Von Stefan Beutelsbacher
EU-Korrespondent in Brüssel
Veröffentlicht am 05.06.2024 | Lesedauer: 4 Minuten
Montage: Infografik WELT
Der französische Präsident bekam viel Applaus. Es lebe die Freundschaft mit Deutschland, es lebe Europa, rief Emmanuel Macron seinem Publikum vor der Frauenkirche in Dresden vor einigen Tagen zu. Doch seine 40 Minuten lange Rede enthielt, versteckt zwischen vielen schönen Sätzen, auch eine heikle Forderung.
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Man solle den europäischen Haushalt verdoppeln, meinte Macron. Und über gemeinsame Schulden nachdenken. Nur so könne die EU das Wettrennen mit Amerika und China um die Technologien der Zukunft wie künstliche Intelligenz gewinnen.
In der Bundesregierung dürfte der Vorschlag nicht gut angekommen sein. Sie betrachtet Eurobonds als Tabu. Zudem, sagen Kritiker, sei das Brüsseler Budget schon jetzt groß. WELT gibt einen Überblick über die Finanzströme in der EU - und über neue Herausforderungen.
Mehr denn je. Der aktuelle EU-Haushalt umfasst 2,07 Billionen Euro und gilt für die Zeit von 2021 bis 2027. Größter Posten ist mit knapp 430 Milliarden Euro der Kohäsionsfonds für ärmere Regionen. Dicht dahinter folgen Agrarsubventionen. Die meisten davon erhalten Bauern in Frankreich.
Auch der sogenannte Wiederaufbaufonds ist Teil des Budgets, deshalb ist es so riesig. Mit mehr als 800 Milliarden Euro will Brüssel die Folgen der Pandemie lindern, die Energiewende vorantreiben und die Digitalisierung beschleunigen.
Für den - zunächst einmaligen - Topf verschuldete sich die EU erstmals in großem Umfang. Er besteht ungefähr zur Hälfte aus Zuschüssen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, und zur Hälfte aus Krediten.
Doch es gibt ein Problem. Manche EU-Staaten stecken die Mittel in fragwürdige Projekte. In Italien wollten Bürgermeister damit Pferderennbahnen, Golfplätze und Schinkenmuseen bauen.
Florenz und Venedig träumten sogar von der Renovierung ihrer Fußballstadien. Und viele Regierungen rufen die Gelder gar nicht ab. Bis Ende des vergangenen Jahres nutzte jedes Land im Durchschnitt nur 23 Prozent der Zuschüsse. Und Kredite beantragten gerade einmal sieben Staaten.
Schließlich bringe zum Beispiel auch der Binnenmarkt viele Vorteile. Zur Wahrheit gehört auch: Man will Ländern, die mehr einzahlen, als sie bekommen, keinen Anlass zum Brüssel-Bashing geben.
Aber eine Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft gibt Aufschluss über die Finanzströme. Deutschland ist demnach der größte Zahler. Im Jahr 2022 - neuere Daten liegen noch nicht vor - betrug der Nettobeitrag 19,7 Milliarden Euro. Auf die Bundesrepublik folgten Frankreich mit rund zehn und Italien mit knapp vier Milliarden Euro.
Der größte Nettoempfänger war Polen. Das Land bekam fast zwölf Milliarden Euro mehr aus dem EU-Haushalt, als es einzahlte. Dahinter lagen Rumänien und Ungarn mit 5,6 und 4,4 Milliarden Euro.
Was würde eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine für den Haushalt bedeuten?
Viele Brüsseler Politiker stellen dem Land einen schnellen Beitritt in Aussicht - und reden wenig übers Geld. Einer Berechnung der estnischen Denkfabrik International Centre for Defence and Security zufolge bekäme die Ukraine, würde sie heute Mitglied, jedes Jahr rund 19 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt.
Ungefähr die Hälfte der 19 Milliarden Euro, die Jahr für Jahr an die Ukraine flössen, wären Agrarsubventionen. Das Land überträfe damit Frankreich. Aus dem Kohäsionsfonds dürfte die Ukraine neun Milliarden Euro erhalten.
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Beide Bereiche, Agrar und Kohäsion, heißt es in Brüssel, müssten im Fall eines Beitritts reformiert werden. Die Grünen zum Beispiel halten Direktzahlungen an Bauern je Hektar Ackerland für nicht mehr zeitgemäß. Sie wollen lieber jene Landwirte zu belohnen, die besonders stark auf Tierwohl und Klimaschutz achten.
Keine Chance. Die meisten Regierungen wollen nicht mehr Geld als bisher nach Brüssel schicken. Mit einer Aufstockung des europäischen Etats kann daheim kein Politiker punkten, im Gegenteil. Zudem ist die Haushaltslage in vielen Staaten schon jetzt angespannt.
Viele EU-Mitglieder, darunter Deutschland, Frankreich, Schweden, Finnland, Österreich und die Niederlande, sprachen sich in der Vergangenheit vehement gegen Budgeterhöhungen aus. Es ist schwer vorstellbar, dass sie ihre Meinung in naher Zukunft ändern - und Macron seine Verdopplung bekommt.