Von Ricarda Breyton
Politikredakteurin
Stand: 04.04.2023 | Lesedauer: 5 Minuten
Gerade eine Woche ist es her, dass die Bundesregierung ihre Pläne für ein neues Einwanderungsgesetz vorstellte. Nun fordern SPD und FDP im Bundestag Ergänzungen des Vorhabens aus dem Innenministerium von Nancy Faeser (SPD). Beide Fraktionen werben dafür, die Hürden für Arbeitskräfte aus bestimmten Staaten außerhalb der EU weiter zu senken. Auch die Grünen stehen den Überlegungen offen gegenüber.
Als Vorbild dient eine Regelung, die seit 2016 für sechs Länder des Westbalkans gilt: Arbeitskräfte können dadurch unter sehr einfachen Bedingungen nach Deutschland kommen. Es reichen ein Arbeitsvertrag eines deutschen Betriebes und ein Visum. Die Bundesagentur für Arbeit muss zudem prüfen, ob kein deutscher oder EU-Bürger für den Job zur Verfügung steht. Außerdem galt bislang eine Grenze von 25.000 Personen pro Jahr. Anforderungen an Sprachkenntnisse oder Qualifikation gibt es nicht.
Lesen Sie auch
Migrationsbericht 2021
Nur Bruchteil der Zuwanderer kommt zu Arbeitszwecken
"Die Westbalkan-Regelung hat sich bewährt. Sie funktioniert", sagte der SPD-Berichterstatter Hakan Demir WELT. "Deshalb befürworte ich eine Ausweitung dieser Regelung auch auf weitere Staaten wie Moldawien, Georgien und Tunesien."
Die FDP-Politikerin Ann-Veruschka Jurisch erklärte ebenfalls, das Modell auf weitere Staaten übertragen zu wollen. Zum einen zählten dazu Länder, mit denen man Migrationsabkommen schließen wolle. Welche das sein könnten, prüfe der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP). Zum anderen könnten Staaten dazu zählen, "die noch nicht unter der gleichen demografischen Problematik leiden wie wir, hier wären beispielsweise Brasilien, Namibia, Südafrika oder Indonesien gut geeignet", sagte Jurisch.
Lesen Sie auch
Plan der Bundesregierung
Und schon werden Zweifel am Punktesystem für Arbeitsmigration laut
Der Entwurf der entsprechenden Verordnung zur Fachkräfte-Einwanderung von Ende März sieht bislang vor, die Westbalkan-Regelung zu entfristen und auf 50.000 Plätze im Jahr zu erhöhen. Ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erklärte nun auf Anfrage, dass man auch eine Ausweitung der Regelung auf weitere Staaten in den Ressortverhandlungen diskutiert habe. Vereinbart worden sei, dass die beteiligten Ressorts "zeitnah konkrete und ambitionierte Prüfschritte einleiten".
Aus Sicht der Befürworter hat die sehr liberale Zuwanderungsregel mehrere Vorteile: Zum einen lege sie die Entscheidung über eine ausländische Fachkraft in die Hände des Arbeitgebers, sagte Jurisch. Zum anderen kann eine solche Regel als Verhandlungsmasse dienen, um Rückführungsabkommen mit Ländern zu schließen, aus denen sehr viele Asylbewerber nach Deutschland kommen. Die Westbalkan-Regelung gilt vielen in dieser Hinsicht als Paradebeispiel.
So sank die Zahl der Asylbewerber aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien nach Öffnung des neuen Zuwanderungswegs drastisch: von mehr als 120.000 im Jahr 2015 auf etwas mehr als 4000 im Jahr 2018. Allerdings sei "weiterhin unklar, ob der Rückgang der Asylmigration mit der Westbalkan-Regelung oder der Tatsache zu tun hat, dass die Staaten zuvor zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt worden waren", sagte der Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück. "Dadurch wurde die Asylsuche für Menschen aus dem Westbalkan aussichtslos."
