Bei Täuschung ist der Flüchtlingsstatus weg

Von Marcel Leubecher
Politikredakteur

Stand: 03.02.2020 | Lesedauer: 4 Minuten

Es liegt überwiegend an Fehlverhalten und nicht am Wegfall der Fluchtgründe, wenn Flüchtlinge ihren Schutztitel verlieren. 2019 kam das 5610 mal vor. Die Gründe sind zum Beispiel Straftaten, falsche Identitäten oder "Reisen zu Urlaubszwecken". Wennn Flüchtlinge ihren Schutztitel verlieren, liegt das überwiegend nicht am Wegfall der Schutzgründe in ihren Herkunftsstaaten, sondern an eigenem Fehlverhalten. Die Gründe sind etwa Straftaten, falsche Identitäten oder "Reisen zu Urlaubszwecken".
Quelle: WELT / Laura Fritsch

Wenn Flüchtlinge ihren Schutztitel verlieren, liegt das überwiegend nicht am Wegfall der Schutzgründe in ihren Herkunftsstaaten, sondern an eigenem Fehlverhalten. Im vergangenen Jahr hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) rund 170.000 anerkannte Asylbewerber geprüft, in 5610 Fällen - das sind etwa drei Prozent - wurde der jeweilige Schutztitel entzogen.

Wie das Bundesamt WELT mitteilte, habe der "überwiegende Teil der Aufhebung von Schutzentscheidungen" Personen betroffen, "bei denen individuelle Umstände die Aufrechterhaltung des asylrechtlichen Schutzes nicht mehr rechtfertigen". Bei der Mehrheit dieser 5610 ehemaligen Flüchtlinge, deren Titel entzogen wurde, habe das Amt "entsprechende Hinweise, insbesondere von den Ausländer- und Sicherheitsbehörden" erhalten.

Als Gründe für die Aberkennung nennt das BAMF "Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit, Fortzug ins Herkunftsland, Begehung von Straftaten oder auch sicherheitsrelevante Erkenntnisse anderer Behörden". Die Behörde könne keine "detaillierte Aufschlüsselung, aus welchem Grund eine Aufhebung der Schutzentscheidung erfolgte", erstellen, weil die Gründe, "die zu einem Widerruf geführt haben, individuell unterschiedlich und damit nicht auf eine statistische Komponente reduzieren" seien.

Die wichtigsten Herkunftsstaaten unter den 5610 Fällen, in denen ein Schutztitel entzogen wurde, waren laut BAMF Syrien, Irak, Afghanistan und Eritrea. Das ist wenig überraschend, denn aus diesen Ländern bekamen besonders viele Asylbewerber in den vergangenen Jahren einen Schutztitel.

Allerdings bedeutet der Verlust des Schutztitels nicht, dass der betreffende Ausländer auch abgeschoben wird. Bei diesen "Ex-Flüchtlingen" bestehen dieselben rechtlichen Hürden wie bei den vielen Asylbewerbern, die nie einen Schutztitel erhalten haben, aber trotz Ablehnung noch im Land leben.

So leben rund 50.000 Ausreisepflichtige Iraker, Afghanen und Eritreer im Land, es gab aber im vergangenen Jahr laut offiziellen Regierungsangaben nur 361 Abschiebungen nach Afghanistan - und laut WELT vorliegenden internen Listen der Bundespolizei von Januar bis Ende November nur 29 in den Irak und zwei nach Eritrea. Nach Syrien wurde niemand abgeschoben, für das Bürgerkriegsland hat die Bundesregierung einen vollständigen Abschiebestopp verhängt, selbst für Schwerkriminelle.

Jene 5610 "Ex-Flüchtlinge" werden auch nicht immer als ausreisepflichtig geführt. Sie tauchen dann in der Zahl der aktuell rund 250.000 Ausreisepflichtigen in Deutschland nicht auf. So wird zum Beispiel syrischen Flüchtlingen, denen wegen Heimaturlauben oder anderer Gründe der Schutztitel aberkannt wurde, routinemäßig ein Abschiebeverbot erteilt.

Bei einem Abschiebeverbot handelt es sich um einen Schutzstatus für jene Asylbewerber, die zwar weder Asyl, Flüchtlings- noch Subsidiärschutz erhalten, die aber bei einer Rückkehr einer konkreten Gefahr ausgesetzt wären. Meist erhalten ihn Schwerkranke oder andere Härtefälle. Wer dieses Abschiebungsverbot erhält, zählt in der offiziellen BAMF-Statistik als schutzberechtigt. In der Schutzquote von 38 Prozent aller Asylanträge, über die 2019 entschieden wurde, entfielen drei Prozent auf dieses Abschiebeverbot.

Was ist "Urlaub" - und was "sittliche Verpflichtung"?

Eine bloße Reise ins Herkunftsland führt übrigens in Deutschland nicht unbedingt zum Entzug des Schutztitels, es ist entscheidend, aus welchen Gründen ein Flüchtling heimkehrt. Laut BAMF "geht das Bundesamt im Einklang mit der Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass eine kurze Rückreise zur Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung, wie Teilnahme an einer Beerdigung, Besuch eines schwerkranken Familienangehörigen, kein Grund für einen Widerruf ist". Schon im Herbst hatte die Behörde WELT mitgeteilt, dass lediglich "Reisen zu Urlaubszwecken" oder andere "langfristige Aufenthalte im Herkunftsland regelmäßig" zum Ende des Schutzstatus führten. Welche Kriterien erfüllt sein müssen, dass das BAMF keine "sittliche Verpflichtung", sondern einen "Urlaub" hinter der Heimreise annimmt, und wie lange eine Heimreise sein muss, damit sie als "langfristig" gilt, ist bisher nicht nach außen gedrungen.

Die Widerrufsprüfungen sind deswegen von entscheidender migrationspolitischer Bedeutung, weil das deutsche Asylsystem grundsätzlich nur befristet Schutz gewährt - bis der jeweilige Fluchtgrund weggefallen ist oder sich herausstellt, dass er zu Unrecht vergeben wurde. Allerdings gibt es hier einen Zielkonflikt mit den Rechtsansprüchen auf Integration: Denn das BAMF hat in der Regel nur drei Jahre Zeit, den Fortbestand des Fluchtgrundes zu prüfen und gegebenenfalls den Schutztitel wieder zu entziehen.

Geschieht dies nicht, können Flüchtlinge drei bis fünf Jahre nach der Anerkennung ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten. Wegen dieser Gesetzeslage entscheidet sich - zugespitzt formuliert - mit den Widerrufsprüfungen, ob aus den Hunderttausenden Flüchtlingen der Jahre um 2015 herum Einwanderer werden. Wegen der extrem geringen Widerrufsquoten von drei Prozent im Jahr 2019 und sogar nur etwas mehr als ein Prozent im Jahr zuvor deutete alles auf letztere Variante hin.


Quelle: welt.de vom 03.02.2020