"Pate von Berlin"

"Meine Familie, meine Regeln":
Clan-Chef dokumentiert in Memoiren das Staatsversagen

FOCUS-Online-Autor Ulrich Reitz

Freitag, 13.11.2020,

Er nennt sich "Der Pate von Berlin": Mahmoud al-Zein, Oberhaupt eines arabischen Clans. Er hat nun seine Autobiographie geschrieben. Ergänzt mit dem Buch zweier Journalisten offenbart sich ein Staatsversagen auf vielen Ebenen. Getty Images "Der Pate von Berlin", Mahmoud al-Zein, hat ein Buch geschrieben.

Mahmoud al-Zein, der abgelehnte, aber von Deutschland nie abgeschobene Asylbewerber aus dem Libanon, der es in den neunziger Jahren zum "Paten von Berlin" und einem Leben in Saus und Braus brachte, schreibt über den gleichzeitigen Bezug von Sozialhilfe dies:

"Es war nun einmal gesetzlich festgeschrieben, dass Asylbewerbern im Duldungsstatus Sozialhilfe zustand. Dass ich von dieser Regelung Gebrauch machte, war einfach nur mein gutes Recht. Ob es zu meinem Lebensstil passte, stand auf einem völlig anderen Blatt (...) Ich selbst konnte angesichts der Tatsache, dass meine Asylanträge nach nunmehr 18 Jahren ignoriert, beziehungsweise abgelehnt wurden, obwohl die deutschen Behörden wussten, dass sie mich nicht abschieben konnten, zu alledem ohne jedes schlechte Gewissen sagen: selbst schuld."

Politik hat erst kürzlich begriffen, wie gefährlich "die arabischen Großfamilien und ihre kriminellen Imperien sind

Nun hat dieser Pate, der Pate stand für den also gar nicht so fiktiven Clanchef Toni Hamadi aus der Serie "4 Blocks", seine Memoiren aufgeschrieben, und man kann nur sagen: Hier hat der Mann recht. Warum? Weil der deutsche Staat gegen jemanden mit einer derartigen Staatsverachtung und kriminellen Energie geradezu ohnmächtig ist.

Beispiel Sozialhilfe: Die oben zitierte Passage schreibt al-Zein in seinem Buch "Der Pate von Berlin: Mein Weg, meine Familie, meine Regeln" aus der Perspektive der Jahrtausendwende, er sitzt zu diesem Zeitpunkt einmal mehr in Haft. Fünf Jahre zuvor hatte er einen bemerkenswerten Auftritt in der Öffentlichkeit. Er und sein Freund, die Rotlichtgröße Steffen Jacob, feiern in einem Edel-Restaurant mit Hummern auf den Tellern und Jacob gibt vor laufender Kamera bekannt, die eigentliche Macht in Berlin, die habe nicht der Regierende Bürgermeister (Eberhard Dipegen), sondern Mahmoud al-Zein.

Das Bezirksamt streicht wenig später dem Paten die Sozialhilfe. Der aber hat eben auch Geld genug für die besten Anwälte, klagt vor dem Verwaltungsgericht und: bekommt recht. Der Sozialhilfe-Bezug für al-Zein, dessen Frau und die inzwischen neun Kinder geht weiter, zum damaligen Zeitpunkt: circa 4000 D-Mark. Pro Monat.

Die Lektüre der Verbrecher-Memoiren lohnt, wenn man parallel das hervorragend recherchierte Buch der beiden Spiegel-TV-Reporter Thomas Heise und Class Meyer-Heuer über die "Macht der Clans" liest, in dem es die al-Zeins zu einem eigenen Kapitel gebracht haben. Hauptfigur: Clanchef Mahmoud. Sie lohnt auch deshalb, weil hier ein Staatsversagen auf vielen Ebenen dokumentiert wird, nicht nur auf dem Sozialamt, sondern auch in der Justiz. Und der Polizei.

Vor allem aber in der Politik, die erst in jüngerer Zeit begriffen hat, wie gefährlich "die arabischen Großfamilien und ihre kriminellen Imperien", so der Untertitel des "Spiegel"-Buchs, sind.

Deutsche Sozialhilfe übersteigt ein Professoren-Gehalt in Beirut

Das Staatsversagen beginnt mit der Einreise al-Zeins aus dem Libanon. O-Ton Mahmoud al-Zein: "Wir kümmerten uns um Flugtickets und gingen zum Amt, um ein "Laissez-passer", einen Passierschein, für mich und meine Frau zu beantragen. Er war einen Monat lang gültig und legitimierte uns innerhalb dieses Zeitraums zur Ausreise aus dem Libanon und zur Einreise in die Deutsche Demokratische Republik, die DDR.

Was das bedeutete, war mir damals nicht klar. (...) Erst später verstand ich, dass wir für Westdeutschland überhaupt keine Visa bekommen hätten. Dass die Möglichkeit einer unkomplizierten Einreise in die DDR via Passierschein den guten Beziehungen der Sowjetländer zum Libanon geschuldet war. Dass Ostberlin damals von zahlreichen libanesischen Flüchtlingen als Nadelöhr nach Westdeutschland genutzt wurde, weil die ostdeutschen Grenzer ihren Freunden aus dem Libanon im Gegensatz zur eigenen Bevölkerung keine Probleme beim Übertritt nach Westberlin machten."