Lesen Sie auch
Landwirtschaft
Auf der Suche nach neuen Arbeitsmigranten
Nicht in allen Fällen lief die Arbeitsaufnahme überdies reibungslos. Eine Evaluation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kam 2020 zu dem Schluss, dass unter den Menschen, die über die Westbalkan-Regelung kamen, vergleichsweise wenige Leistungsbezieher seien. Allerdings ist die Regelung offenbar anfällig für Missbrauch. In rund fünf Prozent der geprüften Fälle bestand der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat. Denkbar sind fiktive Beschäftigungsverhältnisse oder rechtswidrige Arbeitsbedingungen.
"Das System hat zumindest das Potenzial für ausbeuterische Arbeitsverhältnisse", sagte Oltmer. Die Arbeitskräfte müssten sich an einen Arbeitgeber binden. Falls sie ihren Job wechseln wollen, müsse die Bundesagentur für Arbeit erneut zustimmen; tue sie dies nicht, drohe der Verlust des Aufenthaltstitels. "Von einem einzigen Arbeitgeber abhängig zu sein, ist ein Risiko für die Menschen, vor allem wenn sie kaum Deutsch sprechen." Wichtig seien eine bessere Kontrolle der Betriebe und lokale Beratungsangebote für die ausländischen Arbeitskräfte.
Lesen Sie auch
Einwanderungspläne
Die "stille Revolution" in Faesers Zuwanderungsgesetz
Skeptisch äußerte sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). "Wenn die Bundesregierung die Einwanderung für Nicht-Fachkräfte weiter öffnet, muss sie zugleich für einen besseren Schutz dieser Menschen sorgen", sagte Martin Varga, Arbeitsmarktexperte beim DGB-Bundesvorstand. Aus der Beratungspraxis wisse der DGB, dass gering qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten einem erhöhten Risiko für prekäre Beschäftigungsverhältnisse ausgesetzt seien. "Diese Schutzmechanismen sind bislang unzureichend." Für Nicht-Fachkräfte müsse bei allen Einwanderungswegen die Tarifbindung gesichert sein.
Grundsätzlich stellt der DGB infrage, ob überhaupt Bedarf einer Ausweitung der Westbalkan-Regelung besteht. "Es gibt keinen generellen Arbeitskräftemangel in Deutschland", sagte Varga. "In einigen Branchen ist es aber schwierig, Arbeitskräfte und auch Fachkräfte zu gewinnen, weil die Arbeitsbedingungen und Entgelte unattraktiv sind." Hier müsse die Bundesregierung ansetzen.
Neben einer Ausweitung der Westbalkan-Regelung sind weitere Änderungen des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes im Gespräch. Zum Beispiel eine Ausweitung des Familiennachzugs. "Um dem Arbeitskräftemangel nachhaltig etwas entgegenzusetzen, müssen wir unbedingt auch in den Blick nehmen, dass viele Menschen wieder aus Deutschland abwandern", sagte die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan.
Lesen Sie auch
Zuwanderung
"Was soll schiefgehen?" - So will die Ampel einfache Arbeiter ohne Ausbildung nach Deutschland holen
Dies liege häufig daran, dass die Eltern hochqualifizierter Fachkräfte in den Herkunftsländern blieben, Enkelkinder nicht aufwachsen sehen könnten oder pflegebedürftig würden, so Khan. "Wir sollten daher den Familiennachzug auch auf Elternteile ausweiten, wenn ausländische Fachkräfte selbstständig für deren Unterhalt aufkommen können."
SPD-Politiker Demir forderte, über die vorgesehenen Mindestgehälter zu sprechen. Bislang ist geplant, dass ausgebildete Arbeitskräfte auch dann einwandern können, wenn ihr Abschluss nicht deutschen Standards entspricht. Allerdings müssen sie dann mehr als 3000 Euro pro Monat verdienen. "Die Gehaltsgrenze für Menschen, die über die Erfahrungssäule zu uns kommen wollen, scheint mir im Moment noch zu hoch", sagte Demir. Vorgesehen ist, dass der Bundestag noch in diesem Monat mit den Gesetzesberatungen beginnt.