Veröffentlicht am 23.12.2022 | Lesedauer: 5 Minuten
Von Diana Pieper
Redakteurin Innenpolitik
Quelle: Bezirksamt Neukölln/berlin.de//Gunnar M. Bernskötter, picture alliance/Geisler-Fotopress/Ben Kriemann;
Montage: Infografik WELT
Rund 30 Polizisten und Zollbeamte kontrollieren Anfang Dezember ein Restaurant im Berliner Bezirk Neukölln. Die Beamten nehmen eine Strafanzeige und Ordnungswidrigkeiten auf. Allein: Das Ordnungsamt ist nicht dabei. Seine Leiterin, Bezirksstadträtin Sarah Nagel (Linke), hat ihren Mitarbeitern die Kooperation untersagt - offiziell wegen möglicher rechtsstaatlicher Probleme.
Die sogenannten Verbundseinsätze, bei denen die Polizei gemeinsam mit Ordnungsamt, Zoll und Steuerfahndung Gewerbekontrollen durchführt, sollen sich gezielt gegen die organisierte Kriminalität richten. Die Linke-Politikerin Nagel sieht in ihnen jedoch auch ein Instrument rassistischer Stigmatisierung, weswegen nun der Vorwurf einer politisch motivierten Entscheidung im Raum steht.
Parteiübergreifend wurde nach Bekanntwerden des Vorgehens Nagels der Ruf nach Konsequenzen laut. Die FDP sieht gar ein "Sicherheitsrisiko für den Bezirk und das Land Berlin" und stellte in der vorigen Woche in der Bezirksverordnetenversammlung einen Dringlichkeitsantrag, um eine mögliche Abwahl auf die Tagesordnung zu setzen. Doch obwohl dieser knapp die Mehrheit verfehlte, stellt sich die Frage, wie lange die Linke-Politikerin ihren Kurs noch durchziehen kann - und vor welche Probleme sie den Bezirk damit stellt.
Quelle: Martin U. K. Lengemann
"Durch solche Entscheidungen werden konkrete Tatbestände nicht kontrolliert", kritisiert Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) gegenüber WELT. Hinter den Verbundseinsätzen, auch "Strategie der tausend Nadelstiche" genannt, steht die Idee, auch kleinste Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen - "um den Druck hochzuhalten", wie es heißt.
Durchschnittlich alle zwei Wochen findet ein solcher Einsatz in Neukölln statt. Hikel betont: "Grundsätzlich arbeitet der absolute Großteil der Gewerbetreibenden in Neukölln hart und ehrlich." Doch nur, wenn die schwarzen Schafe identifiziert würden, könne die große Mehrheit in Ruhe ihrem Geschäft nachgehen, ohne unter Generalverdacht gestellt zu werden.
Die Gefahr eines solchen Generalverdachts scheint indes die Stadträtin Nagel zu vermuten. Zwar betont sie gegenüber WELT, dass die Diskussion über strukturelle Diskriminierung bei ihrer Entscheidung keine Rolle gespielt habe. Eine Kooperation bei dem Einsatz in dem Restaurant habe sie untersagt, "da eine Vermischung der Gewerbeüberwachung mit anderen Zielen wie der polizeilichen Informationsgewinnung nicht ausgeschlossen werden konnte".
Ob ihre kritische Grundhaltung gegenüber den Einsätzen bei ihrer Entscheidung nachrangig waren, ist jedoch fraglich. Schon vor ihrer Wahl kündigte Nagel an, sogenannte Clan-Razzien beenden zu wollen. "Wir fordern schon lange, die stigmatisierenden Razzien in Shisha-Bars und Spätis zu beenden", teilte Nagel etwa im Herbst 2021 mit. Die Stadträtin behält sich daher nun vor, eine Beteiligung des Ordnungsamts im Einzelfall zu untersagen - selbst wenn der Bezirk die Polizei selbst um Amtshilfe ersucht, wie zuletzt bei der Kontrolle des Restaurants. Nach Angaben der Polizei fand der Einsatz statt, nachdem Mitarbeiter der Gaststätte dem Ordnungsamt bei einer vorhergehenden Kontrolle den Zugang verwehrt hatten.
Die Linke findet es "stigmatisierend", wenn Shisha-Bars durchsucht werden. Neuköllns Ordnungsstadträtin Sarah Nagel (Linke) untersagte nun einen Einsatz in einem hochpreisigen Restaurant. "Auf kommunaler Ebene wird ein Durchgriff gegen die Organisierte Kriminalität vereitelt", sagt Gunnar Schupelius.
