Angreifer von Mannheim Laut Akten war er ein Musterbeispiel für gelungene Integration

Von

Matthias Bartsch,

Jörg Diehl,

Roman Höfner,

Roman Lehberger,

Wolf Wiedmann-Schmidt

04.06.2024, 08.06 Uhr

Er kam als Minderjähriger nach Deutschland, machte seinen Hauptschulabschluss, engagierte sich in der Flüchtlingshilfe: Was über den Angreifer von Mannheim bekannt ist - und über sein Motiv.

Polizisten auf dem Mannheimer Marktplatz: Sechs Menschen mit einem Messer verletzt
Foto: Timm Reichert / REUTERS

Am Freitagmittag attackierte Sulaiman A. auf dem Mannheimer Marktplatz eine Kundgebung der rechtspopulistischen "Bürgerbewegung Pax Europa". Innerhalb weniger Minuten verletzte er sechs Menschen mit einem Messer, darunter einen Polizisten, der seinen Verletzungen später erlag.

Wie kam A. nach Deutschland? Wie lebte er hier? Und warum ging er am vergangenen Freitag auf die Kundgebung los? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wer ist der mutmaßliche Täter?

Sulaiman A., 25 Jahre alt, stammt aus der Großstadt Herat in Afghanistan und lebte zuletzt in einem Hochhaus im hessischen Heppenheim, rund 35 Kilometer von Mannheim entfernt. Im März 2013 reiste er nach SPIEGEL-Informationen als unbegleiteter Minderjähriger zum ersten Mal nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Damals legte er einen afghanischen Reisepass vor, der ihn als 13-Jährigen auswies. 2014 wurde sein Asylantrag abgelehnt, A. erhielt aufgrund der Sicherheitslage in Afghanistan aber ein Abschiebungsverbot - den niedrigsten Schutzstatus, den die deutschen Behörden vergeben.

Um das Jahr 2019 heiratete A. laut Sicherheitskreisen eine aus der Türkei stammende Deutsche und bekam zwei Kinder mit ihr. Deshalb erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 28 des Aufenthaltsgesetzes, der aktuelle Titel ist befristet bis Mitte Juli 2026.

Laut Behördenunterlagen, die der SPIEGEL einsehen konnte, machte A. 2017 seinen erweiterten Hauptschulabschluss. Anschließend jobbte er für wenige Monate als Helfer im Bereich Papier- und Verpackungstechnik.

War Sulaiman A. den Behörden vorher aufgefallen?

Bislang war er weder der Polizei noch dem Verfassungsschutz als Extremist bekannt. Auch strafrechtlich war er bislang wohl noch nicht auffällig. Seine Akte bei der Polizei sei "blütenweiß" und enthalte nicht einmal einfache Vergehen wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren, heißt es aus hessischen Behördenkreisen.

Als Jugendlicher trainierte er in Hessen den Kampfsport Taekwondo und nahm erfolgreich an Wettkämpfen teil, wie Zeitungsartikel und Facebook-Einträge aus der Zeit zeigen. Später engagierte er sich ehrenamtlich bei einer Hilfseinrichtung für Flüchtlinge im Landkreis Bergstraße. Nach Aktenlage wäre er bis zum vergangenen Wochenende noch als Musterbeispiel für einen gut integrierten Flüchtling durchgegangen, sagt ein Behördenmitarbeiter.

Was ist zum Motiv bekannt?

Warum Sulaiman A. die "Pax Europa"-Kundgebung attackierte, ist bislang nicht vollständig geklärt. Die Ermittler halten einen islamistischen Hintergrund jedoch für wahrscheinlich. Darauf deuten auch Spuren hin, die er im Internet hinterlassen zu haben scheint. Auf einem YouTube-Kanal, der die Taliban-Flagge als Profilbild nutzte und islamistische Videos veröffentlichte, taucht sein Name auf. Ob er den Kanal selbst betrieben hat, ist unklar. Am Wochenende wurden die Videos gelöscht, das Profilbild wurde durch ein Blumenbild ersetzt.

