Berliner Bezirk Pankow Wurde ein Linker mit AfD-Stimmen zum Bürgermeister gewählt?

Von Timo Lehmann

05.11.2021, 17.51 Uhr

Im Berliner Bezirk Pankow ließ sich der Linkenpolitiker Sören Benn zum Bürgermeister wählen - womöglich mit Stimmen der AfD. Benn weist das zurück, doch die Grünen sind empört und fordern seinen Rücktritt.

Als gegen halb acht am Abend das Wahlergebnis bekannt gegeben wird, gibt es Applaus für Sören Benn. Von 55 abgegebenen Stimmen entfallen 29 auf den alten und neuen Bürgermeister des Berliner Bezirks Pankow, 24 Neinstimmen und zwei Enthaltungen werden gezählt. "Damit ist Herr Benn zum Bezirksbürgermeister gewählt", sagt der Sitzungsleiter. Besonders laut, so berichten es Anwesende später, klatschen in diesem Moment die Bezirksverordneten der AfD. Was bemerkenswert ist - denn Sören Benn ist ein Linker.

Sören Benn: "Es gab Absprachen"
Foto: Christoph Soeder / picture alliance/dpa

Was im Saal der Bezirksverordnungsversammlung im Bürgeramt Pankow am Donnerstagabend geschehen ist, nennen nun vor allem die Grünen einen Skandal, aus ihrer Sicht gar vergleichbar mit der Wahl Thomas Kemmerichs in Thüringen zum Ministerpräsidenten. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach haben die AfD-Vertreter für Benn gestimmt und ihm damit ins Amt verholfen.

Hat sich hier ausgerechnet ein Linkenpolitiker mit den Rechtspopulisten verbündet, um sich den eigenen Posten zu sichern?

Die Lage ist kompliziert. Der 53-jährige Benn ist seit 2016 Bürgermeister des Bezirks Berlin-Pankow, in dem 400.000 Menschen leben. Als solcher hat sich der frühere Sozialarbeiter stets klar gegen die AfD positioniert. Bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung, die zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfand, hat die Linke in Pankow jedoch massiv Stimmen verloren. Stärkste Fraktion in dem Kommunalparlament sind nun die Grünen mit 16 Vertretern, die Linke landete auf Platz zwei mit zwölf Stimmen.

Früher war es üblich, dass die stärkste Fraktion auch den Bürgermeister im Bezirk stellt. Dies war sogar gesetzlich festgelegt, bis man die Regel Ende der Neunzigerjahre kippte - um Bezirksbürgermeister der PDS zu verhindern, die im Osten Berlins besonders stark war. Nun nutzte ausgerechnet die Linke in Pankow erstmals die neue Regelung.

In den letzten Wochen hatten die Grünen vergebens versucht, ein Bündnis zu schmieden, um eine Bürgermeisterin aus ihren Reihen, also der stärksten Fraktion zu wählen. So sprachen die Grünen sowohl mit FDP und CDU als auch mit SPD und Linken. Doch man kam nicht zusammen, weshalb die Grünen die Wahl verschieben wollten.

SPD und Linke hakten sich jedoch unter und lehnten eine Verschiebung des Wahltermins ab. Beide kommen zusammen aber nur auf 23 Stimmen in der Bezirksverordnetenversammlung, was nicht für die Mehrheit reicht. Am Ende stimmten 29 Verordnete für Benn, sechs mehr also als die rot-rote Zählgemeinschaft. Woher kamen diese sechs Stimmen, wenn die Grünen, die ja ihrerseits den Bürgermeisterposten beanspruchten, als Unterstützer Benns ausfielen?

Es gibt zwei Szenarien, wie die geheime Wahl abgelaufen sein könnte:

  1. AfD und FDP verhalfen Benn ins Amt. Die AfD stellt fünf Verordnete, die FDP drei. Von diesen acht könnten sich zwei enthalten und sechs für Benn gestimmt haben. Daniel Krüger, AfD-Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung, behauptete gegenüber dem SPIEGEL: "Wir wollen für Kontinuität sorgen und diverse Wahlgänge verhindern, deshalb stimmten wir für Benn." Darauf habe man sich als Fraktion vor der Wahl verständigt, eine Absprache mit den Linken habe es aber nicht gegeben. Natürlich teile man politisch viele Ansichten der Linken nicht, doch halte man auch nichts von einem Grünenpolitiker an der Amtsspitze.
  2. Die Linke verbreitet dagegen diese Version: Die CDU stimmte für Benn, will es aber nicht zugeben, weil es in der Bundespartei einen Unvereinbarkeitsbeschluss gibt und eine Zusammenarbeit mit den Linken untersagt ist. Die CDU-Fraktion hat acht Verordnete, was bei zwei Enthaltungen und sechs Ja-Stimmen passen würde. Die AfD dagegen behaupte nur, für Benn gestimmt zu haben, weil sie nach der Wahl erkannt habe, dass sie der Linken so schaden könne.

