehörde dementierte auf Anfrage, dass Tschentscher auch die Unterstreichungen vorgenommen habe. Sie seien "mit einem grünen Textmarker angebracht, allerdings nicht durch den Senator, sondern eine andere Person aus der Steuerverwaltung". Bei Textmarkern gebe es für Mitarbeitende der Finanzbehörde keine "Einschränkung zur Nutzung bestimmter Farben durch bestimmte Personen".
CDU-Mann Seelmaecker nannte die Behauptung unwahr. "Niemand anderes als der Senator darf auf Schriftstücken mit einem grünen Stift schreiben und markieren." Linken-Politiker Hackbusch sagte: "Die grüne Tinte ist einzig dem Senator vorbehalten und ist in einer streng hierarchisch organisierten Bürokratie Zeichen höchster Priorität."
Am Freitag wird der Ausschuss die damalige Chefin der Steuerverwaltung aus der Finanzbehörde befragen. Ihr Amt ist auf dem Schreiben an Tschentscher als erster Empfänger benannt. Aller Voraussicht nach wird sie dazu Stellung nehmen müssen.
Ein Sprecher von Tschentscher sagte, zu Details des Steuerfalls dürfe er keine Auskunft geben. Grundsätzlich habe Tschentscher als Finanzsenator Wert darauf gelegt, "dass die Entscheidungen der Finanzämter beziehungsweise der Steuerverwaltung in steuerlichen Verfahren ausschließlich unter rechtlichen Gesichtspunkten getroffen werden": An ihn persönlich gerichtete Schreiben von Steuerpflichtigen seien "in diesem Sinne an die Steuerverwaltung weitergegeben" worden.
Die Warburg-Bank hatte immer wieder betont, sie habe sich nicht unrechtmäßig verhalten. Die Steuern für insgesamt fünf Jahre, darunter das besagte Jahr 2009, musste die Bank inzwischen zurückzahlen, insgesamt 176 Millionen Euro. Entscheidend dafür ist das Urteil des Bundesgerichtshofs. Weil es sich um Steuerhinterziehung handelt, wurden die 2016 maßgeblichen Verjährungsfristen hinfällig. Die Bank hat die Zahlung bislang überlebt.
Quelle: Cum-Ex-Affäre um Warburg-Bank: Das Geheimnis der grünen Tinte - DER SPIEGEL