FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer
06.05.2021 | 16:39
In der thüringischen Stadt Suhl brodelt es. Die Stimmung ist angespannt. Etliche der 35.000 Einwohner haben das Vertrauen in die Politik verloren. Sie fühlen sich ignoriert, alleingelassen, verraten. Sie sind wütend.
Sie sagen Sätze wie "Wir haben die Schnauze voll!" und "Es reicht!". Sie sagen: "Es hat keiner was gegen Fremde. Aber was hier abgeht, kann nicht sein." Sie betonen, weder ausländerfeindlich noch rechtsextremistisch zu sein. Doch die Politik müsse "endlich" etwas tun gegen die zunehmende Kriminalität in ihren Vierteln. Sie fordern: "Helft uns!"
Ihr Appell richtet sich an die Thüringer Landesregierung, einem Bündnis aus Die Linke, SPD und Grünen. Konkret angesprochen fühlen darf sich Dirk Adams, Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Der 52-jährige Grüne ist für zwei große Themenfelder verantwortlich, um die es den sorgengeplagten Einwohnern von Suhl geht: Zuwanderung und Recht.
Adams, der 2009 in den Landtag einzog und im März 2020 zum Minister im Kabinett Ramelow aufstieg, kennt die Probleme der Menschen in Suhl aus Briefen, Medienberichten und Gesprächen auf politischer Ebene. Doch dass er zur Verbesserung ihrer Lage beigetragen hätte, können viele Einwohner im Umkreis des Heimes nicht behaupten. Im Gegenteil. Es werde "immer schlimmer", sagen sie.
Der Konflikt ist schnell umrissen: 2014 wurde in Suhl die Thüringer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber geöffnet. Ein Jahr später lieferten sich Heimbewohner erstmals schwere Auseinandersetzungen.
Seitdem kommt es immer wieder zu Straftaten innerhalb und außerhalb des Hauses, in dem aktuell knapp 450 Männer, Frauen und Kinder untergebracht sind. Der weitaus größte Teil hält sich an Regeln und Gesetze. Doch eine kleine Gruppe fällt immer wieder negativ auf.
Im Jahr 2020 musste die Polizei permanent ausrücken, um der Kriminalität durch vorwiegend junge männliche Asylbewerber aus den Maghreb-Staaten und Vorderasien Herr zu werden. Allein zwischen Anfang Januar und Mitte Mai 2020 registrierten die Behörden 205 Straftaten, bei denen die Tatverdächtigen Bewohner der Asylunterkunft waren. Diebstähle, gefährliche Körperverletzungen, Erschleichen von Leistungen, Sachbeschädigungen, Drogendelikte und so weiter.
Vergangenen März mussten mehr als 200 Polizisten, darunter bewaffnete SEK-Kräfte, in das Heim einrücken, nachdem es dort zu massiven Unruhen gekommen war. Der Vorfall, ausgelöst durch Corona-Erkrankungen unter Bewohnern, machte bundesweit Schlagzeilen.
Mit jeder neuen Straftat wuchs der Unmut vieler Suhler Bürger, die ihre Sicherheit zunehmend bedroht sahen. Manche Eltern wollten ihre Kinder nicht mehr allein durch die Stadt laufen lassen. Die Verkehrsbetriebe setzten Sicherheitsdienste ein, um Mitarbeiter und Fahrgäste zu schützen.
Zwar ging die bundesweite Zahl der Straftaten durch Zuwanderer in den ersten drei Quartalen 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um rund 9,5 Prozent zurück, wie aus einer Bilanz des Bundeskriminalamts (BKA) hervorgeht. In Suhl war von der positiven Entwicklung freilich wenig zu spüren. Wieder und wieder hat die Stadtspitze, allen voran Oberbürgermeister André Knapp (CDU), Alarm geschlagen. Doch die Appelle an die rot-rot-grüne Landesregierung, endlich Abhilfe zu schaffen, verpufften weitgehend wirkungslos.
In den ersten vier Monaten 2021 hat sich die Lage weiter verschärft: In Wohnsiedlungen rund um das Heim im Bereich des Suhler Friedbergs kam es zu einer Serie von Einbrüchen. Nach Informationen von FOCUS Online zählte die Polizei bis Ende April insgesamt 24 solcher Straftaten: fünf Wohnungseinbrüche, sieben Einbrüchen in Autos, 11 Einbrüche in Gartenlauben und eine Sachbeschädigung.
