16.02.2024 - 04:00 Uhr
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Deutsche Unternehmen stehen unter Druck: Wachstumsschwäche, hohe Kapitalkosten und der technologische Wandel zwingen Firmen, auf Sparkurs zu gehen.
Unternehmen wie Bayer, ZF und SAP sprechen von Umstrukturierungen. Wie das gelingen soll? Ein Stellenabbau scheint für die meisten Unternehmen der schnellste Weg zu sein.
Dabei ist Deutschland mehr denn je mit einem Fachkräftemangel konfrontiert.
Warum Unternehmen Abfindungen so häufig auch an qualifizierte Beschäftigte zahlen, und ob Umschulungen ein alternativer Lösungsweg sein können, lesen Sie im Interview mit der Personalexpertin Jutta Rump.
Ein Freitag Ende Januar in der Bosch-Hauptstadtvertretung in Berlin-Charlottenburg. Die "Allianz der Chancen" hat eingeladen, um über die Transformation der Wirtschaft und die Fachkräftesicherung zu diskutieren.
65 namhafte Unternehmen gehören dem Bündnis an, von der Deutschen Bahn über die Autozulieferer Bosch und Continental bis hin zu Siemens und der Deutschen Telekom.
Die Allianz hat sich ein hehres Ziel gesetzt: Beschäftigte, deren Jobs wegzufallen drohen, sollen möglichst in neue Jobs vermittelt werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist erkältet, aber absagen will er den Termin dann doch nicht. Zu wichtig ist ihm das Thema. "Es gibt Veränderung, davor können wir niemanden beschützen", sagte der mit Aspirin gedopte Regierungschef. "Aber wir alle gemeinsam können es als unsere Aufgabe begreifen, dass das keine Bedrohung ist."
Es sind wohlmeinende Kanzler-Worte. Doch die Zeichen im Frühjahr 2024 stechen nicht nur auf Veränderung, sondern auch auf Bedrohung. Immer mehr Firmen beschließen Sparprogramme, die einen umfangreichen Stellenabbau vorsehen:
Es sind Signale wie aus einer anderen Zeit. Aus jener Ära vor 20 Jahren, als die Arbeitslosenquote in Deutschland noch fast doppelt so hoch war wie heute und die Zahl der Erwerbslosen ängstlich mit jener in der Schlussphase der Weimarer Republik verglichen wurde.
Aber heute? Haben wir eigentlich gelernt, dass nicht die Arbeitslosigkeit, sondern der Arbeitskräftemangel das größte Problem für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist. Wie passt da der Abbau von Zehntausenden meist gut qualifizierten oder sogar hochqualifizierten Beschäftigten ins Bild?
Tatsächlich erlebt der deutsche Arbeitsmarkt die Symptome einer schmerzhaften Transformation. Die Unternehmen suchen nach digitalen Geschäftsmodellen, müssen sich technologisch neu erfinden. Automobilhersteller und -zulieferer wie Bosch oder ZF rüsten sich für die Ära der Elektromobilität und das vollautomatisierte Fahren, der Softwarehersteller SAP für den Siegeszug der Künstlichen Intelligenz (KI).
Und Traditionskonzerne wie Bayer merken, dass sie mit ihren bisherigen Managementstrukturen das verschärfte Tempo im internationalen Wettbewerb nicht mehr mitgehen können. Für all diese Herausforderungen brauchen die Unternehmen zwar weiterhin qualifiziertes Personal. Aber häufig nicht jene Kräfte, die sie schon an Bord haben.
Gleichzeitig sorgt der Mix aus schwacher Konjunktur, hartnäckiger Inflation, hohen Zinsen und teurer Energie dafür, dass Kapital plötzlich knapp ist. "Die Probleme der Unternehmen werden dadurch gnadenlos aufgedeckt", sagt Andreas Rüter, Deutschlandchef der Beratungsgesellschaft Alix Partners.
Die Gewinnspannen erodieren, es zeigt sich, dass im internationalen Wettbewerbsvergleich die Kosten in Kernbranchen der deutschen Wirtschaft wie Automobil, Chemie und Maschinenbau zu hoch sind.
Rüter ist einer der erfahrensten Restrukturierungsexperten in Deutschland. Er warnt vor dem Trugschluss, dass sich die Probleme von selber lösen, wenn etwa die Zinsen sinken oder die Konjunktur wieder anspringen sollte. "Die Strukturveränderungen sind tiefgreifend und vor allem langfristig", sagt Rüter. "Die Unternehmen müssen jetzt handeln."
