Kein Aprilscherz, es ist Wirklichkeit / Ein Artikel aus der FP
Erschienen am 12.06.2019 - 11 Kommentare
Die beschuldigten Gründer der mutmaßlichen Terrorgruppe bleiben auch nach über sechs Monaten U-Haft hinter Gittern. Ihre Anklage steht noch aus.
Karlsruhe/Chemnitz.
Unter dem Titel "Revolution mit dem Luftgewehr" spottete am 2. Oktober 2018 eine gewisse Vera Lengsfeld über das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundesanwaltschaft. Bei Razzien zuvor waren sieben verdächtige Gründer einer mutmaßlichen Terrorgruppe namens "Revolution Chemnitz" in U-Haft genommen worden. Tage später folgte eine weitere Inhaftierung. "Das tapfere Schneiderlein" sei ist nichts dagegen, schrieb die frühere Bürgerrechtlerin Lengsfeld auf ihrer Webseite. Die Bundesanwaltschaft habe sich zu sehr in Grimms Märchen vertieft. Die zunächst sieben "auf einen Streich" Festgenommenen bezeichnete sie schlicht als "Maulhelden", die zwar "von der Beschaffung halbautomatischer Waffen gefaselt" hätten, doch sei ja nur "ein Luftgewehr beschlagnahmt" worden, "um das die sieben Rechtsterroristen hätten würfeln müssen, um den entscheidenden Startschuss für die geplante Revolution zu geben", spottete Lengsfeld.
Der Bundesgerichtshof beurteilt den Fall jetzt mit weniger Belustigung. Die Untersuchungshaft dauert an, entschied sein dritter Strafsenat, nachdem die Verdächtigen um Rädelsführer Christian K. seit mehr als sechs Monaten einsitzen und die Fortdauer der Haft zu überprüfen war. Weiterer Vollzug stehe "nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafen", urteilten die Richter Jürgen Schäfer, Margret Spaniol und Johannes Berg.
Immerhin waren bereits Typen echter Schusswaffen in der Chat-Runde benannt worden. Von einer meist von Spezialkräften genutzten Heckler-und-Koch-Maschinenpistole MP 5 und einer Walther P99-Pistole, in fünf Bundesländern als Polizeiwaffe genutzt, war die Rede. Als Waffenbeschaffer hatte die Gruppe Tom W. auserkoren, den ehemaligen Kopf der 2007 verbotenen Mittweidaer Neonazi-Kameradschaft "Sturm 34", die auch als kriminelle Vereinigung gilt.
Nach mehr als 15 Durchsuchungen haben die Ermittler 16 Mobiltelefone ausgewertet, 900.000 Daten erfasst, 247 Asservate sichergestellt und 75 Zeugen vernommen. Neben den acht Beschuldigten gibt es inzwischen zehn gesondert Verfolgte. Dabei handelt es sich um Teilnehmer jener patrouillen-artigen Bürgerwehr-Aktion, mit der ein Teil der "Revolution Chemnitz"-Beschuldigten nach einer von der rechtsextremen Bürgerbewegung "Pro Chemnitz" initiierten Demonstration am 14. September 2018 auf der Chemnitzer Schloßteichinsel grillende, junge Leute bedrängte. Ein aus dem Iran stammendes Opfer wurde von einer geworfenen Flasche am Kopf verletzt. Laut Chatverlauf der Gruppe war das nur ein "Probelauf". Wie die Ermittler festhielten, ging es den Beschuldigten darum, die Chemnitzer Unruhen im September 2018 zu nutzen, um mit gewaltsamen Aktionen am 3. Oktober 2018 in Berlin einen Systemwechsel einzuleiten.
Zwei Beschuldigte haben in Vernehmungen eingeräumt, dass die zu besorgenden Schusswaffen im Zusammenhang mit der in Berlin ins Auge gefassten Aktion zum Einsatz kommen sollten. Dort, wo laut Rädelsführer Christian K. "die Leute" säßen, die "abgesetzt werden müssen". Die Gewalttätigkeiten waren als symbolträchtiger Auftakt für weiteres Vorgehen gedacht, in das auch "normale Bürger" und die Polizei hätten einbezogen werden sollen. Ziel: Das "Regime" zu "stürzen".
GBA zu den Festnahmen am 1. Oktober
GBA am 2. Oktober zum Vollzug der U-Haft
Von Stefan Locke, Dresden -Aktualisiert am 24.03.2020
Im Prozess gegen die mutmaßliche rechtsextreme Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" verurteilt das Oberlandesgericht Dresden acht Angeklagte zu teilweise langen Haftstrafen.
Zwischen zwei Jahren und drei Monaten und fünfeinhalb Jahren müssen die Männer in Haft - vor allem wegen ihrer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung namens "Revolution Chemnitz", zum Teil auch wegen schweren Landfriedensbruchs und Körperverletzung. Der Rädelsführer Christian K., der die Gruppe initiiert hatte, erhielt fünfeinhalb Jahre Gefängnis. Gegen drei Angeklagte hob das Gericht aufgrund der langen Untersuchungshaft die Haftbefehle auf.
Er begründete die teilweise milden Strafen damit, dass die Gruppe nur fünf Tage existiert, anders als angekündigt noch keine Waffen beschafft sowie keine realistischen Pläne für einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland entwickelt habe. "Das terroristische Potential war von vornherein sehr gering", sagte Schlüter-Staats in Richtung der Angeklagten. "Offensichtlich waren sie alle nicht ansatzweise in der Lage, irgendetwas Revolutionäres ins Werk zu setzen."