Quelle: WELT
Während der Kontrolle seien über die angrenzende Tiefgarage Personen in den benachbarten Park geflüchtet. Weiteren Hinweisen zufolge soll der Bereich der Tiefgarage für illegales Glücksspiel genutzt werden.
Unter ihren eigenen Mitarbeitern kommt Nagels Entscheidung offenbar schlecht an, wie Aussagen eines Mitglieds der Bezirksverwaltung nahelegen, das anonym bleiben will. Glaubt man seinen Schilderungen, herrscht unter den Mitarbeitern Unverständnis. "Nagels Verhalten wird mehrheitlich kritisch gesehen. Die Stimmung ist schlecht."
Auf Parteilinie ist Nagel mit ihrer Linie dagegen durchaus: Die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus kündigte vergangene Woche an, sich in der Regierungskoalition dafür einsetzen zu wollen, die Gewerbeüberwachung im Land Berlin grundlegend umzugestalten, um sie wieder "effektiv, breitenwirksam und diskriminierungsfrei" zu organisieren. Dafür müsse die Gewerbeüberwachung aus der Zuständigkeit der Polizei ausgegliedert und in die Zuständigkeit der Senatsverwaltung für Wirtschaft überführt werden, heißt es in dem Beschluss.
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Dem Ordnungsamt zu untersagen, nicht mehr an den Einsätzen teilzunehmen, sieht man im Bezirksrathaus kritisch. "Die Teilnahme des Ordnungsamtes an Verbundseinsätzen war und ist nicht rechtswidrig", sagt Hikel. Auch gegen den Vorwurf vonseiten der Linken, es handle sich bei den Gewerbekontrollen um eine rassistische Praxis, verwehrt sich Hikel. "Dieser Rassismusvorwurf ist unsinnig. Dahinter steckt eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Polizei und anderer Ordnungsbehörden, die ich absolut nicht teile."
Der CDU-Kreisvorsitzende Falko Liecke sieht vor allem politische Gründe für Nagels Entscheidung: "Wenn das Bezirksamt Neukölln als Ordnungsbehörde seine Aufgaben in konkreten Einzelfällen nicht mehr wahrnimmt, weil es politische Vorbehalte gibt, ist das ein großes Problem für die Arbeitsfähigkeit des Ordnungsamtes", sagte Liecke WELT. "Ohne den Ermittlungen vorzugreifen: Wenn sich die Täter aus dem Clan-Milieu dank politischer Schützenhilfe sicher fühlen können, ist das in jedem Fall ein Sicherheitsrisiko."
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Vergleichbare Äußerungen und Forderungen nach einem harten Durchgreifen der Sicherheitsbehörden müssen auch unter dem Eindruck der im Februar in Berlin anstehenden Wahlwiederholung interpretiert werden. Dass sich die CDU bei der Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag in der vergangenen Woche enthielt, wurde gemeinhin als Wahlkampfmanöver verstanden, um das Thema im neuen Jahr weiter bespielen zu können.
SPD, Grüne und FDP hatten dem Antrag zugestimmt, die Linke votierte dagegen. Über eine Abwahl wird nun voraussichtlich im März entschieden. "Die CDU ist zur Abwahl der Stadträtin bereit, sollten sich die Hinweise auf eine politisch motivierte Einflussnahme bestätigen", sagt Liecke.
Spannend wird aber vor allem sein, wie sich die Grünen entscheiden. Dem Dringlichkeitsantrag hatten sie zugestimmt, jedoch vorrangig, damit das Thema vor der Wahl "abgeräumt ist", wie eine Sprecherin WELT mitteilte. Die Fraktion fordert von Stadträtin Nagel einen "Kriterienkatalog, welcher als Grundlage für notwendige, auf der Basis von Verdachtsmomenten angezeigte und damit diskriminierungsfreie Kontrollen dienen soll".
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Wie Verbundseinsätze künftig auch unter Beteiligung des Ordnungsamtes aussehen könnten, lässt Nagel jedoch offen: "Das ist derzeit in der internen Diskussion." Eine generelle Absage an eine Beteiligung spricht sie nicht aus - ob das Ordnungsamt sich an künftigen Verbundseinsätzen beteiligen wird, werde auch zukünftig im Einzelfall entschieden.
Aus Kreisen des Bezirksamtes heißt es jedoch, dass ein weiterer noch in diesem Jahr geplanter Einsatz ebenfalls ohne Ordnungsamt stattfinden werde. Die derzeit wahrscheinlichste Lösung: Eine vom Kollegium ausgearbeitete direkte Weisung aus dem Bezirksamt an das Ordnungsamt. Es käme einer faktischen Entmachtung Nagels gleich - auch ohne Abwahl.