Das heißt: In den kommenden Wochen und Monaten dürften weitere Unternehmen neue oder verschärfte Sparprogramme inklusive Stellenabbau verkünden. Auch das gerade veröffentlichte Ifo-Beschäftigungsbarometer für Januar signalisiert, dass Firmen Personal abbauen, Entlassungen wahrscheinlicher werden.
Betriebsräte und Gewerkschafter sind alarmiert, denn Arbeitsmarktexperten bezweifeln, dass die meisten der betroffenen Beschäftigten problemlos auf andere, freie Stellen wechseln können. Und selbst wenn doch, dann sind diese neuen Jobs oft deutlich schlechter bezahlt als die angestammte Position im Großkonzern.
oto: dpa
Rund 3000 ZF-Beschäftigte machten im Januar mit einem Marsch auf die Zentrale in Friedrichshafen mobil gegen die Pläne des Managements zum Stellenabbau. Ob bei ZF tatsächlich 12.000 Stellen wegfallen, ist noch offen. Klar aber ist: Das Unternehmen steht unter hohem Spardruck - so wie die gesamte Autobranche.
Die Transformation zu elektrischen Antrieben ist teuer und führt an vielen Standorten zu geringerer Wertschöpfung. Für den Bau eines Elektroantriebsstrangs wird im Vergleich zum Verbrennungsmotor weniger als die Hälfte der Beschäftigten gebraucht - darunter auch Ingenieure und Entwickler.
Zugleich lässt der technologische Wandel den einst so üppigen Cashflow zum Schwach-Strom verkümmern. Zulieferer Bosch hat in den vergangenen zehn Jahren über fünf Milliarden Euro in die Entwicklung von Komponenten für die Elektromobilität investiert, ohne dass bislang damit Geld verdient wird.
Autozulieferer
Bosch streicht 1200 Stellen in der Softwareentwicklung
Weitere Milliarden flossen in die Entwicklung von Komponenten fürs automatisierte Fahren. Der Einsatz solcher Technologien kommt zudem langsamer als erwartet, weshalb die Unternehmen noch spitzer rechnen müssen. Die Herausforderung, weitere Milliarden für den Umbau bereitzustellen, bleibt aber bestehen.
Viele Firmen hätten schon seit Jahren strukturelle Probleme und steckten in einem Transformations-Stau, beobachtet Nicolas Franzwa, der bei Alix Partners die europäische Operations Practice leitet. Die Notwendigkeit zum Umbau sei aber durch jahrelange Niedrigzinsen, Nachfrageüberhänge nach der Coronapandemie und Subventionen während der Pandemie überdeckt worden.
Jetzt ist das wirtschaftliche Umfeld komplett anders. Franzwa: "Etliche international agierende Firmen hinterfragen die Wertschöpfung in Deutschland."
Etwa das ostwestfälische Familienunternehmen Miele. Nach dem erfolgreichen Jahr 2022 gab es 2023 einen starken Absatzknick bei Haushaltsgeräten. Das Management sieht sich durch einen Mix aus gestiegenen Energiepreisen, Inflation, hohen Material- und Personalkosten und sinkender Nachfrage zum Gegensteuern gezwungen.
"Was wir derzeit erleben, ist keine vorübergehende Konjunkturdelle, sondern eine nachhaltige Veränderung der für uns relevanten Rahmenbedingungen, auf die wir uns einstellen müssen", heißt es in einer internen Miele-Mitteilung. Rund 2000 Stellen will Miele nun weltweit streichen, allein 700 in der Produktion am Heimatstandort Gütersloh. Die Fertigung von Waschmaschinen wird nahezu komplett an den billigeren Standort Polen verlagert.
Was wir derzeit erleben, ist keine vorübergehende Konjunkturdelle, sondern eine nachhaltige Veränderung der für uns relevanten Rahmenbedingungen.
Miele an Beschäftigte
Bei Europas Marktführer, der Hausgeräte-Sparte von Bosch (BSH), sieht es ebenfalls düster aus: Dort laufen die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern über massiven Beschäftigungsabbau. Mehrere Tausend Stellen stehen auf der Kippe.