Quelle: FAZ vom 24.03.2020
Einspruch
Wir können alle froh sein, dass man nicht auch noch eine Wasserpistole bei denen gefunden hat.
BlackSheep
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/moenchengladbach-wie-der-gefaehrder-raschid-k-geschont-wird-a-1271780.html
Gerade angesichts dieser Dinge wirkts ziemlich peinlich, welche mit nem Luftgewehr so aufzubauschen.
Malleo
Lesemuffel
Mich fragte letztes Jahr in Norwegen ein Hotelgast, was in D los sei. Ihm komme dieses Land mit Merkel vor wie eine Hippiekolonie auf Hasch. Ich bejahte mit einem Lachen, weil der Vergleich passt. Aber leider ist es grottentraurig.
Malleo
distel..
Merken Sie irgend wann einmal, wie eklatant weltfremd Ihre "Beiträge" sind? Acht Halbstarke planen mit Luftgewehr einen Umsturz. Wie fragil muss diese sogenannte wehrhafte Demokratie sein, um solchen Unsinn auch noch in die Öffentlichkeit zu stellen? Ein echte Schmierenkomödie! Was machen dann IS Schergen, die an chemischen Waffen hier in diesem Land rumbasteln?
Jugend forscht??
Lesemuffel
Befinde mich gerade in Finnland. Meine finn. Kollegen machen sich ernsthaft Sorgen um Deutschland. Sie fragen, ob das alles, was man seit einigen Monaten hört und liest, tatsächlich real ist oder Realsatire. 8(acht) etwas bescheiden mit Intelligenz ausgestattete Burschen mit einem reisserischen Namen bedacht, sollen einen Umsturz durchführen wollen? Und kluge, gebildete Männer vom BGH verbreiten Angst. "Hattet ihr nicht einst einen Hauptmann von Köpenick, der die Obrigkeit an der Nase herumgeführt hatte?" Ist er wieder da?" fragten sie. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Was hättest Du, lieber Mitdiskutieren geantwortet?
Ein Artikel aus dem "Abendblatt" von 12.02.2002
Ost-Berlin im April 1972. Das Oberste Gericht der DDR verurteilt fünf Thüringer aus Steinbach in einem Geheimprozess zu drakonischen Zuchthausstrafen. Angeblich hatten sie 1968 ein Attentat auf den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht geplant. Ein krasser Fall von Rechtsbeugung, wie die Dokumentation "Die Ulbricht-Attentäter" belegt. Die DDR-Staatssicherheit hatte damals in stalinistischer Manier mit erpressten "Geständnissen" eine Verschwörung konstruiert.
"Letztlich ist der ganze Fall wohl auf die Profilierungssucht von Stasi-Offizieren zurückzuführen", sagt der Autor des Films, Michael Erler, zum Ergebnis seiner einjährigen Recherchen. Er konnte sich auf Akten der Gauck-Behörde stützen.
In der Nähe von Steinbach liegt das Heinrich-Mann-Sanatorium, das zu DDR-Zeiten SED-Prominenz beherbergte. Zu den Stammgästen gehörten in den 60er-Jahren Walter Ulbricht und seine Frau Lotte, schwer bewacht brach das Paar zu Rennsteig-Wanderungen auf. Kein Wunder, dass die Stasi ein besonders wachsames Auge auf die knapp 2000 Einwohner von Steinbach warf: Die waren auf die DDR-Obrigkeit gar nicht gut zu sprechen, vor allem wegen der Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft. Nach ersten Gerüchten über versteckte Waffen beschloss die Stasi durchzugreifen.
Anlass war am 26. Oktober 1968 eine Auseinandersetzung zwischen Einheimischen und urlaubenden Parteigenossen während der Kirmes im Festsaal des Dorfes. Der Werkzeugmacher Gerald Rilk und der selbstständige Messerschmied Werner Iffert wurden sofort verhaftet. Bei ihm und später auch bei anderen Dorfbewohnern wurden Waffen gefunden - zumeist versteckte Hinterlassenschaften der Wehrmacht aus den letzten Kriegstagen 1945, mit denen Steinbacher in den Wäldern der Umgebung wilderten. Von den mehr als 20 Einwohnern, die wegen illegalen Waffenbesitzes einsaßen, behielt die Stasi fünf ohne Anklage und Urteil im Gefängnis: In einer Runde am Kneipentisch sei gesagt worden, dass man Ulbricht erschießen müsse. Das Verhängnis für die fünf nahm seinen Lauf.
Am Ende hatten sie nach mehreren 100 Vernehmungen, in denen "Beweisketten" konstruiert wurden, erpresste Geständnisse unterschrieben. Nur ein Angeklagter hielt sich nicht an das verabredete Drehbuch, sein Anwalt Friedrich Wolff machte geltend, dass die Beweislage für eine Verurteilung nicht ausreiche. Die Richter kümmerte das nicht.
Nach der Wende wurden die fünf Steinbacher rehabilitiert und entschädigt. Hatte der 1971 von Erich Honecker gestürzte Staatsratsvorsitzende überhaupt etwas von ihnen gewusst? Erler: "Es gibt keinen Hinweis, dass Ulbricht eingeweiht war." (HA/dpa)