Bislang konnten 10 der Straftaten aufgeklärt und sechs Beschuldigte ermittelt werden - allesamt Bewohner des Asylbewerberheims. Es handelt sich laut Polizei um Täter im Alter von 19 bis 35 Jahren aus Nordafrika und Georgien. Zwei von ihnen sitzen in Untersuchungshaft.
Ein Anwohner, der schon selbst Opfer eines Auto-Einbruchs auf seinem umzäunten Grundstück wurde, berichtet im Gespräch mit FOCUS Online, bereits 2016 sei es zu ersten Problemen mit Heimbewohnern gekommen. "Es gab vermehrt Einbrüche in Bungalows und Einfamilienhäuser. So etwas kannten wir hier nicht. Bis dahin konnten wir unsere Autos oder Garagen auch mal nachts unverschlossen lassen."
Schon seinerzeit habe man das Gespräch mit dem damaligen Oberbürgermeister Jens Triebel (parteilos) und den örtlichen Polizeivertretern gesucht, berichtet der Mann. Den Anwohnern sei mehr Sicherheit versprochen worden, allerdings hätten viele den Ankündigungen nicht getraut. "Sie haben ihre Grundstücke mit Alarmanlagen, Kameras, Scheinwerfern und Bewegungsmeldern nachgerüstet", so der Mann. Manche hätten sich Hunde angeschafft. Tatsächlich sei die Zahl der Einbrüche zurückgegangen - bis vor wenigen Monaten.
Weil sie sich nicht anders zu helfen wussten, wandten sich die Anwohner, wieder einmal, an die Politik. Sie schrieben Briefe an die zuständigen Ministerien der Landesregierung und an ihren Oberbürgermeister. CDU-Mann André Knapp lud schließlich zu einem Bürgertreffen ein, um aus erster Hand von den neuen alten Sorgen der Menschen zu erfahren.
Die Versammlung fand vor wenigen Tagen unter freiem Himmel statt, auf einem Fußballplatz. Aus Angst vor Corona wurde nur eine begrenzte Zahl von Leuten zugelassen. Jeweils 10 Bürger aus drei Ortsteilen durften kommen. Sie mussten sich vorab anmelden. Neben Oberbürgermeister Knapp waren auch der Suhler Polizeichef Wolfgang Nicolai sowie ein Vertreter der Staatsanwaltschaft Meiningen anwesend, außerdem ein Journalist der örtlichen Zeitung "Freies Wort", der das Geschehen aufmerksam protokollierte.
Aufgebrachte Menschen schilderten, wie Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung ihre Siedlungen unsicher machen würden. Sie stiegen in Wohnhäuser und Bungalows sein, zerstörten Türen, Fenster und Inneneinrichtungen, klauten Wertsachen. Das Schlimmste seien Einbrüche am helllichten Tag, wenn die Menschen in ihren Häusern sind.
Eine alleinstehende Frau erzählte, sie sei nach einem solchen Vorfall lange "traumatisiert" gewesen: "Ich konnte nicht mehr in meinem Haus schlafen." Aus Angst zog sie vorübergehend zu ihrer Tochter. Andere berichteten von mehreren Einbrüchen in dasselbe Gartenhaus - und von Tätern, die gefasst wurden, aber flugs wieder freikamen und erneut zuschlugen. Ein Anwohner wütend: "Es kann nicht sein, dass derselbe Täter sieben Tage wieder einbricht."
Eine Rentnerin berichtete, nach drei Einbrüchen in ihren Bungalow habe die Polizei den mutmaßlichen Täter ermittelt, einen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft. Beim Prozess am Amtsgericht war sie als Zeugin geladen. "Wer fehlte, war der Dieb", so die Frau fassungslos.
Ein Mann, in dessen Haus ebenfalls eingebrochen worden war, forderte ganz offen, dass die Erstaufnahme sofort dichtgemacht wird: "Die Leute müssen hier weg." Mittlerweile haben mehr als 1100 Menschen eine Online-Petition unterschrieben, deren Ziel lautet:
"Aufgrund der stetig ansteigenden Strafdelikte durch Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung Suhl muss die Einrichtung umgehend geschlossen werden."
Zur Begründung heißt es, die Bürger der Stadt Suhl "können und wollen die Erstaufnahmeeinrichtung nicht weiter tolerieren". Die Politik habe die Interessen der Suhler Bürger "ignoriert".
Oberbürgermeister Knapp zeigte Verständnis für die Sorgen seiner Bürger, unterstützt die Rufe nach einer Schließung des Heims jedoch nicht. Schließlich hätten dort viele Menschen Zuflucht gefunden, die sich an Recht und Gesetz hielten. Gleichwohl erklärte Knapp, die Bürger würden "zurecht den Rechtsstaat" fordern und verlangen: "Schützt uns, schützt unser Eigentum!"