Die Wachstumsschwäche in Deutschland ist nur ein Grund für den Sparkurs der Unternehmen. "Die zurückliegenden weltweiten Zinserhöhungen als Reaktion auf die hohe Inflation fordern ihren Tribut", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Zwei Prozent sind nach Berechnungen des Commerzbank-Analysten Markus Wallner aktuell der durchschnittliche Zinssatz für die Unternehmen im Dax. Bei einem auf vier Prozent steigenden Zinssatz, wie er für neue Anleihen und Kredite seit der zweiten Jahreshälfte 2023 üblich ist, verdoppelt sich entsprechend auch die Zinslast.
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ZF spürt dies bereits deutlich. Der Konzern ist mit elf Milliarden Euro verschuldet. In Zeiten billigen Geldes fiel dies nicht groß ins Gewicht. Doch mittlerweile liegt die jährliche Zinslast bei mehr als einer halben Milliarde Euro. Das schmälert die Rendite massiv.
Quer durch alle Branchen verstärkt die Kapitalknappheit die Bereitschaft, bei Umstrukturierungen auf die harte Tour vorzugehen, nach dem Motto: Lieber jetzt einmal Geld in die Hand nehmen, um die nicht benötigten Leute loszuwerden, als sie immer weiter zu bezahlen.
Die Personalexpertin Jutta Rump ist sich "fast sicher", dass die Unternehmen auf diese Weise heute Abfindungen auch an qualifizierte Beschäftigte zahlen, die sie in einigen Jahren wieder suchen werden. "Das haben mich 30 Jahre Erfahrung in dem Geschäft gelehrt", sagt die Professorin für Betriebswirtschaftslehre am Ludwigshafener Institut für Beschäftigung und Employability.
Zu den ökonomischen Zwängen gesellt sich eine ausgeprägte Unzufriedenheit vieler Topmanager mit ihrer eigenen Organisation: Sie monieren quälende interne Bürokratie, lahme Entscheidungsprozesse und antiquierte Organisationsmodelle, die seit Jahrzehnten kaum verändert wurden.
So sieht es etwa der neue Bayer-Chef Bill Anderson. Der Amerikaner will die Hierarchien bei Bayer schleifen und ein revolutionäres System einführen: Sogenannte Mission Teams, flexibel zusammengesetzt, sollen ihre Arbeit selbst gestalten, schneller und eigenständig entscheiden. Die Folge: Im mittleren Management werden bei Bayer viele Stellen wegfallen. Eine genaue Zahl gibt es nicht, doch es könnten weltweit Tausende sein.
Interview
Bill Anderson: "Wer für Veränderungen nicht offen ist, wird es bei Bayer schwer haben"
Anderson verordnet Bayer einen tiefen Kulturwandel - Motto: Voller Fokus auf Kunden und Innovationen statt Beschäftigung mit sich selbst. Doch sein Programm dient auch der Kostensenkung, um dem hochverschuldeten Konzern wieder mehr finanziellen Freiraum zu verschaffen. Die bittere Erkenntnis der Leverkusener: Die bisherigen Sparprogramme haben den gewünschten Effekt nicht gebracht.
Das ist aus Sicht von Experten nicht nur bei Bayer der Fall. "Viele Programme starten als Tiger und enden als Bettvorleger", sagt Alix-Experte Franzwa. Vor allem in den Verwaltungen der Unternehmen griffen die Programme nicht nachhaltig genug. Über die zurückliegende Dekade von Wachstum, Nullzinsen und zuletzt auch über die Coronapandemie hinweg sei der Aufbau in den Overheadfunktionen ungesteuert verlaufen, seien die Management-Strukturen immer komplexer geworden.
Entsprechend häufig setzen viele der aktuellen Sparprogramme nicht primär in Produktionsbereichen an, sondern vor allem in den Verwaltungen. Teils auch in der Forschung und Entwicklung, wenn etwa die Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors endet.
Folge: Plötzlich droht auch Führungskräften auf mittleren Stufen und erfahrenen Ingenieuren der Jobverlust. Die aktuelle Kündigungswelle, sie trägt nicht immer Blaumann, sondern häufiger als sonst auch Kostüm, Laborkittel oder Hoodie.