Die FDP will mit der Wahl Benns nichts zu tun haben. "Von uns kamen keine Stimmen für Benn", sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Thomas Enge der "Berliner Zeitung". Die CDU wiederum dementiert die zweite Version. "Ich unterstütze keinen linken Kandidaten", sagte der CDU-Verordnete David Paul dem SPIEGEL.

Die Pankower CDU-Fraktionschefin Denise Bittner hatte schon vor der Wahl klargestellt, dass die Christdemokraten nicht für Benn stimmen würden. Nun sagte Bittner dem "Tagesspiegel", dass sie keinen Kommentar zum Abstimmungsverhalten mehr abgeben wolle. Sie sei "irritiert davon", dass sich die FDP so klar zu ihrem Wahlverhalten geäußert habe. "Die Debatte, die wir jetzt haben, wertet die wenigen AfD-Stimmen enorm auf. Wir werden uns am durchschaubaren Spiel dieser Partei nicht beteiligen."

Die Linken-Bundesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, die mit ihrem Blumenwurf nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich im Thüringer Landtag bundesweit bekannt wurde, schrieb auf Twitter: "Wer die Wahl von Sören Benn mit Thüringen und Kemmerich vergleichen will, sollte erkennen, dass die AfD linke Politiker:innen verhindern will, aber sie nicht wählt."

Ohnehin ist die Wahl Benns nur bedingt mit der Kemmerich-Wahl vergleichbar. Kemmerich war bei seiner Wahl zum Thüringer Regierungschef auf die Stimmen der Rechten angewiesen. In Pankow hatte die AfD nicht die Macht zu entscheiden. Auch ohne ihr Zutun wäre Benn nun wohl im Amt.

Denn grundsätzlich reichen mehr Ja- als Neinstimmen für die Wahl zum Bezirksbürgermeister aus. In einem weiteren Wahlgang hätte Benn also auch ohne Stimmen der AfD ins Amt gewählt werden können, wenn sich Verordnete anderer, demokratischer Fraktionen enthalten hätten. Genau das hatten die CDU-Vertreter erkennen lassen, ohne es offen zu sagen. Man wolle keine Blockade, hieß es aus der Fraktion.

Susanne Hennig-Wellsow warf Thomas Kemmerich Blumen vor die Füße
Foto: Martin Schutt/ dpa

Dennoch: Linke und SPD in Pankow ließen es zu, dass Benn womöglich mit Stimmen der AfD gewählt wird, was nun wohl als Makel am Bürgermeister kleben wird.

Benn selbst sagte dagegen dem SPIEGEL: "Ich bin mit einer nötigen Mehrheit in diese Wahl gegangen. Wie sich diese zusammensetzt, werde ich nicht sagen, weil es da Absprachen gab." Er habe jedenfalls nichts mit der AfD zu tun. "Wenn mich die AfD gewählt haben sollte, haben sie einen überzeugten Antifaschisten gewählt, der sie weiterhin bekämpfen wird", so Benn. Auf Twitter schrieb Benn: "Wer Nazis glaubt, glaubt Nazis. Macht mal alle. Ist ja ne geile Story."

Die Berliner Grünen geben vorerst aber keine Ruhe - und fordern sogar Benns Rücktritt: "Dass Sören Benn es hat darauf ankommen lassen, dass es die Stimmen der AfD gewesen sein könnten, die ihn zum Bürgermeister gemacht haben, stellt einen Dammbruch dar", sagte Landeschefin Nina Stahr. "Es ist nun seine Aufgabe, durch seinen Rücktritt bei der Reparatur des Damms zu helfen, und zwar schnellstmöglich."

Die Grüne Jugend hat für Freitagabend zu einer Demonstration vor dem Rathaus in Pankow aufgerufen - Motto: "Sören Benn muss zurücktreten!"


Quelle: spiegel.de