Von Rudolf Augstein
03.11.2023, 18.48 Uhr
Foto: Monika Zucht / DER SPIEGEL
Dieser Kommentar erschien in der SPIEGEL-Ausgabe 35/2002.
Reichlich schizophren, was da jetzt in Washington abläuft: George W. Bush versucht die Welt zu besänftigen, indem er verkündet, ein Angriff auf den Irak stünde nicht unmittelbar bevor. Und dann fügt er in immer gleich lautenden Formulierungen hinzu, ein "Regimewechsel" in Bagdad sei unabdingbar. Ja, wie denn - durch Überredungskunst? Oder glaubt der Mann im Weißen Haus, dass sich Saddam Hussein freiwillig die Kugel gibt, wie es dessen Gast Abu Nidal gerade (nach ausgiebigem Verhör durch den irakischen Geheimdienst) getan haben soll?
Wenn es kein Mossad- oder CIA-Agent schafft, Saddam auszulöschen, wird schon geballte militärische Gewalt vonnöten sein. Das stellt die Frage nach der Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens - und ob wir Deutschen uns daran beteiligen sollen. Es wird das Geheimnis der CDU-Opposition bleiben, warum darüber jetzt nicht diskutiert werden sollte. Es muss sogar. Der Ex-Nato-Oberbefehlshaber in Europa, Wesley Clark, schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass Bush im nächsten Jahr den Irak angreift, immerhin "auf 70 Prozent".
Es wäre ein Präventivschlag - völkerrechtlich zu bewerten als "ein verbotener Angriffskrieg und damit ein internationales Verbrechen", wie der Geschichtsprofessor Jörg Fisch von der Universität Zürich in der "Weltwoche" schreibt. Bismarck, gewiss kein Pazifist, hat zeitlebens Präventivkriege entschieden abgelehnt.
Henry Kissinger, weiß Gott auch keiner, der zu allen Zeiten Frieden um jeden Preis befürwortet hat, schreibt: "Die Ablösung einer fremden Regierung zum Gegenstand militärischer Drohungen und möglicher Interventionen zu machen stellt das gesamte System des Westfälischen Friedens von 1648 in Frage, dessen Grundlage die Nichteinmischung fremder Mächte in die internen Angelegenheiten souveräner Staaten ist."
Nur eine Form des Krieges ist Einzelstaaten erlaubt: die Selbstverteidigung gegen eine tatsächliche Bedrohung. Bedroht Bagdad die USA?
Ginge es darum, das Zentrum der Qaida-Organisation anzugreifen, müsste Bush in Pakistan einmarschieren. Wäre das Land mit der aggressivsten fundamentalistischen Religionsdoktrin das Ziel-Land, sollte Bush Saudi-Arabien attackieren. Wäre daran gedacht, eine tatsächliche Atommacht im Nahen Osten auszuschalten, käme als einziger Staat Israel in Frage (vielleicht noch Iran, das jedenfalls näher an der Produktion von Nuklearwaffen ist als der Irak).
So unvollkommen die Zerstörung aller Waffen durch die Uno-Inspektoren nach dem Kuweit-Krieg gewesen sein mag, Bagdad kann Europa, schon gleich gar nicht die USA derzeit ernsthaft bedrohen.
Die amerikanische Regierung weiß das. Ihr geht es wohl - neben persönlicher Rache an dem Mann, der Washington so gern demütigt und provoziert - auch um den langfristigen Zugriff auf das Erdöl in der Region. Das macht Hilfskonstruktionen für den geplanten Angriff nötig: Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat Kontakte des Qaida-Netzes zum Irak ausgemacht.
Allerdings will ihm bei einem solchen Bedrohungsszenario nicht einmal die CIA so recht beispringen. Mehrmals schon winkte der Geheimdienst ab. Die Hinweise für hochrangige Treffen von Irakern und Bin-Laden-Leuten seien dünn, eine Mittäterschaft an den Ereignissen des 11. September so gut wie auszuschließen. Wenn das aber so ist, kann Bagdad nur nach einem förmlichen Uno-Beschluss der Weltstaatengemeinschaft angegriffen werden - Washington scheut diesen Antrag, weil dafür aller Voraussicht nach keine Mehrheit zu bekommen wäre.
In den USA, immer noch eine Demokratie, haben sich zahlreiche bedeutende Politiker - und Militärs - gegen einen Angriffskrieg ausgesprochen, die Begeisterung der Öffentlichkeit für einen schnellen (und womöglich alleinigen, mithin sehr kostspieligen) Waffengang schwindet.
In keinem europäischen Staat gibt es derzeit auch nur annähernd eine Mehrheit für einen Krieg gegen den Irak; auch Großbritannien, der traditionell engste Militär-Verbündete Washingtons, sieht Bushs Pläne zunehmend skeptisch.
Bundeskanzler Schröder hat betont, Deutschland werde keine militärischen "Abenteuer" im Irak mittragen. Da hat er Recht, mögen sich da bei der SPD - es ist Wahlkampf - auch einige schrille Töne eingeschlichen haben. Besser als das Wischiwaschi und Lasst-uns-das-Vertagen der CDU und ihrer diversen Welt-Außenpolitiker von Schäuble bis zum Kandidaten Stoiber ist das allemal.
Und wenn Schröders klare Worte den Herrn US-Botschafter in Berlin so erregen, dass der seine Empörung gegenüber ausgesuchten Zeitungen publik machen muss, dann sei's drum. Washington mag überrascht sein - die US-Regierung macht so indirekt Wahlkampf für den Bundeskanzler. Die in die Öffentlichkeit gespielte US-Demarche mit dem Gestus "Wir sind die Herren der Welt" kann nur der SPD Stimmen bringen.
Zuverlässige Freunde sind nicht diejenigen, die "uneingeschränkte Solidarität" schwören (eine verfehlte Schröder-Formulierung im Krieg gegen den Terror, welche die Vereinigten Staaten in ihrem Unilateralismus ermutigen musste). Sondern solche, die offen und kritisch ihre Meinung sagen. Vielleicht hätte das in Sachen Irak schon früher einmal getan werden sollen.
Beispielsweise in den achtziger Jahren, da die Reagan-Regierung Saddam Hussein als ihren Verbündeten betrachtete und nach dem alten Roosevelt-Motto gegenüber geopolitisch nützlichen Gewaltherrschern hätschelte: "Er mag ein Bastard sein, aber er ist unser Bastard."
Washington belieferte den irakischen Diktator damals bei dessen Angriffskrieg gegen das Ajatollah-Regime in Teheran mit Aufklärungsfotos und half den irakischen Partnern nicht nur mit Waffen, sondern sogar beim Entwurf von Schlachtplänen. Das war bekannt. Was erst letzte Woche publik wurde: US-Nachrichtendienste wussten damals, dass Saddam Hussein Giftgas einsetzen würde.
Aber geopolitisch war das ja nicht schädlich.