Eine Nachbarin in dem Hochhaus in Heppenheim sagte SPIEGEL TV, Sulaiman A. habe bei ihr geklingelt und ihr einen Koran geschenkt. Ihr sei es so vorgekommen, als habe er sie missionieren wollen, so die Nachbarin.

Aus seinem Umfeld heißt es, A. sei womöglich auch psychisch krank gewesen. Nach SPIEGEL-Informationen soll er die Attacke jedoch vorbereitet und etwa Kommunikation von seinem Handy gelöscht haben.

Wie ging der mutmaßliche Täter vor?

Blumen und Kerzen auf dem Mannheimer Marktplatz: Gedenken an den getöteten Polizisten
Foto: Dieter Leder / dpa

Er griff am Freitagvormittag seine Opfer in der Mannheimer Innenstadt mit einem Messer an. Zunächst attackierte er Angehörige der rechtspopulistischen "Bürgerbewegung Pax Europa" (BPE), darunter deren Vorstandsmitglied Michael Stürzenberger.

Nach SPIEGEL-Informationen verwundete A. sechs Personen durch Stiche in Beine und Arme, teils auch in die Schulter oder ins Gesicht. Außerdem stach der Attentäter auf einen am Boden knienden Polizisten ein, der einen anderen Mann fixiert hatte, und traf den Beamten am Kopf: Rouven L., 29, erlag schließlich im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Wie laufen die Ermittlungen?

Am Montag hat Generalbundesanwalt Jens Rommel nach SPIEGEL-Informationen das Verfahren an sich gezogen. Die Behörde begründet die Übernahme mit der "besonderen Bedeutung" des Falls. Die Tat werde "religiös motiviert" eingestuft und sei geeignet, die Innere Sicherheit zu gefährden. Ermittelt wird wegen Mordes, fünffachen versuchten Mordes sowie gefährlicher Körperverletzung.

Wer sind die Opfer?

Michael Stürzenberger, 59, ist seit Jahren einer der bekanntesten Anti-Islam-Aktivisten Deutschlands. Er gehört zum Bundesvorstand der BPE sowie zu den Autoren der islamfeindlichen Plattform "PI-News" und wird vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet.

Bei früheren Kundgebungen forderte Stürzenberger "Umerziehungslager" für Muslime nach dem Vorbild Chinas. Den Koran bezeichnete er als "das gefährlichste Buch der Welt" und verglich ihn mit Adolf Hitlers "Mein Kampf". In München versuchte er, den Bau einer Moschee zu stoppen.

Stürzenberger wurde in Bad Kissingen geboren und arbeitete früher als Sportreporter für das "Bayern Journal" von Sat.1 und RTL. Vor gut 20 Jahren war er für kurze Zeit Pressesprecher der Münchner CSU. Später verließ er die Partei und kam so einem Ausschluss zuvor. 2013 wurde Stürzenberger Bundesvorsitzender der rechtspopulistischen Kleinpartei "Die Freiheit", die sich wenige Jahre später auflöste. Auch bei Pegida in Dresden trat er immer wieder auf.

Am Samstagmorgen postete Stürzenberger auf Telegram ein Foto, das ihn im Krankenhaus zeigt. Er habe bei der Messerattacke Wunden im Gesicht, am Oberschenkel und an der Brust erlitten, schrieb der 59-Jährige dazu. Es sei "richtig knapp" gewesen.

Rouven L., 29, war Hauptkommissar der baden-württembergischen Polizei. Wahrscheinlich war er mit seinen Kollegen abgestellt, um den Stand der BPE zu beschützen. "Rouven war in den vergangenen Jahren überall dabei, wo es brennt. Er gab immer sein Bestes und wurde daher auch gefördert. Er war engagiert und geradlinig. Wir können es nicht fassen, ihn verloren zu haben", zitierte die "Bild"-Zeitung seine Kollegen.

Neben Stürzenberger und L. verletzte Sulaiman A. vier weitere Menschen. Unter ihnen befinden sich nach Angaben der Polizei auch ein deutsch-kasachischer sowie ein irakischer Staatsbürger.