Das ist historisch korrekt, wobei: Mahmoud al-Zein war gar kein Flüchtling. Weil er ein Schläger war und schon als Jugendlicher israelischen Jets aus dem Slums von Beirut aus mit dem Maschinengewehr hinterher schoss, schickte ihn seine Familie auf eine Reise nach Deutschland. Folgerichtig wird al-Zeins Asylantrag abgelehnt. Abgeschoben wird er allerdings nicht, denn der Libanon ist Bürgerkriegsland. Al-Zein wird zur Ausreise bloß aufgefordert, aber er bleibt. Kunststück: Die deutsche Sozialhilfe übersteigt ein Professoren-Gehalt in Beirut.

Bereits im Libanon war er Gewalt-Jugendlicher

Aber al-Zein ist nicht nur kein Flüchtling, er war ausweislich der Ermittlungen des Berliner Landeskriminalamts nicht einmal Libanese. Sondern Türke. Dessen Name nicht al- Zein sei, sondern: Uca. Das südanatolische, in der Provinz Mardin gelegene Dorf, aus dem er stammen soll, heißt Ückavak, und von dort, so schreiben es Heise und Meyer-Heuer, stammten "die meisten arabischen Clans in Deutschland". Al-Zeins offenbar türkische Herkunft führt zu politischen Verwicklungen. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily versucht in einem Telefonat mit seinem türkischen Innenministerkollegen, al-Zein loszuwerden. Er scheitert.

Die Türkei will al-Zein nicht wieder haben. Sie hat ihn rechtzeitig ausgebürgert. Jetzt kann er aus Deutschland nicht mehr abgeschoben werden, weder in die Türkei noch in den Libanon, obwohl er längst ein Schwerkrimineller geworden ist. Einer, der nie in Deutschland integrieren wollte. Was nicht verwundert - die Mhallamis, so heißt die Sippe, aus der der al-Zein-Clan stammt, haben sich noch nie integriert - weder in der Türkei, noch im Libanon, und schon gar nicht in Deutschland. Sie leben seit Jahrhunderten nach ihren eigenen Regeln. Der Staat, den sie ausbeuten, ist ihnen herzlich egal, und ohnehin ist es die Polizei.

Al-Zein ist schon im Libanon ein Gewalt-Jugendlicher, deshalb schickt ihn seine Familie nach Deutschland. Sein Onkel empfiehlt ihm eine Ausbildung. "Aber ich langweilte mich wie verrückt", schreibt al-Zein - und entscheidet sich für die Straße. Und zwar den Teil, der im Schatten liegt. Dort ist Skrupellosigkeit und Gewaltbereitschaft die Währung, auf diese Weise erwirbt man dort Autorität. Al-Zeins arabische Gangs verwickeln sich in mit äußerster Brutalität ausgetragene Revierkämpfe mit immer neuen Einwanderern: so genannten Hütchenspielern aus Albanien, sodann mit "der neuen Generation kurdischer Flüchtlinge" aus dem Irak und der Türkei, die sich mit den jungen Albanern gegen die "alteingesesssenen" Araber al-Zeins verbünden.

"Pflanzte Obst an, besorgte Hühner und Hasen. Damit war ich zufrieden"

Längst ist hier eine gewaltbereite Parallelgesellschaft aus aggressiven Integrationsverweigerern entstanden, gegen die der deutsche Staat, insbesondere der Berliner Senat, bestenfalls "bedingt abwehrbereit" ist. Die deutsche Justiz hat bei der Regelung von Konflikten, folgt man al-Zein und zahlreichen Ermittlern, noch nie eine Rolle gespielt. Das machen die Clanchefs unter sich aus. "Friedensstifter", wie al-Zein sich sieht. Maßstab ist die "Ehre", deren Verletzung gesühnt werden muss, ob mit Blut oder Geld, also Blutgeld. Die migrantische Unterwelt in Deutschland lebt so, wie sie es in den straßen-kriegerischen Gesellschaften in Albanien, dem Irak, in Syrien oder dem Libanon gelernt hat. "Ich machte es wie in Beirut", schreibt al-Zein auf Seite 50.

Zwischen 10.000 und 20.000 Clan-Mitglieder leben in Deutschland. So genau weiß keine Behörde das. Rund die Hälfte der Nachfahren der ungesteuerten, wilden Einwanderung hat heute einen deutschen Pass. Auch die Frage, wie kriminell die Clans sind, lässt sich nicht genau beantworten. Insider-Berichte sprechen von 80 Prozent, manche von 20 Prozent. Tatsächlich leben viele Clan-Mitglieder ein normales Leben. Zu den Regeln der Clans gehört, unter sich zu bleiben. Und, dieses Unter-sich-bleiben als Unter-sich-bleiben müssen darzustellen, weil die deutsche Mehrheitsgesellschaft sie nicht akzeptiere. Der Opfer-Mythos ist fester Bestandteil der Clan-Erzählung.

Männer werden gern mit der Cousine verheiratet. So wie Mahmoud al-Zein, der heute in Duisburg lebt, obwohl er nach eigener Auskunft offiziell in Berlin gemeldet ist. Sein Dasein dort beschreibt er so: "Im Baumarkt kaufte ich Erde, Schaufel, Harke, Setzlinge, pflanzte Obst an, besorgte Hühner und Hasen, bestellte meinen eigenen Garten. Damit war ich zufrieden." Den Mitgliedern seiner Familie rät er: "Schlagt nicht den gleichen Weg ein wie ich, denn das macht euch kaputt." Warum eigentlich? Mahmoud Al-Zein hat es schließlich zu etwas gebracht.


Quelle: focus.de vom 13.11.2020