So stellt Bosch die Diesel-Entwicklung ein, bis vor wenigen Jahren das Herzstück des Konzerns. 1500 Jobs sollen dort in Entwicklung und Verwaltung entfallen. Weitere 1200 Stellen will Bosch im Softwarebereich streichen, wo Fachkräfte normalerweise hochbegehrt sind.
dpa
Auf den Druck reagiert Bosch-Chef Stefan Hartung zudem mit der größten Neuaufstellung des Kerngeschäfts in Boschs Unternehmensgeschichte. Seit Jahresbeginn 2024 hat Bosch in seiner Zuliefersparte "Mobility" eine horizontale Verantwortung für die drei Zukunftsfelder: Software, Halbleiter und Fahrzeugrechner eingezogen. Bosch will so die neuen Konkurrenten aus der IT-Industrie in Schach halten, die immer stärker ins Auto drängen.
Auf dem Arbeitsmarkt machen sich die aktuellen Verwerfungen noch nicht bemerkbar. 2023 war eines der Jahre mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung, der leichte Anstieg im Januar saisonbedingt.
Doch die Warnsignale mehren sich: Lange Zeit hätten die Unternehmen ihre Beschäftigten auch aus der Sorge behalten, sonst bei einem Aufschwung keine qualifizierten Arbeitskräfte mehr zu bekommen, beobachtet der Direktor des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Bernd Fitzenberger: "Aber angesichts der Abfolge von Dauerkrisen könnte dieses Labour Hoarding, wie es Fachleute nennen, nun an sein Ende kommen."
Dafür gibt es klare Signale. Eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter 47 Branchenverbänden ergab: Die Unternehmen rechnen für 2024 in nur noch fünf Verbänden mit einem Netto-Aufbau an Beschäftigung. 23 Branchen rechnen mit einem Abbau, darunter so beschäftigungsintensive Wirtschaftszweige wie der Groß- und Einzelhandel, der Maschinenbau, das Handwerk und das Baugewerbe.
dpa
Das IAB geht zwar nicht von einer Rückkehr zur Massenarbeitslosigkeit wie Mitte der 2000er-Jahre aus, als in der Spitze rund fünf B. Bröndhoff, C. KerkmannMillionen Menschen ohne Job waren. 2023 waren im Jahresdurchschnitt gut 2,6 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. In seiner aus dem vergangenen September stammenden Prognose erwartet das IAB aber für 2024 immerhin einen Anstieg der Arbeitslosenzahl um rund 60.000.
Zu betriebsbedingten Kündigungen greifen Unternehmen derzeit meist noch nicht. Der Stellenabbau soll über Abfindungen, Frühverrentung und die übliche Fluktuation funktionieren.
"Es ist traurige empirische Realität nicht nur in Deutschland, dass Beschäftigte, die ihren gut bezahlten Industriearbeitsplatz verlieren, danach meist keinen ähnlich gut bezahlten Job finden", sagt IAB-Experte Fitzenberger. Denn die Löhne in vielen der klassischen Industriebranchen spiegelten eine Produktivität wider, die sich in anderen Branchen nur schwer erreichen lasse.
In jedem Fall aber stellt sich die Frage: Wie passt die Streich-Arie der Unternehmen mit ihren Klagen über einen Mangel an Fachkräften zusammen? Restrukturierungsexperte Rüter erlebt das Phänomen in den von Alix Partners begleiteten Projekten regelmäßig: "Das große Problem ist, dass in den meisten Fällen die abzubauenden Mitarbeiter nicht auf die Stellen passen, für die aktuell Fachkräftemangel besteht."
Bei Autozulieferern etwa kommen viele Entwicklungsexperten aus dem traditionellen Maschinenbau. Für die Elektromobilität werden aber Fachkräfte in den Bereichen Elektrotechnik und Softwareentwicklung gebraucht.
Vor dem Qualifikationsdilemma steht auch SAP. Der Softwarehersteller begründet seine gerade verkündete Umstrukturierung damit, dass er sich auf neue Geschäftsfelder ausrichtet, vor allem auf KI für Unternehmen. Das Management streicht daher 8000 Stellen, ohne dass die Belegschaft unterm Strich schrumpfen soll: Einige Rollen werden überflüssig, andere entstehen neu.
Unter den offenen Stellen sind etwa ein "Machine Learning Scientist", ein "Data Platform Engineer" oder ein "Business Transformation Advisor". SAP-Chef Christian Klein geht davon aus, dass rund ein Drittel der rund 8000 betroffenen Mitarbeiter nach Umschulungen auf anderen Posten zum Einsatz kommen wird. Dafür erhöht der Softwarehersteller das Weiterbildungsbudget um rund 50 Prozent auf 150 Millionen Euro pro Jahr. Zwei Drittel der Betroffenen müssen das Unternehmen demzufolge aber verlassen.