Der Suhler Polizeichef Wolfgang Nicolai versicherte den Anwohnern, die Polizei tue schon jetzt ihr Möglichstes. So sei man "auch nachts verstärkt mit Hunden unterwegs" und werde von Kollegen aus Erfurt unterstützt. Im Prinzip setze man alles ein, "was laufen kann", so Nicolai.
"Mit diesen Maßnahmen wollen wir die Straftaten verhindern und den Bürgern wieder ein Gefühl der Sicherheit geben", erklärte der Polizeichef gegenüber FOCUS Online. Zugleich setze man auf klare Ansagen im Asylheim selbst. Dort wolle man die Bewohner verstärkt über "die deutsche Rechtsordnung aufklären".
Nicolai weiß, was passieren könnte, wenn die Lage aus dem Ruder laufen sollte. Seine Sorge: Dann könnten die Menschen die Sache selbst in die Hand nehmen. Einige haben sich bereits mit Baseballschlägern und Schreckschusspistolen ausgerüstet. Über die Aufstellung einer Bürgerwehr wird offen diskutiert. Man hat Angst vor weiteren, möglicherweise schwereren Straftaten. "Was soll noch alles passieren?", fragte ein Anwohner bei der Versammlung auf dem Fußballplatz.
Massive Kritik üben die Menschen an der Justiz, die in ihren Augen zu wenig gegen die Straftäter aus dem Asylheim unternimmt. Bei dem Bürgertreffen wollte ein Mann wissen: "Warum kann man die betreffenden Leute nach solchen Vorfällen nicht wenigstens in der Einrichtung festhalten?" Das würde sich "schnell herumsprechen und präventiv wirken".
Der anwesende Oberstaatsanwalt konnte sich noch so sehr mühen, die geltende Rechtslage zu erläutern ("Wir sind an Gesetze gebunden") und die Aktivitäten der Justiz in einem guten Licht erscheinen zu lassen - wirklich überzeugen konnte er die Menschen nicht.
Natürlich hätten die Suhler Bürger auch gern direkt mit jenem Mann gesprochen, gegen den sich ihre Wut hauptsächlich richtet: Justizminister Dirk Adams. Aber der Grünen-Politiker war der Einladung zum Dialog nicht gefolgt. Auch kein anderer Vertreter der Landesregierung hatte sich bei den Bürgern blicken lassen.
Den Vorwurf vieler Suhler, er würde nichts gegen die zunehmende Kriminalität durch Asylbewerber tun, weist Adams zurück. "Diese Kritik ist nicht sachgerecht", sagte der Justizminister zu FOCUS Online.
Die öffentliche Wahrnehmung, dass man mit kriminellen Asylbewerbern zu lasch umgehe, sei falsch. Die Personen würden genauso "konsequent verfolgt" wie andere Straftäter auch, erklärte Adams - "wie es in einem Rechtsstaat vorgesehen ist".
Forderungen von Bürgern, straffällig gewordene Asylbewerber zumindest nachts am Verlassen des Heims zu hindern, erteilt Adams eine Absage. Dafür gebe es keinerlei gesetzliche Grundlage, kontert er. Auch die Umlegung von Straftätern in eine andere Unterkunft lehnt er ab. Das erinnere ihn an ein "Straflager" und würde das Problem nur "potenzieren".
Zugleich räumte der Minister gegenüber FOCUS Online ein, dass er in Suhl "Handlungsbedarf" erkenne.
Um die Sicherheit innerhalb des Heims zu verbessern, soll eine Anlage zur Videoüberwachung bestimmter Gemeinschaftsbereiche installiert werden. Weiter sei geplant, stabile und abschließbare Zimmertüren einzubauen, um den Bewohnern ein Stück mehr Privatsphäre zu geben. Auch mit vernünftigen Freizeitangeboten wolle man zur "Beruhigung der Lage" beitragen. Außerdem würden Sozialarbeiter und Polizisten Heimbewohner verstärkt ansprechen, um sie zu rechtstreuem Verhalten zu bewegen.
Adams Aussagen stoßen in Suhl nur bedingt auf Begeisterung. Seit 2015 habe es die rot-rot-grüne Landesregierung nicht vermocht, die Probleme in den Griff zu kriegen, so eine vielfach geäußerte Kritik. "Der Vertrauensverlust in die Politik ist groß", befindet ein Mann. "Das Ergebnis wird man im September bei den Wahlen sehen."
Quelle: focus vom 06.05.2021