FOCUS-Online-Redakteurin Laura Schäfer
Dienstag, 27.04.2021, 19:44
Robert Habeck war jahrelang der beliebteste Grünen-Politiker. Noch vor wenigen Monaten schien es sicher, dass er seine Partei als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl 2021 führen würde. Stattdessen verkündet er am 19. April, dass er sich hinter Annalena Baerbock stellt und sie als Kandidatin unterstützt.
Es scheint, als sei die Entscheidung einvernehmlich und ohne großes Gerangel gefallen. Im Vergleich zum unerbittlichen Machtkampf der Unions-Platzhirsche Armin Laschet und Markus Söder wirkt es sogar fast freundschaftlich. Eine Überraschung war das für Habecks Beobachter Ulrich Schulte nicht, wie er FOCUS Online erklärt: "Annalena Baerbock und Robert Habeck wussten, dass ein öffentlich ausgetragener Wettkampf um die Kanzlerkandidatur der Partei schaden würde." Tatsächlich hat es die Partei eher beflügelt. In mehreren Umfragen haben die Grünen zugelegt, rangieren mittlerweile sogar an der Spitze.
Während eine strahlende Baerbock im Anschluss mehrere TV-Auftritte hat, zieht sich ihr Co-Parteivorsitzender etwas zurück. Der "Zeit" gibt Robert Habeck einen Einblick in die Entscheidungsprozesse. Und ein Satz lässt aufhorchen: "Dass Annalena eine Frau ist in einem ansonsten männlichen Wahlkampf, war ein zentrales Kriterium." Tritt der sonst so höfliche und respektvolle Habeck etwa nach und muss sich Baerbock gar vor seiner Rache fürchten?
Autor und Journalist Schulte meint: Nein. Es wäre auch kaum nachvollziehbar, schließlich haben sich die beiden Spitzen-Grünen in den vergangenen Monaten für die Gleichstellung der Geschlechter ausgesprochen. "Ich vermute, dass sein Ego gerade leidet", schätzt Schulte ein. "Natürlich kränkt es ihn, dass er ihr den Vortritt lassen muss. Aber er fremdelt nicht mit der genderpolitischen Linie der Grünen."
Im Wahlkampf könnte das noch einmal ganz wichtig werden. Denn das politische Gewicht eines Robert Habecks ist groß. Ein erfolgreicher Ausgang der Bundestagswahl für die Partei ist ohne ihn nicht zu erreichen. Und so verrät Annalena Baerbock knapp eine Woche nach ihrer Kür bei "Anne Will", dass ihr Co-Vorsitzender in den nächsten Monaten mögliche Koalitionsverhandlungen vorbereiten werde. Eine entscheidende und diffizile Aufgabe, schließlich scheint es momentan sehr wahrscheinlich, dass eine Regierung nur mit grüner Beteiligung möglich ist. Sollten die Grünen in eine Regierungskoalition einziehen, könne Habeck "ein wichtiges Ministerium" bekommen, so sein Beobachter. "Mein Tipp ist, dass er es schafft, sich in die neue Hierarchie einzusortieren - auch wenn es ihm sicher nicht leicht fällt."
Dass sie Habeck nicht aufs Abstellgleis schiebt, ist ein kluger Schachzug von Baerbock. Schließlich kann der Familienvater auf hervorragende Beliebtheitswerte blicken und Kritik an ihr ausmerzen. Ihr wird nämlich regelmäßig vorgehalten, dass sie keine Regierungserfahrung hat. Bei "Anne Will" hat sie zwar versucht, galant auf Barack Obamas fehlende Regierungsverantwortung vor seiner Wahl zum US-Präsidenten anzuspielen - vom Tisch ist der Punkt noch lange nicht. Es kann sich auszahlen, dass sie Habeck hat: Zwischen 2012 und 2017 war er Stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt in Schleswig-Holstein. Auf diese Expertise kann Baerbock also bauen, wenn sie im Laufe des Wahlkampf ein Schatten-Kabinett präsentieren will.
Zudem entschärft er ihre forsche, teils überschwängliche Art. Er ist der Reflektierte, Nachdenkliche, Abwägende. Aber eben nicht nur: Robert Habeck schafft es, mit seinen Auftritten Menschen zu berühren und für sich zu gewinnen. So ist es kein Wunder, dass er in der "Zeit" davon träumt, wenn wieder mehrere Tausend Menschen zu Events kommen dürfen. Er wolle wieder "politische Leidenschaft" entfachen.
Zu guter Letzt ist er ein Mann. Ja, das könnte sogar im Jahr 2021 noch immer ein Kriterium für den ein oder anderen Wähler sein. Vor allem seit sich die Grünen als feministische Partei positioniert haben. Eher konservativ orientierte Wähler, die den Grünen zwar grundsätzlich nahestehen, mit einer Entscheidung für eine grüne Frau aber hadern, könnten sich vielleicht eher mit der Wahl anfreunden, wenn er eng an Baerbocks Seite steht.
Aber klar ist auch: So sehr sich Baerbock und Habeck auch ergänzen, so sehr sie das Bild eines perfekten Teams abgeben - ihnen stehen harte Wochen bevor. Kampflos wird gerade die Union die Kanzlerschaft nicht aufgeben. Nach der anfänglichen Euphorie der Entscheidung für eine weibliche Kanzlerkandidatin gibt es erste empfindliche Nachfragen zum grünen Wahlprogramm und die Finanzierbarkeit der Versprechen darin. Wenn es hart auf hart kommt, wird sich zeigen, ob die beiden es wirklich zusammen an die Spitze schaffen.