Mitarbeitervertreter von SAP vermuten, dass künstliche Intelligenz nicht der einzige Grund für die Einschnitte ist.
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So wie SAP starten auch die Industrie-Initiativen, um die vom Stellenabbau betroffenen Mitarbeiter umzuschulen und so zumindest einige von ihnen halten zu können. Bosch beispielsweise hat mit dem Qualifizierungsprogramm "Mission to Move" und der unternehmensinternen Vermittlung bereits rund 2900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für zukünftige Wachstumsfelder beispielsweise in den Bereichen Software und E-Mobilität qualifiziert.
Continental bildet nicht nur intern um, sondern will Betroffenen den Weg in andere Branchen ebnen. Am Continental-Standort Gifhorn, der bis 2027 schrittweise dicht gemacht werden soll, hat der Zulieferer gerade ein Weiterbildungszentrum eröffnet. Die Beschäftigten sollen für Jobs beim Wärmepumpen-Spezialisten Stiebel Eltron qualifiziert werden, der in Gifhorn eine neue Fabrik bauen will.
Die Politik unterstützt solche Projekte. Unternehmen, die in einer größeren Anpassung stecken und Mitarbeiter für neue Aufgaben qualifizieren wollen, können sich je nach Firmengröße bis zu 100 Prozent der Lehrgangskosten und bis zu 90 Prozent des währenddessen gezahlten Arbeitsentgelts erstatten lassen. Im vorletzten Jahr nahmen die Unternehmen laut Statistik der Arbeitsagentur für knapp 40.000 Beschäftigte eine solche Förderung in Anspruch.
Ähnlich arbeiten die 27 vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Transformationsnetzwerke. In Regionen wie dem Saarland, die besonders vom Strukturwandel betroffen sind, bringen sie Unternehmen, Arbeitsagentur, Kammern und andere Akteure an einen Tisch, um eine Strategie für die Region zu entwickeln und umzusetzen. Gefördert werden können beispielsweise Weiterbildungsverbünde, in denen sich mehrere Unternehmen zusammenschließen.
"Der Transformationsprozess ist in vollem Gange und die IG Metall hat sich dem nie in den Weg gestellt", sagt Jörg Köhlinger. Er leitet den IG-Metall-Bezirk Mitte, der Hessen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Thüringen umfasst.
Die Gewerkschaft hat schon im Jahr 2019 Betriebsräte nach den Chancen und Risiken des Wandels in ihrem Unternehmen befragt und daraus sogenannte Transformationsatlanten erstellt: Was wird in einem Unternehmen und einer Region heute produziert? Was ist das Geschäftsmodell der Zukunft? Wie können Beschäftigte auf die neue Zeit vorbereitet werden? Nicht bei allen Arbeitgebern sei man mit dieser Aktion auf Gegenliebe gestoßen, erinnert sich Köhlinger, viele hätten das als unzulässige Einmischung empfunden.
Doch die Atlanten helfen der Gewerkschaft dabei, Transformationstarifverträge abzuschließen, in denen beispielsweise Standort- und Beschäftigungsgarantien verankert werden können. Mithilfe von Verträgen hat die IG Metall beispielsweise beim hessischen Continental-Standort Babenhausen oder bei Vitesco in Bebra Werksschließungen und Personalabbau zumindest verzögert.
Foto: imago/Deutzmann
Klar ist aber auch: Wenn der Druck wächst, wollen immer mehr Firmen betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausschließen. Bayer etwa hat den mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Vertrag zur Beschäftigungssicherung nur noch um ein Jahr bis 2026 verlängert - in früheren Zeiten lag die Spanne bei vier bis fünf Jahren.
Und auch in Sachen Umschulung, im Personalerdeutsch "Reskilling" genannt, zeigen sich manche Experten skeptisch - gerade weil es häufig um hochqualifizierte Jobs geht.
Egal was sich Bundeskanzler Scholz wünscht - für diese Klientel bedeutet die Veränderung am Arbeitsmarkt zunächst einmal eine Bedrohung. Mehr: Kulturwandel, Transformation, Turnaround - wie Bayer, SAP und ZF ihre Personalprobleme lösen wollen.